Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Alpengletscher: Heuer kein großer Massenverlust  
  Im Vergleich zum Vorjahr "geht es den Gletscher heuer wesentlich besser". Sofort muss jedoch relativiert werden: Die Zeit der Gletscherschmelze ist noch nicht vorbei, sie kann im ungünstigsten Fall (für die Gletscher) bis in den Oktober hinein dauern.  
Und subjektiv gesehen: Man ist durch die schönen Sommer der letzten zwei Jahrzehnte und besonders vom Vorjahr verwöhnt worden! Wie schnell sind die wirklich kühlen, verregneten Sommer z. B. 1965 und 1966 und viele mehr in den 1970er Jahren vergessen!
Kein außergewöhnlicher Sommer 2004
Laut ZAMG in Wien war die Temperatur in den Monate Juni und Juli in Österreich nahe dem langjährigen Mittel und auch die Niederschläge wichen nicht besonders vom Durchschnitt ab.

Entscheidend für die Gletscher aber war, dass es im Gegensatz zum Vorjahr im Juni und Juli im Gebirge immer wieder Neuschneefälle bis etwa 2.000 Meter herab (beim Stubacher Sonnblickkees bis unterhalb der Gletscherstirn in 2.500 Meter) gab, die die Abschmelzung unterbrachen, sodass die Altschnee -"Reserven" vom Winter nur langsam abgebaut wurden.

Der Neuschnee verzögerte jedesmal die Ausaperung der Eisoberfläche bzw. unterbrach dort, wo die Gletscherzungen schon blank waren (wie bei der Pasterze seit Anfang Juni) die Eisabschmelzung.
Die Situation am Stubacher Sonnblickkees Anfang August
Bei dem Referenzmesspunkt am Stubacher Sonnblickkees in den Hohen Tauern in 2.520 Meter Seehöhe lagen am 1. August noch 1,6 Meter Altschnee, im Vorjahr war hier längst kein Schnee mehr.

Ende Juli/Anfang August 2003 war der Gletscher schon stark ausgeapert (vgl. das Foto von Ende Juli im Gletschertagebuch 2003). Heuer liegt der Großteil des Sonnblickkeeses noch unter der "Winterschneedecke".
->   Gletschertagebuch 2003 (1.9.03)
Weniger Wasser in den Speichern
 
Bild: Heinz Slupetzky

Das Stubacher Sonnblickkees bei der Rudolfshütte am 3. August 2004

Das hat auch Folgen für die Wasserwirtschaft: Während aufgrund der starken Schnee- und Gletscherschmelze im Vorjahr der Speicher Weißsee der ÖBB schon am 7. August 2003 voll war, fehlten am 3. August 2004 noch rund zehn Meter!

Übrigens: Vom gesamten Zufluss in den Speicher Weißsee im hydrologischen Jahr 2002/03 stammten rund 1/3 (31 Prozent) von den Gletschern ("Gletscherspende"), d.s. immerhin 4,2 Millionen Kubikmeter Wasser (Massenbilanzprojekt im Rahmen des Hydrographischen Dienstes des Landes Salzburg).

Während im Vorjahr das Sonnblickkees bis Anfang August schon ca. eine Million Kubikmeter an Masse verloren hatte, steht die momentane Massenbilanz nach der 1. Augustwoche noch bei einem Plus von ca. zwei Millionen Kubikmeter!

Wie könnte es weiter gehen?
Blick in das Gletscherarchiv
Der "endlich" (für die von den Sommern der vergangenen Jahre Verwöhnten) eingetroffene Sommer im August bringt eine starke Abschmelzung der Gletscher mit sich. Blicken wir in das Gletscherarchiv: Wann war am Stubacher Sonnblickkees am 1. August eine Schneehöhe von rund 1,5 Meter und wie endete das Haushaltsjahr?

Die Jahres-Massenbilanzen als Ergebnis der Differenz zwischen der Eisabschmelzung und der Rücklage an Altschnee reichten von einer halben Million Kubikmeter Gewinn bis zu einer Million Kubikmeter Verlust! 1995 mit exakt 1,6 Meter Schnee am 1.8. wie heuer brachte einen Massengewinn von nur 0,2 Millionen Kubikmeter.
Denkbare Szenarien:
- Wenn der August und September (sehr) warm verlaufen und keine Kaltlufteinbrüche kommen, kann das Sonnblickkees noch bis 1,5 Millionen Kubikmeter an Masse verlieren.

- Sind die heißen sommerlichen Wetterphasen nur kurz und es gibt eine kühle zweite Augusthälfte sowie vor allem einen kühlen September (mit Schneefällen im Gebirge), könnte das Sonnblickkees bis zu eine Million Kubikmeter an Masse zunehmen.
Jetzt schon sicher ist, dass:
- es heuer keinen weiteren Rekordverlust der Gletscher geben wird,
- kleine, hochgelegene Gletscher an Masse zunehmen werden,
- ein heuer eventuell positiver Haushalt je nach Größe des Gletschers erst einen geringen Teil des Jahresverlustes 2003 ausgleichen kann.
Keine Trendwende
Auch wenn der heurige Verlauf der Witterung gletschergünstiger ist, eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Würde das Sonnblickkees eine Million Kubikmeter an Masse zunehmen, wäre erst 1/25 des Verlustes seit 1982 kompensiert! Es kann daher schon aus diesem Grund von keiner Trendwende gesprochen werden.

Erst an die 20 Jahre mit einem jährlich deutlichen Massengewinn würde bei den Gletschern wieder soviel Masse aufbauen, dass die Zungen wieder vorzustoßen beginnen. In den nächsten Jahren kann es aufgrund der "entleerten" Nährgebiete gar nicht zu einem echten Vorstoß der Mehrzahl der Alpengletscher kommen!

Auf der nächsten Gletschertagebuch-Seite im September wird zu lesen sein, wie es den Gletschern heuer tatsächlich ergangen ist.
->   Gletschertagebuch 2004, Teil 1 (15.6.04)
->   Gletschertagebuch 2003, Resümee (7.10.03)
 
 
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 

 
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