Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Gentechnik: Mit WTO-Entscheidung ist nichts entschieden  
  Die Entscheidung des WTO-Panels zum Gentechnikstreit wird ein lange erwartetes Signal setzen, aber weder den transatlantischen noch den weltweiten Konflikt um die grüne Gentechnik entscheiden.  
Globalisierung wird sichtbar
Die nicht immer ganz freiwillige Anpassung unserer Gesellschaften an globale Freihandelsdisziplinen, ist nicht auf die Gentechnik beschränkt. Einschneidende Veränderungen sind in den kommenden Jahrzehnten - etwa in der Landwirtschaftspolitik wie auch bei bislang öffentlichen Dienstleistungen - zu erwarten.

Der Unterschied zu diesen oft unmerklichen Prozessen, ist indes die enorme Sichtbarkeit der Gentechnik. Bleiben die negativen Auswirkungen der Globalisierung oft diffus und individualisiert, ist "die Gentechnik" seit Jahren öffentliches Thema.

Mittlerweile fühlt sich fast jeder betroffen, denn ob unser Frühstück GVOs (gentechnisch veränderte Organismen) enthalten und ob man uns das überhaupt wissen lässt, beschäftigt doch die meisten. Entscheidungen wie jene des WTO-Panels werden daher weit stärker wahrgenommen. Globalisierung wird sichtbar, und das setzt die Politik unter Handlungsdruck.

WTO erklärt Importschranken von Gentech-Produkten für rechtswidrig (ORF.at; 8.2.06)
EU: Zwischen nationalem Widerstand ...
Da die rechtliche Regelung der Gentechnik auf europäischer Ebene liegt, lastet dieser Druck wesentlich auf der Europäischen Kommission. Diese sah sich seit den späten 1990-er Jahren gezwungen, ein überaus restriktives rechtliches Regime aufzubauen.

Sie hatte dabei mit mehreren Problemen zu kämpfen. Einerseits musste sie auf den BSE-Skandal und eine Welle weiterer Lebensmittelkrisen seit Mitte der 1990-er reagieren, indem sie den Konsumentenschutz stärkte. Die Gentechnik betraf das in erster Linie aufgrund der lange Zeit ungeregelten Kennzeichnungsfrage.

Ferner war die Kommission dem Druck einer Allianz von Mitgliedstaaten, darunter Österreich, ausgesetzt, die mit ihrer Sperrminorität von 1999 und 2004 jede weitere GVO-Zulassung verhinderten, und so auf immer weitere Verschärfungen des neuen Regelungsgefüges drängten.
... und globaler Freihandelsdisziplin
Dieses "politische Moratorium" und eine Serie nationaler Verbote (darunter jene Österreichs) stellten einen, selbst nach EU Recht, gesetzwidrigen Zustand dar - wie nun auch durch die WTO bestätigt wurde. Der Preis dieses Zustandes könnten beträchtliche Strafzölle sein, die von der europäischen Wirtschaft zu tragen sein werden - wenn keine diplomatische Lösung ausgehandelt wird.

Versuche der Kommission den Schaden zu begrenzen, sind nur zum Teil erfolgreich. So konnte die Hüterin des Gemeinschaftsrechts zwar das Moratorium beenden, und ließ - stets im Alleingang und ohne klare Mehrheit der Mitgliedstaaten - mittlerweile sieben GVOs zu. An den nationalen Verboten aber scheiterte sie bislang.

Dies läuft der Kernstrategie der Kommission zuwider, mit Hilfe des neuen, strengen Regelungsgefüges, das ebenso die populäre Aversion gegen die Gentechnik beschwichtigen, wie auch deren weitere Markteinführung ermöglichen soll, die Europäische Situation mit globalen Freihandelszwängen kompatibel zu machen.
Märkte setzen Standards
Kurz: Allein das europäische Regelungsgefüge in seiner jetzigen Form bildet - wenn auch keine Schranke - so doch eine erhebliche Schwierigkeit für den Import von GVOs und damit ein Ärgernis für die Klägerparteien. Das um so mehr, als die großen Agroexporteure primär auf die mächtigen europäischen und japanischen Märkte abzielen.

Doch wurde nicht gegen die europäische Regelung geklagt, sondern gegen nationale Regelbrüche, die wie eine protektionistische Handelsschranke funktionieren. Es fragt sich auch, ob eine solche Klage Erfolgsaussichten hätte, da die europäische Regelung zwar restriktiv, aber gleichzeitig auf WTO-Konformität angelegt ist.

Das WTO-Urteil wird an diesem über Jahre ausgetüftelten Regelungsgefüge vermutlich nichts ändern. Und da es die großen Märkte sind, die global die Standards setzen, werden die auf die grüne Gentechnik setzenden Agroexporteure auch in Hinkunft schwierige Bedingungen vorfinden.
Weltmarkt: Kein glanzvoller Siegszug
Auch bislang war die nunmehr zehnjährige Karriere der landwirtschaftlichen Gentechnik keineswegs so glanzvoll wie die stetige Ausweitung der weltweiten Anbaufläche suggeriert.

Nach wie vor sind es primär die großen Agroexporteure USA, Kanada und Argentinien, die auf die Technologie setzen, - erst seit kurzem begleitet vom großen Sojaproduzenten Brasilien. Andere Hoffnungsgebiete wie Afrika, Südostasien, China oder Indien geben sich hingegen weit zurückhaltender. Hier findet lediglich transgene Baumwolle Absatz.

Die Regelungen in China sind in mancher Hinsicht sogar restriktiver als die der EU. Das überrascht zunächst, da China die landwirtschaftliche Biotechnologie seit Jahren forciert. Doch übt man Vorsicht in Hinblick auf die heiklen japanischen und europäische Absatzmärkte.
Konsumentenmacht entscheidet
Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung der Entwicklungs- und Schwellenländer sind also schwierige regionale Absatzbedingungen, an erster Stelle in der EU. Und trotz der Signalwirkung der WTO-Entscheidung, gibt es derzeit keinen Grund anzunehmen, dass sich diese rasch ändern werden.

Dazu kommt schließlich die Reaktion des Lebensmittelhandels in Europa und Japan. Dieser hat - unter Druck der Kritiker - in diesen Regionen GVOs aus der Produktion gedrängt.

Die Anti-Gentechnik Bewegung, die man wohl als eine der wirkungsvollsten neuen sozialen Bewegungen der vergangenen Jahrzehnte bezeichnen kann, verdankt ihren Erfolg vor allem der geschickten Instrumentalisierung von Konsumentenmacht. Diese wird langfristig auch die Entscheidung im globalen Konflikt um die landwirtschaftliche Gentechnik bringen.

[10.2.06]
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Der Autor leitet ein FWF-Projekt zu politikwissenschaftlichen Aspekten des Gentechnikkonflikts und arbeitet derzeit am United Nations University Institute for Advanced Studies (UNU-IAS) in Yokohama zu den globalen Auswirkungen dieses Konflikts. Seine Meinung deckt sich nicht notwendig mit jener des UNU-IAS.
->   UNU-IAS
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->   Nachrichtenüberblick zum Thema (europa2006.at)
Mehr zum Thema auf science.ORF.at:
->   Landwirtschaft: Gentechnik weltweit im Vormarsch (6.2.06)
->   Zehn Jahre in EU: Österreich trotzt Gentech-Mais (6.12.04)
->   Grüne Gentechnik: Chance oder Fluch für 3. Welt? (22.7.05)
 
 
 
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