Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Zur ethischen Funktion von Klonbabys  
  Ethische Überlegungen über die neuen Reproduktionstechnologien gehen in der Regel von der Gegebenheit ethischer Grenzen aus. Am Beispiel der jüngsten Mediendiskussion um "Klonbabys" lässt sich diese Argumentation jedoch umdrehen. Erst durch breite Diskurse dieser Art können diese Grenzen überhaupt gezogen werden.  
Sie sind da!
Oder doch nicht? Aber ob es nun "echte Klonbabys" waren, die in den vergangenen Wochen das Licht der Welt erblickten oder eine weihnachtliche Medienente - die Kunde vom ersten geklonten Menschen erzielte jedenfalls ihre erwartbare Wirkung: Weltweite Medienresonanz und, in deren Gefolge, Scharen von Ethikern und Experten, Politikern und moralischen Würdenträgern, die erklärten und warnten, mahnten und Verbote forderten.

Verboten soll das reproduktive Klonen von Menschen werden, nicht weil es eine physische Gefährdung darstellt, wie Giftstoffe oder Waffen, sondern weil es etwas bedroht, was man als "moralische Ordnung" bezeichnen könnte. In einer Welt, in der Menschen ihresgleichen vervielfältigen, wäre diese Ordnung gestört. Eine solche Welt will man nicht.
Moralische Übereinstimmung
Was ich an solchen Ereignissen interessant finde und worauf ich hier hinweisen möchte, sind weniger deren technische Aspekte. Vielmehr ist es die Bedeutung, die solche Diskurse für Kultur und Gesellschaft des frühen 21. Jahrhunderts haben. Diese sehe ich vor allem in einem, der Hervorbringung von moralischer Übereinstimmung.

Denn aller Aufgeregtheit zum Trotz ist man sich im Grunde ja einig: Humanklonen gehört verboten. Die dem widersprechen sind verantwortungslos, die das Tabu gar brechen (sonderliche Sekten, unternehmerische Fortpflanzungsmediziner), bizarre Außenseiter jenseits von Vernunft und Moral.
Übereinstimmung ist knapp
Zu betonen ist die Knappheit von Übereinstimmung. Deren Hervorbringung ist in modernen Gesellschaften alles andere als selbstverständlich. Die historisch einzigartige Arbeitsteilung, Individualisierung, Komplexität dieser Gesellschaften sowie ihre beschleunigte Globalisierung maximiert Perspektivenvielfalt und somit Meinungsverschiedenheit.

Ist z.B. die Todesstrafe ein legitimes Mittel staatlicher Gewaltanwendung? Sollten homosexuelle Paare Kinder haben? Ist die "Achse des Bösen" wirklich böse? Ist der Verzehr glücklicher Hühner anständiger als der Genuss ihrer weniger glücklicher Artgenossen? Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Konsens ist in keinem Fall zu erwarten.
Werte mit unbestimmtem Ablaufdatum
Und worauf sollte dieser Konsens auch gründen? Akzeptiert man das Argument des wichtigsten zeitgenössischen Vertreters des Pragmatismus, des US-Philosophen Richard Rorty, dann beruhen unsere Werthaltungen auf nichts anderem als historischem Zufall.

Sie entwickelten sich so (nämlich im Sinne von universeller Menschenrechte, Aufklärung und Demokratie), hätten sich aber auch ganz anders entwickeln können. Wir haben daher keinerlei Gewissheit über ihre Richtigkeit oder universelle Gültigkeit.

Ebenso wenig ist mit ihrem Fortbestand zu rechnen. Künftige Generationen werden Fragen der Gerechtigkeit oder der Grenze zwischen "Natur" und der Sphäre menschlichen Entscheidens aller Wahrscheinlichkeit nach anders beantworten als wir. Wir können heute nicht vorhersehen, was diesen Generationen einst als "normal" gelten wird.
Post-Metaphysik
Die Alternative zu dieser "post-metaphysischen" Sicht der Dinge wäre der Glaube an "ewige Werte", die in einer Art "heiligem Buch" festgeschrieben sind, das nur korrekt abgelesen und ausgelegt zu werden braucht, um "das Gute" zu erkennen. Diese Auffassung hat im Laufe der säkularen Moderne jede Verbindlichkeit verloren.

Auch wenn es der mit der epochalen Expansion der Reproduktions- und Biotechnologien einher gehende "Ethik-Boom" anders suggeriert; die Werte, auf deren Grundlage wir das Klonen von Menschen verurteilen, sind nichts Fixes, auch nichts, was von Theologen, Ethikern oder sonstigen Experten "gewusst" werden kann.
Ethik-Provisorien
Nachdem wir die metaphysische Illusion abgestreift haben, erkennen wir die ethische Leere, in der sich zeitgenössische Gesellschaften (und Zeitgenossen) befinden. Niemand kann ihnen sagen, wie es weitergehen soll, welche ihrer Möglichkeiten sie wahrnehmen, welche sie brach liegen lassen sollten. Eventuelle Anhaltspunkte vermögen sie allein in sich selbst zu finden.

Einen eben solchen Anhaltspunkt liefert die Debatte um die "Klonbabys". Sie mag mittlerweile, unfreiwillig komisch geworden sein, sich um eine bloße Fiktion drehen oder schlicht langweilen, was sie aber zustande bringt, ist in dem Gewimmel unterschiedlicher Lebensformen und Weltbilder, das moderne Gesellschaften sind, maximale Übereinstimmung zu erzeugen. Zumindest darüber, was wir nicht wollen. Zumindest für den Moment.
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