Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Technologie 
 
Probleme der Wissenschaftskommunikation in Japan  
  Im Rahmen eines längeren Forschungsaufenthalts in Japan konnte ich die Bekanntschaft von Eiko Suda von der Tsukuba University machen. Die Molekularbiologin ist derzeit in einem Feld tätig, das auch in Westeuropa en vogue ist, der Wissenschaftskommunikation.  
Technikfreundlichkeit
Man muß die Eigenart Japans nicht betonen. Shinto und Buddhismus, Jahrhunderte der Feudalherrschaft und Isolation, sowie die seit Mitte des 19. Jahrhunderts forcierte, rasante Modernisierung haben dieser Gesellschaft ihre spezielle Prägung verliehen.

Auch Japans unkompliziertes Verhältnis zur Technologie dürfte bekannt sein. Von Liftkabinen, die einen mit lieblicher Mädchenstimme begrüßen, bis zu den mittlerweile in fast allen Autos installierten GPS-Displays; High-Tech ist in Japans Alltagskultur allgegenwärtig und wird nicht - wie oft in unseren Breiten - als bedrohlich empfunden, sondern unverzüglich absorbiert.
Trend zur Wissenschaftskommunikation
Um so bemerkenswerter ist es, dass sich der Trend zur Wissenschaftskommunikation, der meist aus einen Mangel öffentlicher Zustimmung resultiert, auch hier niederschlägt. Zumindest auf den ersten Blick scheinen bestimmte Technologien auch in Japan mit öffentlicher Skepsis zu kämpfen zu haben.
Gentechnikskepsis?
Ähnlich wie im Westen könnte das bei den modernen Biotechnologien der Fall sein. So hat Japan ein Kennzeichnungsregime für gentechnisch veränderte Lebensmittel eingeführt, was dem importabhängigen Inselstaat erheblichen technische Aufwand abverlangt.

Anders als in Europa, wo der Markt Gentechnik (außer bei Futtermitteln) aus der Lebensmittelproduktion gedrängt hat, findet man in Japans Supermärkten heute daher zahlreiche gekennzeichnete Produkte. Freilich, Gentechnik-kritische NGOs, die es hier durchaus gibt, müssen für Japans Haltung nicht den Ausschlag gegeben haben.

Vielmehr könnten auch agrar- und handelspolitische Motive eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wird die landwirtschaftliche Gentechnik in Japan durchaus als Schlüsseltechnologie definiert und in Form einiger interessanter Entwicklungen der "zweiten und dritten Generation" gentechnisch veränderter Organismen gezielt gefördert.
Höfliche Zurückhaltung

Eiko Suda
Was auch immer der Grund sein mag, festzuhalten bleibt, dass sich die Wissenschaft mittlerweile auch in Japan um Vermittlung bemüht, wobei Eiko einer ersten Generation japanischer Forscher angehört, die sich gezielt dieser Aufgabe widmen.

Indes, so Eiko, scheint das Vorhaben an eben dieser Öffentlichkeit zu scheitern. Die Stimulierung von Diskussionsprozessen über die Humananwendungen der Genetik beispielsweise, so Eiko, erweist sich als unerhört mühsam.

Die Schwierigkeiten beginnen damit, Laien zur Teilnahme an Fokusgruppen zu motivieren, denn selbst in diesen kleinen Versuchsanordnungen zeigen Japaner wenig Neigung ihre Meinung offen auszusprechen.
Gruppenharmonie
Dafür dürfte es kulturelle Gründe geben. Offene Diskussion gilt in Japan als unangemessen - sie könnte die Harmonie der Gruppe stören. Argumentieren gefährdet Beziehungen, weil Meinungsverschiedenheiten sehr rasch "persönlich" werden und bleibenden Groll nach sich ziehen können.

Daher zieht man in Japan generell indirekte Kommunikationsformen vor, bleibt bei Andeutungen oder schweigt sich einfach aus. "Schweigen ist Gold," lautet die Maxime, an die man sich hier - im Unterschied zum Westen - auch hält, was die Verständigung für Europäer nicht immer einfach gestaltet.
Fragmentierte Solidarität
Das Streben nach Gruppenharmonie hat indes auch seine Kehrseiten. Eiko konstatiert einen sich hinter ostentativem Wohlverhalten verbergenden Mangel an Solidarität in der japanischen Gesellschaft. Für den Einzelnen ist die Zugehörigkeit zum Kollektiv lebenswichtig, für Außenstehende bedeutet sie oft Ausschluß.

Der notorischen Fixierung auf den Betrieb, der den meisten Japanern Lebensmittelpunkt ist, steht eine Schwäche der öffentliche Sphäre gegenüber - eine Konstellation, die die Monopolisierung von Entscheidungsprozessen im "eisernen Dreieck" aus Bürokratie, Industrie und der seit Jahrzehnten regierenden Liberal Demokratischen Partei begünstigt.
Entstehende kritische Szene
Für das Vorhaben die Öffentlichkeit aktiv in technologische Entscheidungsprozesse einzubeziehen gibt das eine schwierige Ausgangslage ab. Gleichwohl kann man heute nicht von einem Vakuum zivilen Engagements in Japan sprechen.

Seit den 80er-Jahren hat sich die Zahl kritischer NGOs in Japan vervielfacht, etwa im Unweltbereich oder der Entwicklungshilfe. Unter dem Eindruck von Korruptionsskandalen und des Erdbebens von Kobe in den neunziger Jahren ist auch das einst bedingungslose Vertrauen in die Bürokratie gesunken. Diese wiederum akzeptiert NGOs zunehmend als Gesprächspartner und Ratgeber.
Distanzierte Kritiker
Aber, so Eiko, selbst die Entstehung einer kritischen zivilen Sphäre dürfte auf eine sehr japanische Art und Weise verlaufen, zumindest was die Kritik and der Gentechnik anlangt.

Nicht nur ist sie gegenüber gleichartigen Entwicklungen im Westen um Jahrzehnte verzögert. Jene NGOs, die sich der Kritik an den neuen Biotechnologien verschrieben haben, scheinen auch in einer besonderen Distanz von der Öffentlichkeit zu agieren und sich unzugänglicher Fundamentalopposition verschrieben zu haben.

Schwere Zeiten also für die Japans entstehende Wissenschaftskommunikation. Inwieweit wir es hier mit einer spezifisch japanischen oder kulturell bedingten Situation oder aber den Protestmechanismen moderner Massenöffentlichkeit zu tun haben, bleibt indes zu klären.
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Zum Autor
Der Autor ist derzeit im Institute of Advanced Studies der United Nations University (UNU-IAS) in Yokohama tätig, einem UN Think Tank, der sich mit globalen Umweltproblemen beschäftigt. Obige Darstellung spiegelt nicht notwendig die Haltung des UNU-IAS wider.
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