Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Wissen und Bildung 
 
Wie frei ist die Kunst ?  
  Kürzlich unterhielt ich mich mit dem Soziologen Rudolf Götz über eine Frage, die mich schon lange beschäftigt: Wie frei ist die Kunst?  
Diese Frage scheint mir deshalb so wichtig, weil mit ihr, wie ich glaube, eine weitere Frage untrennbar verknüpft ist, nämlich die nach der Freiheit jedes und jeder einzelnen.

Ich möchte daher Rudolf Götz, der eine empirische Diplomarbeit zum Thema verfasst hat, Gelegenheit geben, seine engagierte Analyse einer etwas breiteren Diskussion zu stellen. Seine Schlüsse sind pessimistisch, gerade weil sie nicht auf das simple Motto "Wer zahlt, schafft an" reduzierbar sind. Der "Eingriff von oben" nimmt vielmehr den Umweg über die Künstler/innen selbst.
Stellt der Staat die Kunst wieder unter Kuratel?
Von Rudolf Götz

Mitte April läutete die Wiener Lokalorganisation einer Parlamentspartei die jüngst anlaufende Welle staatlicher Eingriffe in das Kunstfeld ein. Flankiert von harscher Medienkritik an der in der Kunsthalle gezeigten Ausstellung der mexikanischen Künstlerin Teresa Margolles verlangte man bessere Kontrollmechanismen im Kunstbereich. Anstelle der derzeitigen Ausstattung der Kunsthalle mit einer Drei-Jahres-Finanzierung forderte man Mechanismen zur Vorinformation.

Bei Forderungen blieb es nicht. Im Mai wurde dem Verein zur Ermöglichung von Low-Budget-Produktionen "Austria FilmCoop" die Förderung gestrichen. Die zuständige Stelle gab an, das liege nur im Interesse der Kunstschaffenden selbst. Für sie sei der Übergang von einer Strukturförderung zur Förderung einzelner Projekte nur von Vorteil.

Zur gleichen Zeit wurde bekannt gegeben, den Wiener Festwochen würde die Basissubvention des Bundes (360.000 Euro) für heuer und kommendes Jahr entzogen. Der Bund werde sich nur noch mit einzelnen Projektförderungen an den Festwochen beteiligen.
Verbesserte Kontrolle durch Projektförderung
Diese Beispiele weisen eine Gemeinsamkeit auf. Stets handelt es sich um Durchsetzung bzw. Einforderung verstärkter staatlicher Kontrolle der Kunst mittels des Instruments der Subvention. Denn der Übergang von Strukturförderung zur "Projekt"-Förderung eröffnet dem Förderer mehr Einfluss auf die Kunstproduktion.

Einerseits erlaubt sie ihm, aus dem Pool angebotener Projekte auszuwählen. Andererseits kommt der Kulturschaffende langfristig nicht umhin, bereits beim Entwurf die Schere im Kopfe kreisen zu lassen, um den - unausgesprochenen - Wünschen des Förderers zu genügen, "förderungswürdig" zu werden.
Die dienstbare Verführerin
Bedenkt man die gesellschaftliche Relevanz von Kunst, erscheint ein "steuerndes Eingreifen" in die Kunstproduktion verführerisch. Künstlerischer Symbolproduktion kommt eine zentrale Funktion in der Verbreitung und Internalisierung von Werten und Ideologien zu - und damit der Produktion von Konsens und Gefolgschaft.

Seit den frühen Hochkulturen dienten die "Verführungskünste" der Kunst der Repräsentation und Legitimation herrschaftlicher Macht. Die jeweils herrschende Gruppe trat gegenüber der Künstlerschaft im Geiste "fordernder Patronage" auf, steuerte die Kunstproduktion wunschgemäß mittels eines strengen Regelkanons.

In der Neuzeit änderte sich das allmählich. Die Obrigkeit blieb Auftraggeber und Förderer, lockerte aber die Zügel und gewährte der Kunst mehr Spielraum. Aus fordernder Patronage wurde fördernde Patronage.
Die neuen Herren: Markt und Staat
Mit dem Aufstieg des Bürgertums und der Ausdifferenzierung eines Kunstmarktes gelang dem Kunstfeld eine gewisse Emanzipation. Sie musste ihre in der Moderne viel beschworene Autonomie jedoch durch ein neues Abhängigkeitsverhältnis erkaufen; Kunstvermittler (etwa Galerien, Händler, Kritiker) übernahmen die Rolle der Auftraggeber. Über die Definition von "Markttauglichkeit" durchlief Kulturproduktion somit eine neuerliche "Feudalisierung".

Und jenes Kunstsegment, das nicht "Unabhängigkeit" durch Markterfolg erlangte, geriet in Abhängigkeit von nunmehr staatlicher Patronage. Neben finanzieller Förderung ist hierbei die Ermöglichung öffentlicher Schaustellung von Kunst besonders bedeutend. Die gegenwärtige Stellung des österreichischen Staates als weitaus größter Kultur-Infrastruktureigentümer (Theater, Museen, Konzertsäle) lässt die Reichweite der neuen Abhängigkeiten erahnen.
Was tun?
In diesem Licht sei nun die Frage nach dem Umgang des liberalen Staats mit der ihm eigenen Macht gestellt. Inwieweit lässt sich dieser verführen, sich die "Verführungskünste" der Kunst dienstbar zu machen? Er kann sich zwischen zwei Rollen entscheiden.

Nimmt der Staat die "nicht markttaugliche" Kunst unter seine Fittiche, indem er ein vielfältiges, reflexives, meist markt- und mehrheitsuntaugliches Kunstfeld strukturell fördert, sowie gegen Beschneidungsforderungen von außen verteidigt, fungiert er als liberaler Mäzen, welchem an einem offenen, kreativen und kritikfähigen Gemeinwesen mehr gelegen ist als am unbefleckten Selbstbild der Nation.

Exemplarisch für eine solche Haltung ist die "Causa Heldenplatz". Damals stärkten die zuständigen Kunstinstitutionen (Kunststaatssekretär, Kunststadtrat) dem einstigen Burgtheater-Regisseur Claus Peymann bei Aufführung des Bernhard-Stückes den Rücken, obwohl sich halb Österreich vom Bundespräsidenten abwärts gegen die "Nestbeschmutzung" entrüstete.
Strukturelle Zensur
Erliegt der Staat jedoch der Verführung, Kunstproduktion zu instrumentalisieren, "Gegenkultur" und Kritik den Hahn abzudrehen, und das Kunstfeld wieder enger an die Kandare zu legen, bewegt er sich eilenden Schrittes in Richtung fordernder Patronage. Subventions- und Infrastrukturabhängigkeit sind dabei die Kontroll- und Steuerungsinstrumente der Wahl, mannigfache Formen struktureller Zensur die Folge.

Der Begriff der strukturellen Zensur steht in Anlehnung an den Terminus "strukturelle Gewalt": der Ausübung von Gewalt über die "Vorenthaltung nötiger Ressourcen" (also Geld, Infrastruktur etc.). Diese ist in Zeiten der rechtlich abgesicherter Kunstfreiheit (seit 1982 ist die "Freiheit der Kunst" in der österreichischen Verfassung garantiert) zum primären staatlichen Druckmittel gegen unliebsame Kunst geworden.

Kommt dieses gehäuft zur Anwendung, oder bahnt sich das mit einem Übergang von struktureller Förderung zu Projektförderung an, erliegt der Staat der Versuchung, die Kunstproduktion für eigene Interessen zu instrumentalisieren.
Literatur
Götz, Rudolf: Kunstzensur. Strukturanalyse österreichischer Kunstzensurmodelle im Zeitraum von 1982-2001. DA, Univ. Wien 2001

Zembylas, Tasos: Kunst oder Nichtkunst. Über Bedingungen und Instanzen ästhetischer Beurteilung. Wien: WUV-Univ. Verl. 1997
->   Die Artikel von Franz Seifert in science.ORF.at
 
 
 
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