Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Wissen und Bildung 
 
Glaube an die Wissenschaft ist selektiv  
  Gesellschaftliche Reizthemen wie die Gentechnik bewegen die Gemüter: Weil es dabei oft um Wahrheitsfragen geht, hat die Wissenschaft ein entscheidendes Wort mitzureden. Doch oft wird diesem Wort nicht geglaubt. Dass Wissenschaft aber selbst für die "Ungläubigen" unverzichtbar bleibt, zeigt ein Beispiel von französischen Gegnern der Gentechnik.  
Chez les faucheurs
Vor ein paar Wochen führten mich meine Recherchen in ein Zeltlager von Anti-Gentechnik-Aktivisten im ländlichen Frankreich. Man muß wissen, dass die französische Bewegung gegen die landwirtschaftliche Gentechnik die bei weitem radikalste in Europa ist.

Mit den faucheurs volontaires, den "freiwilligen Mähern", hat sich ein landesweites Kollektiv organisiert, welches mittels Zerstörungen von Versuchsfeldern mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) und Saatgutlagern die landwirtschaftliche Gentechnik stoppen will.

Seit zehn Jahren zerstört diese Bewegung in Frankreich hunderte Versuchsfelder und übt - getragen von den Sympathien der Öffentlichkeit - erheblichen Druck auf Industrie, Forschung und Politik aus.
Die Wissenschaft lügt
Aus den zahlreichen Gesprächen, die ich bei meinem Aufenthalt führen konnte, wurde u.a. eine charakteristische Einstellung zur Wissenschaft deutlich, die man auf den Punkt bringen könnte mit: Die Wissenschaft lügt.

Demzufolge steht die Wissenschaft im Dienst der Reichen und Mächtigen. Gälte es Märkte zu erobern und Verwertungsinteressen abzusichern, spielte sie nur zu gerne ihren Part, der vor allem darin bestünde, die Unbedenklichkeit von Produkten zu beglaubigen. Die Wahrheit hingegen würde unterdrückt, wo sie mächtige Interessen gefährde.

Das jüngste Beispiel sei das des Molekularbiologen Christian Vélot. Ihm, der sich in öffentlichen Vorträgen auf seiten der Gentechnikskeptiker engagierte, seien alle Forschungssubventionen gestrichen worden. Da sähe man, wie es um die Wertfreiheit der Wissenschaft bestellt ist.
Feldaktion geplant
Am Ende des Treffens ergab sich eine Situation, die ich näher schildern möchte, weil sie meiner Meinung nach Aufschluss über das Sprechen der Wissenschaft und unser Vertrauen in dieses Sprechen gibt.

Die Zusammenkunft sollte ihren Abschluss in einer gemeinsamen Aktion finden. Ein Fahrzeugtross setzte sich in Bewegung. Man wollte ein GVO-Feld besuchen. Sollte dieses mit einer in Frankreich verbotenen Maissorte bebaut sein, würde man die Behörden benachrichtigen und auffordern ihres Amtes zu walten, das heißt die Pflanzen zu vernichten.

Handelte es sich aber um einen zugelassenen Feldversuch, müsse man auf eigene Faust "Maßnahmen" setzen. Dass die Zulassungen solcher Feldversuche auf wissenschaftlichen Gutachten beruht, spielte dabei keine Rolle: Die Wissenschaft lügt.
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Schwerpunkt: "Sprechen Sie Wissenschaft?"
"Sprechen Sie Wissenschaft? Wissenschaftssprache im öffentlichen Dialog" heißt eine Initiative von BMWF und Ö1 Wissenschaft. Forscher und Forscherinnen verschiedener Disziplinen reflektieren dabei in science.ORF.at in Gastbeiträgen und Interviews über den wissenschaftlichen Sprachgebrauch und den Bedarf an Wissenschaftskommunikation.
->   Initiative
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Gen-verändert oder nicht?
Die Aktion war von den Organisatoren wohl vorbereitet. Den zahlreichen versammelten Sympathisanten wurde jeder Schritt erläutert. Dabei wurde klar, dass sogar Feldzerstörungen technische Probleme aufwerfen, darunter zentral jenes der Identifikation des Feldes.

Eigentlich klar: GVO-Felder sind von normalen Äckern nicht zu unterscheiden. Sie sind nicht eigens gekennzeichnet. Das französische Gentechnik-Recht verlangt auch kein Register, das eine exakte Lokalisierung ermöglichen würde. Die genauen Standorte der Versuchsfelder müssen lediglich den Nachbarn bekanntgegeben werden.
Der entscheidende Test
Wie also erkennt man ein GVO-Feld? Man benötigt: erstens Tipps aus der Nachbarschaft, und zweitens entsprechende DNA-Tests. Diese braucht man, um auf Nummer sicher zu gehen. Schließlich will man kein x-beliebiges Maisfeld abmähen. Solche Tests werden mittlerweile von NGOs vertrieben.

Nachdem man sich nahe der verdächtigten Felder versammelt hatte, verschwanden einige Aktivisten im Mais. Die Stimmung war zugleich gespannt und feierlich. Einige intonierten das Kampflied der faucheurs: Ni sur les champs, ni dans les assiettes - les OGM on en veut pas! (Weder am Feld noch auf dem Teller - Wir wollen keine GVO).
Laborarbeit im Feld
Aber würde man zur Tat schreiten? Das konnte nur der Test erweisen. Nach einer Weile kamen die Aktivisten wieder aus den Feldern hervor. Jetzt steckten ihre Hände in sterilen Handschuhen, hielten Plastiksäckchen mit den Blattproben. Begleitet von den Erklärungen der Organisatoren wurden nun die Tests auf einem altarartigen Feldlabortisch begonnen.

Dieser war sogleich umringt von der Menge, die gespannt die Verrichtungen der Experten verfolgte. Die Spannung stieg, während die Tests liefen. Allein ihr Ergebnis sollte darüber entscheiden, ob man eine illegale Handlung setzen würde - mit womöglich unabsehbaren Folgen, denn Feldzerstörungen, deren Urheber sich in der Regel offen zu ihnen bekennen, resultieren oft in empfindlichen Strafen für die Beteiligten.
GVO oder nicht GVO?
 
Bild: Franz Seifert

Um den Labortisch im Feld
Es spricht: Die Wissenschaft
Ich fand die Situation bemerkenswert. Denn wer durch diesen Test spricht, ist niemand anderes als die Wissenschaft - die Wissenschaft in ihrer Funktion als Wahrheitssprecherin - nun in ihrer Autorität gänzlich unangefochten von kritischem Argwohn.

Und sie spricht die klare Sprache, die wir uns von ihr wünschen: "Verfärbt sich die eine Bahn des Teststreifens rot, so bedeutet das, dass der Test funktioniert", wurde erklärt. "Erscheinen dann weitere Farben, haben wir es mit GVOs zu tun."

Spannung. Wie würde der Test/die Wissenschaft entscheiden?
Wissenschaft und Weltbild
Zuvor feindselige Skepsis, jetzt gläubiges Warten auf die Wahrheitsverkündung durch die Wissenschaft. Ich meine, in dieser Situation wird ein Gegensatz sichtbar, der keineswegs allein die faucheurs betrifft, sondern eine grundsätzliche Schwierigkeit im Verhältnis von Gesellschaft und Wissenschaft.

Kern dieser Schwierigkeit ist, kurz gesagt, dass wir dazu neigen, jene wissenschaftlichen Aussagen zu glauben, die mit unserem Weltbild übereinstimmen, und jene zurückzuweisen, die das nicht tun.

Wir tun das - etwa in Medizin, Umweltkonflikten und in allen Aspekten unserer Selbstbeschreibung - mit der gleichen Bestimmtheit, mit der wir auf unser Recht auf Autonomie pochen.
Krisenvermeidung?
Diese Erkenntnis ist nicht neu, neu ist aber das gesteigerte Interesse an ihr. Denn vor allem da, wo mangelndes Vertrauen in Wissenschaft und Staat technologische Projekte gefährdet, suchen Politik, Industrie, Forschung, die Werbebranche und nicht zuletzt die Sozialwissenschaften die Ursachen von Vertrauenskrisen zu ergründen.

Das Bemühen ist groß, solche Krisen möglichst vorweg zu erkennen und mittels Wissenschaftskommunikation, Diskurs und - in milden Dosen - Partizipation zu bändigen. Als Kandidat für ein solcherart gefürchtetes "Schiefgehen" der Kommunikation gilt derzeit beispielsweise die Nanotechnologie.
Misstrauen als Chance
Wie wirkungsvoll diese Bemühungen sind, ist schwer zu sagen. Mir ist allerdings kein Fall einer erfolgreich vorausgesagten und entschärften Vertrauenskrise bekannt. Über mögliche Vertrauenskrisen lässt sich mutmaßen, ihr Ausbrechen aber nicht voraussagen, und wahrscheinlich auch nicht durch "Aufklärung" vermeiden.

Man sollte auch bemüht sein, ein solch radikales Mißtrauen nicht vorschnell als "irrational" abzutun. Nicht dass "überall ein Körnchen Wahrheit" steckte, oder dass "alle irgendwie recht" hätten. Denn das haben sie nicht, und irgendwann stößt auch die größte Toleranz auf ihre praktischen Grenzen.
Funktion der Wahrheitssprechung
Doch ist Mißtrauen eine zentrale Eigenschaft von Demokratie. Liberale Demokratietheoretiker wie Karl Popper haben Demokratie geradezu als institutionalisiertes Misstrauen beschrieben. In Demokratien zu leben, bedeutet daher mit dem Misstrauen zu leben - wovon keine Instanz ausgenommen ist.

Und doch: Ohne Wissenschaft geht es nicht. Wie unser Fall zeigt, ist die wahrheitssprechende Funktion der Wissenschaft letztlich unverzichtbar - sogar jenen, denen die Wissenschaft als Lügnerin gilt.

Denn sie allein setzt die Fixpunkte, von denen aus wir unser Handeln organisieren - selbst wenn dessen Motive womöglich auf Chimären beruhen.
Unbehagliches Zusammenleben
Das mag ein schwacher Trost sein für die, die misstrauische Protestbewegungen für irrationale, ideologische Auswüchse halten. Doch führt wohl auch weiterhin kein Weg am unbehaglichen Zusammenleben dieser Bewegungen mit Politik, Industrie und Wissenschaft vorbei. Zumindest kein planbarer.

Was der Test ergab? Dass es sich um ein ganz normales Maisfeld handelte. Manche Teilnehmer konnten ihre Enttäuschung nur schwer verhehlen. Unverrichteter Dinge zog man von dannen.

[5.9.08]
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