Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Krieg und globale Öffentlichkeit  
  Zu den Kollateralschäden des Irak-Kriegs zählt eine verheerende Wirkung auf die Stimmungslage im gesamten arabisch-islamischen Raum. Dank globaler Medien kann man dabei zusehen.  
Spannende Tage
Mein Rechercheaufenthalt in Marokko in diesen Tagen hat mich tief beeindruckt. Ich hatte zwar schon in früheren Arbeiten in Malaysia und Indonesien nähere Bekanntschaft mit islamischen Kulturen gemacht, von der arabischen Zivilisation in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aber hatte ich bislang wenig Anschauung.

Vor allem faszinierte mich, hier die Tage des Kriegsbeginns mitzuerleben. Die Stimmung war elektrisiert. Da sich das öffentliche Leben in den Straßen und Cafes abspielt, bekommt man das unmittelbar mit. Allerorts saß man gebannt vom Bilderstrom vor der Fernsehapparaten.
Als würde man selbst angegriffen
Die Bilder hatten auch Rückwirkungen auf die Wahrnehmung meiner Person. Die einen warnten mich: "Du solltest hier nicht filmen. Das macht die Leute nur noch wütender." Auf einem Markt rief man mir nach: "Tony Blair!" Das war nicht als Kompliment gemeint.

Andere erkannten mich als Kontinentaleuropäer (vertippten sich aber bei der Nationalität) und klopften mir auf die Schulter: "Chirac, il est très gentil. Vive la France!" Man brauchte keine Umfragen, um zu begreifen, dass hier Emotionen hochgingen, dass man sich von den Alliierten bedroht und gedemütigt fühlte.
Neue Mitspieler...
Das gilt nicht nur für Marokko sondern für den gesamten arabischen, ja islamischen Raum. Die jüngsten Massendemonstrationen von Rabat bis Jakarta zeigen das. Unter anderem spielen in dieser gewaltigen Mobilisierung neue Medien eine wichtige Rolle. In dem Zusammenhang sei auch auf die Herkunft der TV- Bilder in den Cafes hingewiesen.

Ihr Hauptlieferant ist der in Katar ansässige Satellitensender Al Jazira. Der private Sender, der erstmals während der Afghanistaninvasion mit Videos von Bin Laden von sich Reden machte, ist bisher der wahrscheinlich einzige Gewinner dieses Krieges. Die 24-Stunden-Nachrichtkette erfreut sich derzeit allerhöchster Popularität.
...durch neue Technologien
Im arabischen Raum ist Satellitenfernsehen weit verbreitet und bietet Alternativen zu den von den Regimes kontrollierte Fernsehanstalten.

Und anders als im Golfkrieg, als CNN über ein Bildermonopol verfügte, schaltet man nun auf den in arabischer Sprache und direkt von den Schauplätzen berichtenden Sender Al Jazira. (Weitere arabische Satellitensender sind Abu Dabi TV und Al Arabiya.)

Während in Südostasien ähnlich wie im Westen auch das Internet eine Rolle bei der Formierung kritischer Öffentlichkeiten spielen dürfte, ist dieses im arabischen Raum weit schwerer zugänglich. (Was in islamischen Ländern mit der Gefahr pornografischer Inhalte begründet wird.) Dort tut indes das Satellitenfernsehen seine Wirkung.
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Geopolitik im Medienzeitalter
Es überrascht nicht, dass US-Politiker und Militärs in Al Jazira einen neuen Feind ausgemacht haben. Schließlich kann die öffentliche Meinung in den USA (übrigens im Gegensatz zu einer Nicht-Demokratie) Feldzüge vereiteln. Analytiker sagten schon vor Monaten voraus, dass Saddam Husseins einzige Chance darin bestehe, die öffentliche Meinung durch Schockbilder zu kippen.

Es dürfte daher nicht allein der Verstoß gegen die Genfer-Konvention sein, der Donald Rumsfeld die Live-Übertragung der Interviews gefangener US-Piloten so empörte, sondern ebenso der Schaden, die sie dem Überlegenheitsimage der US-Streitkräfte zufügten.

Freilich nehmen die Dinge ihren Lauf, ohne dass die - einen Großteil Westeuropas und die islamische Welt einschließende - Protestöffentlichkeit irgendetwas daran ändern könnten. Das könnte nur eine Kapitulation Husseins oder die Öffentlichkeiten Großbritanniens und der USA bzw. deren Regierungen.
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Mobilisierung des arabischen Raums
Langfristig verheerend wirkt sich jedenfalls der Live-Krieg auf die Öffentlichkeit des arabisch-islamischen Raums - von Marokko bis auf die Südphilippinen - aus. Dieser ist durch die Ereignisse wie auch durch die neuen Medien in einzigartigem Maß geeint und mobilisiert.

Hussein stand in diesem Raum, vor allem unter Islamisten, nie in großem Ansehen. Die Invasion hat nun aber eine mächtige Solidarisierungswelle ausgelöst. Auftrieb erhalten auch islamische Fundamentalisten. Das wiederum bringt die lokalen Regimes, die diese bislang mit einer Kombination von Repressionen und Kooptation in Zaum hielten, in schwere Bedrängnis.

Wenn die Irak-Invasion ein Mittel gegen den fundamentalistischen Terrorismus gewesen sein soll, dann war das so effektiv wie der Schuss in den Hornissenhaufen. Immerhin durfte die Weltöffentlichkeit dabei zusehen.
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