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Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Gletschertagebuch 2005: Weitere Massenverluste drohen  
  Der "Siebenschläfer-Lostag", der eigentlich nicht auf den Tag genau, vielmehr für den Witterungscharakter in der Zeit Ende Juni bzw. Anfang Juli gilt, hat sich als durchaus zutreffend herausgestellt: Das unbeständige, wechselhafte Wetter setzte sich fort.  
Der bisher feuchte, "monsunartige" Sommer bringt den Gletschern aber wenig: Es ist zu warm, sodass die Niederschläge bis hoch hinauf als Regen fallen bzw. die sommerlichen Neuschneefälle nur die höher gelegenen Nährgebiete eine Zeit lang vor der Sonneneinstrahlung schützen.

Im Gegenteil: Die heißen Tage Ende Juli haben die Abschmelzung sehr beschleunigt, sie ging auch in der Nacht weiter. Die Nullgradgrenze lag zeitweise bis gegen 5.000 Meter. Am Rauriser Sonnblick hatte es am 28.7. 12,9 Grad Celsius.
Unterschiede je nach Gebiet oder Gletschertyp
Allgemein hat das insgesamt warme Wetter - überwiegend lagen die Temperaturen im Juli 0,5 bis 1,5 Grad Celsius über dem Durchschnitt (laut ZAMG) - zu einem kontinuierlichen Abbau der winterlichen Altschneedecke und komplementär dazu einem Freiwerden (Ausapern) immer größerer Eisflächen geführt.

In manchen Regionen der Alpen, wo der Winterschnee gering ausgefallen ist, wirkt sich dies nachhaltig aus. So sind die Gletscher z.B. in Südtirol schon extrem ausgeapert, und auch in den trockeneren Zentralalpen Tirols sind die Gletscherzungen bis hoch hinauf schneefrei.

Beim Mittelbergferner in den Ötztaler Alpen lag die Grenze zwischen Schnee und blankem Eis Ende Juli bei 3.050 bis 3.100 Meter.

An der Südseite der Hohen Tauern macht sich der geringere Winterschnee und die Sommerwärme negativ bemerkbar: Die Pasterze als noch dazu großer Talgletscher hat schon jetzt einen erheblichen Massenverlust zu verzeichnen.
Der Mittelbergferner im Pitztal
 
Foto: Heinz Slupetzky

An der Nordseite der Hohen Tauern sieht es etwas günstiger aus, aber auch hier sind die Zungen von Talgletschern schon erheblich ausgeapert. Die wenigen Gletscher in den Nordalpen sind als Folge der großen Winterschneemengen noch gut dran.
Das Obersulzbachkees bei der Kürsinger Hütte
 
Foto: Kals

Allerdings spielt bei dem "Ernährungszustand" der Gletscher auch der Gletschertyp eine nicht unwesentliche Rolle. Manche Gletscher sind als Folge des Massen-, Flächen- und Längenverlustes schon so stark verkleinert, dass ihre Zunge weg ist und dem "Nährgebiet" nun ein kleines "Zehrgebiet" gegenüber steht.

Sie sind den geänderten Klimaverhältnissen eher angepasst und nahe einer Dimension, bei der der Zuwachs im Nährgebiet den Verlust im Zehrgebiet ausgleichen kann

Eine solche Position hat z. B. das Waxeggkees in den Zillertaler Alpen. Das benachbarte Hornkess dagegen hat eine ungünstige Ausgangslage, die Gletscherzunge ist (noch) zu groß im Verhältnis zum (derzeitigen) Nährgebiet.
Hornkees und Waxeggkees
 
Foto: Gruber

Dieser toporaphische Faktor ist aber relativ: Wenn jetzt (Anfang August) die sommerliche Abschmelzperiode vorbei, also das Haushaltsende des laufenden Gletscherbilanzjahres eingetreten wäre, hätte das Waxeggkees einen Massenzuwachs und das Hornkees einen (mäßigen) Massenverlust zu verzeichnen gehabt.

Setzt sich die Abschmelzung heuer noch länger fort, dann würde am Ende das Waxeggkees eine negative und das Hornkees eine stark negative Bilanz haben.
Das Stubacher Sonnblickkees am 2.8.05
 
Foto: Heinz Slupetzky

Trotz des - als ein subjektiver Eindruck - "schlechten" Sommers sind bei dem Messpunkt am Stubacher Sonnblickkees in 2.520 Metern Seehöhe seit 1. Juli 1,05 Meter Altschnee abgeschmolzen, es liegen noch 0,95 Meter; im Vorjahr waren es noch 1,60 Meter, 2003 war kein Schnee mehr da. Die "temporäre" Massenbilanz ist derzeit noch leicht positiv.

Anmerkung: Bei dem Niederschlagssammler (Totalisator) beim Sonnblickkees vor dem Gletscherende wurde für den Juli eine Monatssumme vom 525 Millimetern gemessen. Das ist ein Rekord seit Beginn der Messreihe 1964 (Hydrographischer Dienst Land Salzburg).
Abgerechnet wird am Ende des Sommers
Erst wenn die sommerliche Abschmelzperiode vorbei ist, kann die Gletscherbilanz gezogen werden. Im für die Gletscher "schlechteren" Fall kann es noch zwei Monate weitergehen.

Im "günstigen" Fall könnten wirkliche Kaltlufteinbrüche mit Neuschnee bis 2.000 Meter herab und ein solcher, der so viel Schnee bringt, dass er auf den Gletschern endgültig liegen bleibt, den Massenverlust der Gletscher in Grenzen halten.
Massenverlust wahrscheinlich
Wahrscheinlicher ist jedoch: Die (meisten) Gletscher steuern wieder einem Massenverlust entgegen. Ein Rekordverlust wie 2003 ist allerdings kaum mehr möglich, aber nicht völlig auszuschließen.

Jedenfalls werden die Glaziologen und die Vermesser der Längenänderungen im Rahmen des langjährigen Alpenverein - Messprogramms im Laufe des Septembers die endgültigen Ergebnisse dieses Jahres genau festhalten. Dann wissen wir mehr!

[8.8.05]
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