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Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Gletschertagebuch 2005: Keine Trendwende  
  Der heurige Sommer gilt als ein verregneter und subjektiv als ein "schlechter". Objektiv - nach den Wetterdaten der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik - war er "in großen Teilen Österreichs regnerisch, die Temperaturen lagen aber allgemein um den Normalwert oder knapp über ihm." Die Meinung, es sei ein guter Sommer für die Gletscher gewesen, stimmt daher nicht. Dazu war es nicht kühl genug.  
Die Schlechtwetter- und Niederschlagsereignisse brachten im Gebirge zu oft Regen und nicht Schneefälle. Und wenn, so lag die Neuschneegrenze nicht tief, etwa bei 2.500 bis 3.000 Metern, die Gletscher waren nur dünn mit Schnee bedeckt, der anschließend rasch wieder weg schmolz.

Zu selten gab es echte Kaltlufteinbrüche, wie z.B. am 18. September, als es örtlich bis fast 1.000 Meter herab schneite.
Keine "Erholung" für die Gletscher
Der vergangene Sommer war weit davon entfernt, den Gletschern eine "Erholung" zu bringen. Es hätte so wie in der Zeit 1965 bis 1981 sein müssen, als es immer wieder wirklich kühle, ja kalte Sommer gab, besonders z. B. 1965 und 1966.

Das kurze Fazit lautet daher: Der Massenverlust und Rückgang setzte sich bei der Mehrheit der Gletscher fort, wenn auch unvergleichlich schwächer als 2003 und in Relation zum Durchschnitt seit 1982. Und: Es gibt regional größere Unterschiede.
Bilanz des Sonnblickkeeses ist heuer negativ
 


Schon am 15. September war die sog. maximale Ausaperung beim Stubacher Sonnblickkees nahezu erreicht, endgültig war dies am 29. 9. der Fall, als sommerliche Schneefälle die Abschmelzung beendeten.

Nur 44 Prozent der Gletscherfläche waren "Nährgebiet", d.h. mit dem übrig gebliebenen Altschnee vom Winter (Fläche der "Nettoakkumulation") bedeckt, 56 Prozent waren "Zehrgebiet" (Fläche der "Nettoablation", also Verlust an abgeschmolzenem Eis und Firn).

Bild oben: Stubacher Sonnblickkees vom 15.9.05.
"Ausgaben" größer als "Einnahmen"
 


Einer "Einnahme" von 0,218 Mio. Kubikmeter steht eine "Ausgabe" von 0,668 Mio. Kubikmeter gegenüber. Die Bilanz ist daher - 0,450 Mio. Kubikmeter.

Da diese Größen wegen der Vergleichbarkeit von Eis, Firn und Altschnee mit jeweils unterschiedlicher Dichte in "Wasser" umgerechnet sind, ist das zurückgerechnet ein Verlust von einer halben Mio. Kubikmeter Gletschereis.

Im Mittel über die ganze Gletscherfläche von rund 1,4 Quadratkilometer ist eine Schicht von 36 Zentimeter Eis abgeschmolzen.
Massenbilanz im Vorjahr ausgeglichen
Im Jahr 2004 war die Massenbilanz ausgeglichen, einer Altschneefläche von 63 Prozent stand eine Eisfläche von 37 Prozent gegenüber.

Die zurückgebliebene Menge an Schnee im Nährgebiet konnte den Verlust an Abschmelzung im Zehrgebiet exakt ausgleichen. Erst wenn mehr als 70 Prozent des Nährgebietes von Altschnee bedeckt bleiben, hat der Gletscher eine deutlich positive Jahresbilanz und legt an Masse zu.
Die Gletscherzunge wird rasch dünner
 


Vergleichsmessungen mit dem Laserscanner (Fa. Geoid und Hydrographischer Landesdienst Salzburg) zeigen das Abschmelzen und Einsinken der "Gletscherzunge".

Am Eisrand entsteht beim Rückschmelzen der Gletscherstirn ein neuer, ständig größer werdender See ("Unterer-Boden-See") und die Gletscherzunge wird kürzer. Dazu kommt nun auch das Phänomen von Einsackungen und Einsturztrichtern über Hohlräumen, die unter dem Gletscher entstanden sind.

Im Bereich des Gletscherendes ist seit 2002 die Eisoberfläche - überwiegend durch Abschmelzen - im Mittel um gut sechs Meter niedriger geworden. Beim Einsturztrichter beträgt die Höhendifferenz rund 15 Meter! Der tiefste Punkt im Trichter liegt nur mehr gut vier Meter über dem Spiegel des Sees. Der mittlere Längenverlust zwischen 2002 und 2005 macht rund 25 Meter aus.

Bild oben: Das Gletscherende des Sonnblickkeeses. Der "Unterer-Boden-See" (max. Länge: 150 Meter) und eine trichterförmige Einsenkung.
2005: Verlust überwiegt
Wie sich schon im August abzeichnete, hält sich der Massenverlust bei den (Alpen-)Gletschern im Allgemeinen in Grenzen; er ist deutlich geringer als 2003, aber doch höher als im Vorjahr. Die Massenbilanzen der Gletscher - nur an wenigen wird die Bilanz gemessen - sind noch nicht berechnet, fast alle dürften negativ sein.

Der Vernagt Ferner in den Ötztaler Alpen hat laut einer ersten Abschätzung der Kommission für Glaziologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in München im Mittel ca. 70 Zentimeter an Eis verloren. Je nach Gletschertyp und Gebiet in den Alpen werden die Massenänderungen unterschiedlich sein; besonders die Südalpengletscher könnten stärkere Verluste erlitten haben.

Aufgrund der neuerlichen Massenverluste der Gletscher zeichnet sich eine Fortsetzung des Trends ab: Die Gletscher werden kleiner. Die Ergebnisse der Längenänderung der österreichischen Gletscher - vom Messdienst des Österreichischen Alpenvereins - werden erst in einigen Monaten gesammelt vorliegen.

[13.10.05]
->   Gletschertagebuch von 2003 bis 2005
 
 
 
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