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Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
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Gentechnik: Vielschichtige und doppelbödige Politik  
  Vor ein paar Tagen hat Oberösterreich vor dem Europäischen Gerichtshof sein von der Kommission abgelehntes "Gentechnikverbotsgesetz" verteidigt. Dabei handelt es sich nicht um die Laune eines einzelnen Bundeslandes, sondern den Vorreiter einer europaweiten Bewegung.  
Oberösterreich als Vorreiter einer europaweiten Bewegung
Auf ein neues beteiligt sich Österreich an einem Gefecht im nun schon bald zehn Jahre währenden Krieg um die landwirtschaftliche Gentechnik in Europa. Oberösterreich, um genau zu sein. Ein österreichisches Bundesland ist es, das mit seinem "Verbotsgesetz" gegen geltendes EU Reglement und dessen Hüterin, die Europäische Kommission, aufbegehrt.

Die Mehrheit der Beobachter stimmt zwar darin überein, dass ein regionales "Gentechnik-Verbot" in dieser Form an europäischen Rechtsnormen scheitern wird. Schließlich schlugen bislang auch nationale Verbote fehl bzw. konnten lediglich verdeckt, über rechtlich-wissenschaftliche "Hintertürchen" etabliert werden.

Doch wirft die oberösterreichische Initiative ein Schlaglicht auf eine viel weiter ausgreifende Bewegung in Europa. Denn Oberösterreich ist lediglich die Speerspitze einer europaweiten Initiative zur Etablierung "gentechnikfreier Regionen", an der sich mittlerweile wenigstens zwanzig Regionen - so unterschiedlich wie die Toskana und Bretagne, das Baskenland und Wales, Schleswig-Holstein und Aquitaine - beteiligen.
Frage nach Formen von Politik
Mit der Unterschiedlichkeit der Regionen variieren auch ihre Motive gegen die Gentechnik zu revoltieren. Sie reichen von ehrgeizigen Umweltagenden, über die Imagepflege für den Tourismus bis zum populistischen "Wir sind Wir". Meist allerdings stehen handfeste ökonomische Interessen hinter der Bewegung, etwa der Schutz einer kleinteiligen Landwirtschaft und die Markensicherung lokaler Delikatessenproduktion.

Wie auch in meinen früheren Arbeiten zum Thema interessiert mich bei meinen gegenwärtigen Recherchen zu dieser neuen Anti-Gentechnik-Bewegung nicht, ob "die Gentechnik" (die Streitigkeiten beginnen übrigens schon bei der Frage, was genau damit gemeint ist) gut oder böse, giftig oder eigentlich ganz harmlos ist.

Was mich interessiert ist vielmehr, welche Formen "Politik" (und was genau ist das nun wieder?) im Kontext unübersichtlicher Transnationalisierungsprozesse annimmt. Der Gentechnikkonflikt erwies sich dazu schon bisher als beispielhaft und mit der Bewegung der Region ergibt sich eine weitere in sich komplexe Facette.
Verschiedene Gestaltungsräume der Regionen
Involviert sind beispielsweise zahlreiche, in dieser Konstellation ungewöhnliche Politikebenen. Beginnen wir mit der "untersten", der regionalen Ebene. Hier stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen diese überhaupt handlungsfähig wird. Auch hier unterscheiden sich europäische Regionen. Ausschlaggebend ist die jeweilige nationale Verfassung, welche den Regionen mal mehr, mal weniger Eigenständigkeit zubilligt.

Ein föderales Österreich oder Spanien bietet da ganz andere Voraussetzungen als zentralistische Staaten wie Frankreich oder Griechenland. Allesamt sind diesen Ländern Bestrebungen zur Errichtung gentechnikfreier Zonen gemein, die jeweiligen Regionen aber verfügen nur in wenigen über die wesentlichen Kompetenzen, in anderen sind sie politisch zahnlos.
Ansatzpunkt der EU-Kommission: Der einzelne Landwirt
Es fragt sich aber auch, ob die Regionen nun tatsächlich die "unterste" Politikebene bilden. Darunter gibt es ja ebenfalls politische Akteure. Gemeinden etwa - diese sind in Frankreich sehr wichtig. Oder die Möglichkeit freiwilliger Zusammenschlüsse von Landwirten.

Genau dahin geht auch die Stoßrichtung der (bisherigen) Politik der Kommission. Sie setzt noch weiter "unten", unterhalb der Regionen, nämlich bei den individuellen Produzenten an. Leitmotiv dieser Politik ist, dass die Freiheit dieser Produzenten eine EU-weit zugelassene gentechnisch veränderte Nutzpflanzen anzubauen, wenn sie das wünschen, erhalten bleibt.

Weder nationale noch regionale Verbote dürfen ihnen diese Freiheit nehmen. "Gentechnikfreie Zonen" sind damit zwar nicht ausgeschlossen, doch können sie allein über vertragliche Abmachungen unter individuell entscheidenden Landwirten zustande kommen, nicht über "politische" regionale oder nationale Verbote.
Kommission ist externem Druck ausgesetzt
Warum verfolgt die Kommission diese Politik? Eine Teil der Antwort hängt mit dem Kernprojekt europäischer Integration, dem Gemeinsamen Markt, zusammen. Dieser ist idealerweise von individuellen, ökonomischen Akteuren bevölkert, deren "Koexistenz", ihr geordnetes Nebeneinander, durch "politische" Interferenzen hintertrieben würde.

Dass dieses Ideal in Sachen grüner Gentechnik bislang so hartnäckig gegen lokale Interessen behauptet wird, hat seinen Grund aber auch im externen Druck, dem die Kommission - und die Union generell - ausgesetzt ist. Für diesen symptomatisch ist die WTO-Klage der USA, Kanadas und Argentiniens gegen das "politische" Moratorium bei Zulassungen gentechnisch veränderter Organismen.

Angesichts der Drohung mit WTO Normen zu kollidieren muss die Kommission unter Beweis stellen, dass sie gewillt und imstande ist, im EU-Raum eine mit den Grundsätzen globalen Freihandels kompatible Regelung zu gewährleisten. (So zu verstehen etwa die 2004 von der Kommission forcierten Neuzulassungen.) Gesetzlich verankerte Verbotszonen haben in dieser keinen Platz.
Verbot für grüne Gentechnik über andere Mechanismen
Freilich legt die Kommission diese Haltung nicht zuletzt dazu an den Tag, um die Form zu wahren. Denn, selbst wenn gesetzliche Verbotszonen, wie Oberösterreich sie beabsichtigt, nicht möglich sein sollten: Das Resultat wird in vielen Ländern und Regionen der EU doch das gleiche sein.

Der politische Wille, die grüne Gentechnik nicht zustande kommen zu lassen, ist in diesen Ländern (darunter Österreich) so ausgeprägt, dass dies mittels einer Kombination aus gesetzlichen Restriktionen, Haftungsbestimmungen und Prüfverfahren sowie der sozialen Stigmatisierung der Gentechnik in den nächsten Jahren mit hoher Wahrscheinlichkeit gelingen wird - auch ohne Verbote.

Die Friktionen mit EU Recht werden sich somit in Grenzen halten. Dass man die grüne Gentechnik einfach nicht haben will, weil sie äußerst unpopulär ist, wird dabei freilich niemand zugeben. Gentechnikfreie Regionen sind eben nicht nur vielschichtig sondern auch doppelbödig.

[21.3.05]
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Der Autor leitet derzeit ein FWF-Projekt zu nationalen und transnationalen Aspekten des politischen Konfliktes um die grüne Gentechnik. Vergangenes Semester konnten sich Studierende der Politikwissenschaft an der Universität Wien in der Lehrveranstaltung "Globale Gentechnikpolitik" einen Überblick zu diesem überaus dynamischen Politikfeld verschaffen.
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