Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Umwelt und Klima 
 
Die EU als "Player" am Feld globaler Gentechnikpolitik  
  In Österreich verengt sich die Diskussion um das gesellschaftspolitische Konfliktfeld Ernährung oft auf die Gentechnik: Man ist stolz auf die nationale "Gentechnikfreiheit." Doch was passiert im globalen Politikfeld Gentechnik? Und welche Rolle spielen die EU und Österreich darin?  
"Österreich bleibt gentechnikfrei"
So lautet eine der solidesten Übereinstimmungen der Regierungskoalition und auch darüber hinaus gibt es keine ernst zu nehmende Stimme im Land, die diesen Konsens brechen würde. So kommt es wohl auch, dass man sich in Österreicher noch nicht einmal an Versuchfreisetzungen von Gentechnisch Veränderten Organismen (GVO) gewagt hat.

Der Grund für diese - im europäischen Vergleich - radikale Ablehnung der landwirtschaftlichen Gentechnik liegt letztlich in ihrer extremen Unbeliebtheit. Vor diesem Hintergrund hat auch die Politik ihre anfängliche Reserviertheit gegen die Verbotsforderungen der Gegner aufgegeben.

Das gilt auch für Österreichs Landwirtschaftspolitik, die sich vor einigen Jahren noch zumindest die Option zu GVO-unterstützten Produktion offen halten wollte. Mittlerweile hat der als Vorzeigeinnovation hochgehaltene biologische Landbau Priorität erhalten: Um ihn vor GVO-Verunreinigungen zu schützen, sucht man der Gentechnik über eine Reihe politischer und rechtlicher Maßnahmen landesweit das Wasser abzugraben.
Europäischer Zwist
In der Europäischen Kommission ist man darüber nicht erfreut. Vor allem Österreichs Festhalten an mittlerweile vier Verboten von EU-weit zugelassenen GVOs (deren ältestes, jenes des sog. Bt-176 Maises der Firma Syngenta, vor kurzem sein zehnjähriges Bestandsjubiläum feiern durfte) sorgen für Spannungen.

Nach Einschätzung der WTO sind es vor allem nationale Verbote dieser Art, die nicht nur gegen EU-Recht sondern auch gegen internationale Freihandelsrecht verstoßen.

Daher sucht die Kommission, welche EU- und WTO-Recht harmonisieren will, diese nationalen Verbote zu kippen. Bislang hatte sie damit aber aufgrund mangelnder Unterstützung der anderen EU-Mitgliedstaaten keinen Erfolg.
Die Gentechnik "möglich machen"
Oft sieht man die Kommission als Akteur, der die Gentechnik am gemeinsamen Markt gegen nationale Widerstände einführen, sie den unwilligen Europäischen Konsumenten und Bauern aufzwingen will.

Diese Einschätzung ist überzeichnet. Die Europäische Regelung ruht auf dem Prinzip der Wahlfreiheit: Daher auch die strikte Kennzeichnungsregelung und der mühselige Aufbau von Regelungen zur Koexistenz von gentechnischer und gentechnikfreien Produktionstypen.

Ein Körnchen Wahrheit enthält sie aber doch; denn schließlich geht es der Kommission auch darum, die landwirtschaftliche Gentechnik möglich zu machen, wobei der liberale Grundsatz gilt: sollte wissenschaftlich nicht erkenntlich sein, dass von einem GVO eine Gefahr ausgeht, ist dieser zuzulassen. Nationale Verbote unterlaufen dieses Prinzip - so die Lesart von Kommission und WTO - und sind daher zu bekämpfen.
Jenseits des Schrebergartens
Mittlerweile beschäftigen sich einige Analysen mit dieser scheinbar paradoxen Gentechnikpolitik der EU: Einerseits hat man ein nach internationalen Maßstäben denkbar strenges Regelwerk aufgebaut, andererseits fahren gentechnikfeindliche Mitgliedstaaten - z.B. Österreich, Frankreich, Italien, Dänemark, Griechenland, Ungarn - fort, für sich einen noch strengeren Sonderstatus einzufordern und dieses Regelwerk so zu unterlaufen.

Bislang wenig analysiert sind indes die globalen Auswirkungen der europäischen Entwicklung. Dabei liegt die Frage nur nahe: Schön und gut, dass Europas Überflussgesellschaften ein Stück Wahlfreiheit gewonnen haben, doch was bedeutet das für den Rest der Welt? Oder böse gefragt: Was passiert eigentlich außerhalb unseres gentechnikfreien Schrebergartens?

Wie üblich in dem Zusammenhang dominiert die Polemik: An die EU geht der Vorwurf, mit ihren strengen Regelungen schotte sie sich gegen die Konkurrenz der Entwicklungsländer ab und verhindere die einzige Technologie, die den Hunger der Welt stillen könne. Indes sehen die Gegner der Gentechnik in dieser nur das Profit- und Machtwerkzeug der großen Konzerne und Agro-Exportmächte.
Global Governance
Abseits der Polemik habe ich mich in letzter Zeit (unterstützt vom Wissenschaftsfonds FWF) mit der Rolle der EU im Kontext eines entstehenden globalen Regelungsgefüges der Gentechnik beschäftigt. In dem Zusammenhang hat sich der Begriff "Global Governance" eingebürgert, was einen Zustand internationaler Politik bezeichnet, der, ohne dass es eine Weltregierung oder einen Weltstaat gäbe, einen sehr hohen Ordnungsgrad aufweist.

Im Fall der Gentechnik wird diese Ordnung durch internationale Institutionen und Abkommen meist unterschiedlicher Zielrichtung hergestellt: Die zentrale Säule des Systems ist das WTO-Streitschlichtungssystem. Mit seinem Ziel, dem freien Handel den Weg zu ebnen, lässt dieses System allein wissenschaftlich nachweisliche Gefahren als Gründe für GVO-Handelsbeschränkungen gelten.

Ökologische Sicherheitsfragen stehen hingegen im Zentrum des Protokolls Biologischer Sicherheit, der zweiten Komponente der Global Governance landwirtschaftlicher Gentechnik. Drittens ist die Codex Alimentarius Kommission zu nennen, eine internationale Organisation zur Erstellung internationaler Lebensmittel- und Hygienestandards.
Die EU als Gentechnik-kritischer "Global Player"
Untersucht man nun den Einfluss der EU auf dieses entstehende Regelungsgefüge, kommt man zur Einsicht, dass diese im globalen Kontext durchaus auf strengere Regelungen für die Gentechnik hinarbeitet.

Das lässt sich vor allem für die beiden letzten Säulen des oben beschriebenen Systems demonstrieren: das Protokoll biologischer Sicherheit und den Codex Alimentarius, wo man versucht das von den USA abgelehnte Vorsorgeprinzip oder eine offenere Definition des wissenschaftlichen Risikobegriffs zu stärken.

Im Zuge des jüngsten WTO-Verfahrens hat man von europäischer Seite auch versucht die Interpretation von WTO-Regeln in diesem Sinn zu beeinflussen - indes ohne Erfolg. Da das WTO-Streitschlichtungssystem die stärkste Komponente in der Global Governance der landwirtschaftlichen Gentechnik bildet, sagt das einiges über die Machtverhältnisse innerhalb dieses Systems aus.
Sand im Getriebe
Jedenfalls wird deutlich, dass die EU nicht allein als Wegbereiterin der landwirtschaftliche Gentechnik fungiert, sondern gleichzeitig global auf deren strengere Kontrolle pocht. Der Grund liegt auf der Hand: Große Wirtschaftsmächte versuchen im Allgemeinen ihre eigenen Standards weltweit zu etablieren, um sich so wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen.

Deutlich wird damit auch die globale Rolle eines sich standfest der landwirtschaftlichen Gentechnik verweigernden Landes wie Österreich: Während dieses in Allianz mit weiteren Mitgliedsländern für erhebliche Dissonanzen zwischen EU- und WTO-Recht sorgt, erhöhte es auch den Druck auf die Kommission zur Etablierung jenes restriktiven Regelungsregimes, welches diese nun gegen ihre globalen Konkurrenten behaupten muss.

[23.3.07]
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Literatur
F. Seifert: Oberösterreichs Gentechnikverbot. Absehbares Scheitern, ungewöhnliche Allianzen. SWS-Rundschau (46. Jg.) Heft 4/2006 : 409-431.
F. Seifert: Divided we stand: The EU as dissonant player in the global governance of agro-food biotechnology. UNU-IAS: Yokohama/Japan 2006.
->   Zur Studie in UNU-IAS
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