Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
2007: Es geht weiter an die Substanz der Gletscher  
  Drei Jahreszeiten oder neun Monate waren bisher hintereinander zu warm. Im Frühjahr wurde die Winterschneedecke auf den Gletschern kontinuierlich abgebaut. Die Folge davon sind bis hoch hinauf blanke Gletscherzungen. Die Eisabschmelzung war in Summe selten so hoch wie heuer.  
Am 1. Juli 2007 weniger Schnee als 2003
Am 1. Juli lagen am Unteren Boden des Stubacher Sonnblickkeeses in den Hohen Tauern an der Messstelle in 2.500 m Seehöhe nur 45 Zentimeter Schnee, davon waren zehn Zentimeter Neuschnee. D.h. netto lagen nur mehr 35 Zentimeter Altschnee. Sogar im Rekordjahr 2003 waren es um dieselbe Zeit noch 90 Zentimeter.

Eine Schneehöhe von 45 Zentimetern bzw. 35 Zentimetern ist die geringste seit über 30 Jahren am 1. Juli. "Normal" sind zwei bis drei Meter, der bisherige positive Rekord der Messreihe liegt bei 4,8 Meter am 7. Juli 1965.
Schneehöhen am Stubacher Sonnblickkees (2.500 Meter)
 


Angaben in Zentimetern, gemessen jeweils am 1. Juli. 2007: 45 Zentimeter Altschnee. Rekordhöhe mit 4,80 Metern am 7. Juli 1965.
Die Pasterze schmilzt
An der Pasterzenzunge begann äußerst früh, nämlich schon Ende April/Anfang Mai, die Ausaperung, d.h. zuerst tauchte nach dem Abbau der Winterschneedecke das darunter liegende Gletschreis fleckenhaft auf, bis sich die schneefreien Stellen rasch zu größeren aperen Eisflächen vereinigten. Die Grenze Eis-Schneebedeckung, die temporäre Altschneelinie, wanderte höher und lag am 8. Juni unter dem Hufeisenbruch und ist jetzt bei 2.800 Metern Seehöhe.

Bei einem Messpegel in 2.150 Metern Seehöhe (Messnetz zur Bestimmung der Massenbilanz der Pasterze durch die ZAMG) war die Abschmelzung vom 1. Oktober 2006 bis 8. Juni 2007 2,48 Meter; ein Teil dieser Abschmelzung fällt auf den schönen Oktober 2006. Zwei Meter Abschmelzung schon Anfang Juni ist ungewöhnlich viel.
Pasterze: Die schneefreie Gletscherzunge der Pasterze
 
Bild: Heinz Slupetzky

Die Grenze zwischen der blanken Eisfläche und dem noch schneebedeckten "Nähr-" Gebiet lag am 8. Juni 2007 bei 2.600 Metern am Fuß des Hufeisenbruches.
Erst am Anfang der Gletscherschmelze
Die Ablation am Hintereisferner in den Ötztaler Alpen hat gegenwärtig bereits die Hälfte der durchschnittlichen Jahresablation erreicht (Institut für Meteorologie und Geophysik der Uni Innsbruck). Auch in der Goldberggruppe, wie z. B. am Wurtenkees ("Mölltaler Gletscher"), hat der vergangene Winter nur wenig Schnee auf den Gletschern gebracht (Messungen durch die ZAMG).

Am Ödenwinkelkees im Stubachtal, Gem. Uttendorf (Nationalpark Hohe Tauern) sind bis 28. Juni 2007 an der Gletscherzunge bereits 1,5 Meter Eis abgeschmolzen. Das ist bereits die Hälfte der Abschmelzung des Rekordjahres 2003 mit dem bisher größten jährlichen Massenverlust.
Ödenwinkelkees, Stubachtal (Hohe Tauern)
 
Bild: Heinz Slupetzky

Das Ende des schuttbedeckten Gletschers ist beim Austritt des Gletscherbaches (längliches Schneefeld links unten). Die Zunge hat schon 1,5 Meter Eis an Dicke verloren.
Kommt wieder ein (extremer) Massenverlust der Gletscher?
Die schon Anfang Mai sich abzeichnende und für möglich eingeschätzte Entwicklung "Wenn nur die halbe Zeit im Mai und Juni warm bzw. heiß ist, sind die gut zwei Meter Altschnee am Stubacher Sonnblickkees vom 1. Mai schon bei Sommerbeginn weg" ist eingetreten.

Noch steht die eigentliche sommerliche Abschmelzperiode bevor, sodass schon jetzt feststeht, dass die meisten Alpengletscher wieder deutlich an Masse verlieren werden. Der Sommer braucht nicht extrem heiß zu werden, sondern "nur" zu warm, und wenn der September ebenso warm wird und kein Neuschnee die Gletscher bedeckt, könnten die diesjährigen Massenbilanzen zu den am stärksten negativen gehören. Nur nachhaltige Kaltlufteinbrüche mit Schneefällen bis unter 2.000 Meter könnten die Verluste dämpfen (vgl. die Neuschneebedeckung beim Ödenwinkelkees).
Summenwirkung von vielen Jahren
Es muss aber kein neuer Rekordwert werden, der medial größere Beachtung finden würde: Es ist die Summenwirkung von vielen Jahren mit mehr oder weniger jährlichen Verlusten hintereinander, wie dies besonders seit 1982 der Fall ist.

Das Gletschersterben geht weiter, verstärkt durch das Zusammenbrechen und Einstürzen unterhöhlter Gletscherteile und die Auflösung der Eiskörper aufgrund ausapernder Felsstufen und -insel.

[13.7.07]
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Persönlicher Kommentar
Mein Bericht bemüht sich Fakten zu bringen, wenn auch manchmal spannend-emotional formuliert, ohne vorzugeben, ob das "Gletschersterben" nun als gut oder schlecht gesehen und empfunden wird. Faktum ist aber, dass die Gletscher unübersehbar anzeigen, dass vor unseren Augen ein Prozess abläuft, der ungewöhnlich rasch vor sich geht. Gletscher sind ein empfindlicher Indikator und Anzeiger der Klima- und Umweltveränderungen.

Wenn auch drei Jahreszeiten bzw. neun Monate hintereinander zu warm waren - sobald es zur Normalität zurückgehen würde, vergisst man rasch wieder; auch die guten Vorsätze. Daher hätte ich persönlich nichts dagegen, wenn es "zu warm" weitergehen würde. Es wäre dies eine Chance, "dass die Auswirkungen der Klimaerwärmung in vielen Köpfen hängen bleiben", um eine kritische Masse zu überschreiten, die Handlungen einfordert: Bei sich und bei den politischen Verantwortungsträgern.
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