Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
Zum Verbleib der Politik - Replik auf Ulrich Körtner  
  Jüngst diagnostizierte Ulrich Körtner "eine bedenkliche politische Entwicklung": "Unangenehme politische Fragen (würden) kurzerhand zu ethischen erklärt und an entsprechende Kommissionen delegiert." Und die würden dann politisch instrumentalisiert. Noch dazu von beiden Seiten.  
Die Ethik der globalen Wirtschaftsliberalisierung
Die Politik wolle ihre Entscheidungen "ethisch" legitimiert sehen, die zivilgesellschaftliche Opposition wieder schöbe den Ethikern für ebendiese unliebsamen Entscheidungen den schwarze Peter zu. So falle die Ethik einer "subtilen Form des Populismus" zum Opfer.

Ja, dachte ich, und fand die Aufrichtigkeit eines Ethikers, der so offen die politische, also recht un-ethische Vereinnahmung seiner Profession bekannte, bemerkenswert. Ja, auch Bioethik-Komitees sind verpolitisiert. Und ja, wie leicht ersichtlich, gehören sie sogar zum gängigen Repertoire wertkonservativ-wirtschaftsliberaler Politik.
Dem freien Spiel des Marktes überlassen
Mit ihrer Hilfe lassen sich in Bereichen ohne industrielle Relevanz (wie Humanklone oder Keimbahntherapie) ethische Sperren errichten. Das ist populär und tut meist keinem weh. Die zahllosen Felder der Biotechnik aber, die aufgrund ihrer industriellen Verwertung dramatische "Anpassungen" nach sich ziehen, können demgegenüber sich selbst, d.h. dem freien Spiel des Marktes überlassen bleiben.

Gerade die Biopatentrichtlinie berührt mächtige Interessen. In ihr laufen die Fäden eines globalen Konflikts zusammen: Europa sucht im Zeichen des globalen Innovationswettlaufs entwicklerfreundliche Eigentumsrechte zu vereinheitlichen; die USA leisten durch globale Ausweitung ihres Rechtssystems ihren HighTech-Industrien Schützenhilfe; die innovationsschwachen Entwicklungsländer sehen sich wie schon so oft als die Verlierer
Ausweg repräsentative Demokratie?
Andererseits hatte ich dann auch so meine Zweifel. Denn Körtner will "die Politik" dorthin zurückschicken, wo sie von Rechts wegen hingehört, in die Institutionen repräsentativer Demokratie, notabene ins Parlament. An der "bedenklichen politischen Entwicklung", des Abbaus repräsentativer Demokratie, ändert das allerdings wenig. Gerade der Gentechnik-Konflikt illustriert, wie sekundär ihre Institutionen geworden sind.

Nicht nur, dass die Gentechnik ohne den - mithin höchst "populistischen" - Faktor Öffentlichkeit und seine zivilgesellschaftlichen Nutzer kaum je zum Politikum, geschweige denn "Ethikum" geworden wäre. Auch hat sich "Politik" in Sphären zurückgezogen, in denen Techniker, Administratoren, Experten das Sagen haben. Ulrich Beck nennt diese Sphären Sub-Politik.
Auch Risiko ist Politikersatz
Das wird auch an einem Gegenbeispiel deutlich, den Risiken der Gentechnik. Sie zu bestimmen ist Vorrecht der Wissenschaft. Und die Wissenschaft bestimmt sie - seit gut 30 Jahren - ganz und gar uneinheitlich. In den USA gilt die Gentechnik in Landwirtschaft und Lebensmitteln als um nichts gefährlicher als irgendeine andere Produktionstechnik, in Europa gilt das Vorsorgeprinzip.
Eine Hintertüre
Auch hier besteht ein starker Zusammenhang mit weltweiter Wirtschaftsliberalisierung. Denn die WTO verbietet jeden Grund, den freien Handel mit gentechnisch veränderten Produkten zu limitieren, außer den ihrer wissenschaftlich nachgewiesene Gefährlichkeit.

Da nunmehr allein das wissenschaftliche Risiko Entwicklung und freien Handel mit der Gentechnik zu blockieren vermag, findet die Politik ihre Hintertür eben durch die Gremien der Risikoexperten. Deren Expertise ist nicht unpolitisch. Sie bleibt in eine Matrix an Interessen und Werten eingeschlossen.

Es bleibt zwar uneingestanden, da es eine für alle nützliche Arbeitsteilung ad absurdum führen würde, aber: In den Gremien der Risikoexperten verschmilzt die Politik mit der Wissenschaft ebenso wie in den Ethik-Komitees mit der Ethik.
Demokratie in der Krise
Repräsentative Demokratie befindet sich in der Krise und Populismen in ihren vielfachen Schattierungen sind deren Symptom. Die Wurzeln der Krise sind mannigfach:

Die Explosion technologischer Komplexität schafft schier unüberwindliche kognitive Barrieren, individualisierten Gesellschaften genügen althergebrachte Beteiligungsangebote nicht mehr, die Sachzwänge globalisierten Wirtschaftens und die Bindungen an internationale Regelwerke engen den Handlungsspielraum nationaler Demokratien ein. Supranationale Demokratien sind indes noch nicht etabliert.
Verbleib der Politik - Verbleib der Demokratie
Statt sich aber auf das zwar rechtlich legitimierte aber in mancher Hinsicht unzeitgemäße Modell repräsentativer Demokratie zu fixieren, ist geboten, nach dem Verbleib der Politik zu fahnden.

Man wird in den weiten Regionen der Sub-Politik, den Netzwerken der Expertengremien, fündig. Sie mag unter anderen Namen auftreten, als Ethik, Sozialverträglichkeitsprüfung, Risikobewertung u.s.f., Politik ist sie doch. Wie aus ihr je demokratische Politik wird, gehört zu den wesentlichen Fragen unserer Zeit.
->   Ulrich Körtner: Biopatente - jetzt ist die Politik gefragt
 
 
 
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