Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung .  Leben 
 
Gentechnik-Widerstand in Österreich und Frankreich
Nationale Abschottung und globale Systemkritik
 
  Österreich und Frankreich haben überaus starke Anti-Gentechnik-Bewegungen hervorgebracht, die sich in mancher Hinsicht allerdings auch wesentlich unterscheiden. Wie lassen sich diese Unterschiede erklären und beurteilen?  
Protestbewegungen als politische Kraft
Soziale Bewegungen - wie etwa jene gegen die zivile Nutzung der Atomkraft, die Benachteiligung der Frau oder den Neoliberalismus - mobilisieren Kräfte, die aus der Politik - zumindest der westlichen Welt - nicht mehr wegzudenken sind.

Vieles, was liberale Demokratien und Sozialstaaten heute als selbstverständliche Rechte verbriefen, geht auf das beharrliche Engagement von Bewegungen zurück. Und obwohl sich deren konkreten Wirkungen oft schwer eingrenzen lassen, steht außer Frage, dass es diese Wirkung gibt, und sei es in der Generierung alternativer Ideen, die unter günstigen Umständen von der "offiziellen" Politik aufgegriffen werden können.
Einflussreiche Habenichtse
Vergleicht man Bewegungen mit den anderen großen Akteuren der Politik - Parteien, Lobbygruppen, Staaten, oder internationale Organisationen - sticht vor allem eines ins Auge: ihre Ressourcenarmut. Bewegungen bieten allein ideelle Anreize zur Teilnahme, und weil man von Idealen und Überzeugungen nicht leben kann, sind sie organisatorisch fragil und nehmen meist nur in Mobilisierungsphasen sichtbar Gestalt an.

Der mitunter hohe Einfluss, den Bewegungen gleichwohl ausüben, verdankt sich öffentlicher Resonanz, die sie über moralische Appelle, die Aufdeckung von Missständen und strategische Allianzbildung und Öffentlichkeitsarbeit erzielen. Aufgrund ihrer Ressourcenschwäche hängen Bewegungen dabei mehr als andere politische Akteure vom jeweiligen Umfeld ab.

Generell gilt: Je offener ein politisches System - etwa durch Verfahren direkter Demokratie - desto größer die Erfolgschancen einer Bewegung. Je geschlossener und elitärer ein System, desto geringer die Erfolgschancen, desto höher aber auch die Neigung zur Radikalisierung.
Aus dem Vergleich lernen
Die Anti-Gentechnikbewegung ist eine der durchschlagskräftigsten Umweltbewegungen der letzten Jahrzehnte. Will man etwas über Arbeitsweise und Erfolgsbedingungen sozialer Bewegungen lernen, liegt es nahe, diese Bewegung näher zu untersuchen und sich dabei den Einfluss des nationalen Kontextes anzusehen.

Daher habe ich in einer jüngsten Vergleichsstudie die Bewegungen in Österreich und Frankreich untersucht. Beide Länder gehören aufgrund starker Mobilisierungen gegen die landwirtschaftliche Gentechnik zu den exponiertesten Ablehnerländern der EU und in beiden Ländern spielen ländliche Akteure eine wichtige Rolle. Doch finden sich auch markante Unterschiede.
Österreich: Einhellige Abschottung
In Österreichs Anti-Gentechnikbewegung agieren professionelle Umweltorganisationen - Greenpeace und Global 2000 - als zentrale Akteure. Kritische bäuerliche Gruppierungen stehen demgegenüber eher im Hintergrund. In Österreich war die Anti-Gentechnikbewegung höchst erfolgreich: Sie mündete in eine im Konsens getragene, die Interessen der Biolandwirtschaft privilegierenden Abschottungspolitik.

Ziel dieser Politik ist die Verhinderung von Freisetzungen Gentechnisch Veränderter Organismen (GVO). Der sie tragende Konsens ist so umfassend, dass sich mittlerweile praktisch keine Stimme für die grüne Gentechnik mehr hören lässt.

Gleichzeitig stehen Gentechnikaktivisten in Kooperation mit staatlichen Entscheidungsträgern, ja sind teils prominent in das politische System integriert.
Frankreich: Globalisierungskritische Bauernrevolte
Im Gegensatz dazu stehen in Frankreich bäuerliche Akteure an vorderster Front einer radikalen, bis heute andauernden Protestbewegung. Deren Vorfeldorganisation, die faucheurs volontaires ("freiwillige Mäher "), die globalisierungskritische Bauernorganisation Confédération Paysanne und der charismatische Aktivist José Bové halten mit der Zerstörung von GVO-Versuchsfeldern seit gut zehn Jahren Frankreichs Behörden, Gerichte und Öffentlichkeit in Atem.

Auch diese Bewegung hat Frankreichs nationale Politik beeinflusst. In der EU gehört Frankreich zu den aktivsten Gentechnikkritikern, und erst im vergangenen Jahr wurde der kommerzielle GVO-Anbau per Verbot gestoppt. Doch war diese Politikwende in der Biotechnologienation Frankreich weit weniger radikal. GVO-Versuchsfreisetzungen gehen etwa - wenn auch reduziert - weiter, und werden weiterhin von Aktivisten attackiert.
Die Rolle der Landwirtschaftspolitik
Auf den ersten Blick bestätigen diese Protestmuster die Erwartungen: Einen wichtigen Impuls für Österreichs Abschottungspolitik lieferte etwa das direktdemokratische Verfahren der Volksbefragung. Frankreich hingegen gilt aufgrund seiner elitären, Bewegungsanliegen systematisch frustrierenden politischen Kultur geradezu als Heimat radikalen Protestes. Das Auftreten einer radikalen Anti-Gentechnikbewegung überrascht daher nicht.

Ein weiterer, erklärender Faktor liegt allerdings in den unterschiedlichen Landwirtschaftspolitiken der beiden Länder. So ließ sich Österreichs Abschottungspolitik gut in eine den Biolandbau schützende (und finanziell stützende) Europäische Nischenstrategie einpassen.

Europas größter Landwirtschaftsproduzent Frankreich hingegen hat in den vergangenen Jahrzehnten massiv auf Technisierung und Produktivitätssteigerung gesetzt. Diese Politik hatte nicht nur hohe ökologische Kosten, sie hat auch zahlreiche Verlierer unter Frankreichs Bauern hervorgebracht. Das massive Auftreten linksökologischer Bauernorganisationen gegen die Gentechnik ist allein vor diesem Hintergrund zu verstehen.
Instrumentelle und diskursive Wirkung
Auffällig am französischen Gentechnik-Widerstand ist auch, dass er sich nicht mit einer nationalen Blockade begnügt, sondern prominent im internationalen Bewegungsnetzwerk gegen die neoliberale Globalisierung agiert. Während sich in Österreich alles darum dreht, auf eigenem Boden "gentechnikfrei" zu bleiben, ist Frankreichs Gentechnik-Widerstand viel mehr Vehikel einer grundsätzlichen und international ausstrahlenden Systemkritik.

In der Bewegungsforschung, in der man bestrebt ist Wertungen zu vermeiden, würde man Österreichs Bewegung daher attestieren, instrumentell erfolgreicher zu sein, während man den Erfolg von Frankreichs Bewegung eher diskursiv in der Propagierung alternativer politischer Ideen sehen kann. Instrumentelle wie auch diskursive Wirkungen gehören zu den wesentlichen sozialen Leistungen sozialer Bewegungen.

[3.3.09]
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Eine deutsche Version der Studie findet sich in der jüngsten Ausgabe der SWS Rundschau.
Franz Seifert (2008): Einhellige Abschottung und globalisierungskritische Bauernrevolte - Widerstand gegen die grüne Gentechnik in Österreich und Frankreich, in: SWS Rundschau 48 (4): 485-504.
->   SWS Rundschau
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->   Gentechmais-Verbot in Österreich bleibt (2.3.09)
->   Alle Beiträge von Franz Seifert in science.ORF.at
 
 
 
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