Host-Info
Franz Seifert
Freier Sozialwissenschaftler in Wien
 
ORF ON Science :  Franz Seifert :  Gesellschaft 
 
Geteilte Meinungen zum militanten Islamismus  
  Mein Interesse an Globalisierung, neuen sozialen Bewegungen und Geopolitik hat mich gegenwärtig nach Syrien, genauer gesagt Damaskus, geführt.  
Zwei Experten
Neben den vielen Gesprächen, die ich dort in den letzten Wochen führen konnte, unterhielt ich mich auch mit zwei Experten für Islam und militante islamistische Bewegungen - mit dem Philosophen Sadik Al-Azm und dem deutschen Islamwissenschaftler Johannes Bergmann.
Sadik Al-Azm
Sadik Al-Azm, emeritierter Professor für Philosophie an der Universität Damaskus, ist in der arabischen Welt wohlbekannt und zunehmend auch in westlichen Medien präsent. Seit mehr als 35 Jahren engagiert er sich in Debatten über die Zukunft islamischer und arabischer Gesellschaften.

Seine Position ist dabei stets eine dezidiert säkular-liberale: Seiner Meinung nach gibt es zum westlichen Gesellschafts- und Staatsmodell für die islamische Welt keine Alternative, am wenigsten im islamischen Fundamentalismus.
Johannes Bergmann
Johannes Bergmann wiederum erforscht das religiöse Märtyrermotiv im schiitischen Islam und dessen Verbindung mit der Ausbreitung von Selbstmordattentaten als Terrormethode im Laufe der letzten Jahrzehnte. Eine Thematik, an der er bereits seit etwa fünf Jahren arbeitet.
Zwei Meinungen
Für mich war unter anderem die Divergenz der beiden Positionen interessant. Für Sadik Al-Azm ist der islamistische Terror eine vorübergehende Erscheinung, vergleichbar dem linksextremen Terror im Europa der 70er Jahre. So wie dieser wäre er Ausdruck der strukturellen Krise, in welche die tragenden ideologischen Massenbewegungen - der Kommunismus damals, der Islam gegenwärtig - geraten sind.

So wie der Terror der 70er wird er auch seine Basis an Sympathisanten verlieren, zumal er keine gangbare politische Alternative anzubieten hat. Schließlich wolle niemand in der islamischen Welt ein Regime nach Modell der afghanischen Taliban.

Bergmann ist weniger optimistisch. Da er rekonstruiert, wie religiöse Motive in Konfliktsituationen übernommen, aktiviert und zur Durchführung solch extremer Handlungen wie Selbstmordanschläge eingesetzt werden, liegt für ihn der Schluss nahe, dass religiöse Formen militanter Mobilisierung solange fortbestehen, wie die strukturellen Konflikte, die sie attraktiv machen.
Palästina und Djihad
Unterschiedlich fällt daher auch die Einschätzung der Palästinafrage aus, zu der Sadik und Bergman gelangen. Zwar schätzen beide das Problem als überaus dramatisch ein. Auch sieht Sadik hier die einzige gewalttätige Konfrontation im islamischen Raum, für die kein Ende abzusehen ist.

Allerdings betrachtet er sie als im Wesentlichen areligiöse, patriotische und lokale Widerstandsbewegung. Palästina sei für die "islamistische Internationale" (Al-Kaida, "Londonistan", Bali, Casablanca etc.) zweitrangig und keine wichtige Front im "globalen Djihad" (wie Tschetschenien, Kaschmir, Afghanistan, Irak etc.). Die Solidarität mit den Palästinensern nehme auch mit der geografischen Distanz zum Schauplatz ab.

Bergmann weist demgegenüber auf die islamistischen Kampfgruppen innerhalb der Palästinenserbewegung (islamischer Djihad, Hamas) und deren externe Unterstützung hin. Ferner führt der Interventionismus der USA in der Region und die eklatante Ungleichheit im Palästinenserkonflikt offenkundig zu starken anti-westlichen, antizionistischen und antisemitischen Ressentiments und zur breiten Solidarisierung in der islamischen Welt. Ihn würde nicht überraschen, resultierte dies in weiter zunehmender religiöser Militanz.
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