Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Gletscherbilanz 2007: Nahe dem Rekordjahr 2003  
  Dritter Teil der Gletscherbilanz 2007: Das Stubacher Sonnblickkees im Nationalpark Hohe Tauern hat auch heuer wie viele andere Alpengletscher deutlich an Masse verloren. Es ist das eingetreten, was sich schon Anfang Mai aufgrund der geringen Winterschneedecke erahnen ließ und Anfang Juli wegen der selten weit fortgeschrittenen Ausaperung sowie der blanken Gletscherzungen abzeichnete: Die Massenbilanzen näherten sich verdächtig den Rekordwerten des Jahres 2003.  
Der frühwinterliche Kaltlufteinbruch im Gebirge Anfang September und die nachfolgenden weiteren Schneefälle bewahrten die Gletscher vor noch größeren Verlusten.
Zu wenig Winterschnee
Bild: Heinz Slupetzky
Stubacher Sonnblickkees am 26.8.07.
Nur mehr wenige Altschneeflecken
liegen im Nährgebiet.
Der "schneelose" Winter in den Niederungen ist noch gut in Erinnerung. In der Hochregion der Gletscher fehlte diesmal auch der sonst übliche Schneedeckenzuwachs bis ins Spätfrühjahr.

Der April war ungewöhnlich niederschlagsarm und warm. Auch im zu warmen Mai überwog daher die Schneeschmelze den Neuschneezuwachs. Der Winter, der sonst gegenüber dem Sommer für die Gletscher mit weniger Gewicht in die Jahresgesamtbilanz eingeht, brachte also den Gletschern ungünstige Startbedingungen.

Schon Ende April zeigten sich an der Pasterzenzunge erste Eisflecken.
Sommer insgesamt wieder "gletscherfeindlich"
Der rasche Abbau der Winterschneedecke führte beim Stubacher Sonnblickkees im Nationalpark Hohe Tauern dazu, dass schon Anfang Juli die im Nährgebiet verbliebene Menge an Altschnee gerade noch die bis dahin erfolgte Eisabschmelzung aufwog, die Bilanz also noch ausgeglichen war.

Die überdurchschnittlich warme Witterung im Juli beschleunigte die Abschmelzung, besonders die zum Teil extreme Hitze zwischen 15. und 20. Juli brachte Julirekordwerte.
August: Wechselhaft, aber nicht kalt
 
Bild: Heinz Slupetzky

GPS-Gletschervermessung beim St. Sonnblickkees am 26.8.07. Eiszerfall mit Seenbildung.

Auch der August war trotz wechselhafter Witterung für die Gletscher nicht wirklich günstig, denn es gab keine richtigen kalten Phasen, sodass die Neuschneegrenze kaum unter 2500 Meter sank und es meist doch bis hoch hinauf regnete; mit dem Ergebnis, dass die Abschmelzung insgesamt weiter ging.

Um den 20. August war das Stubacher Sonnblickkees stark ausgeapert und ließ eine deutlich negative Bilanz erwarten, besonders wenn der September warm werden sollte.
Kalter September verhindert neue Rekordwerte
Der kühle September beendete endgültig die seit September 2006 andauernde Periode warmer Monate in Österreich (ZAMG).

Der Einbruch arktischer Luftmassen am 4. und 5. September mit starken Schneefällen bis über einen Meter, eine Neuschneedecke bis 950 Meter Seehöhe herab und weitere Schneefälle bewahrten die Gletscher vor einem neuen Rekordverlust. Auch im Oktober wurden die Gletscher nicht mehr schneefrei.
Ergebnis 2007: Minus 2,9 Mio. Kubikmeter Masse
 
Grafik: Heinz Slupetzky

Für das Stubacher Sonnblickkees liegt schon das Ergebnis vor: Der Gletscher verlor 2,9 Millionen Kubikmeter an Masse, das ist entspricht einem Eiswürfel über einem Fußballfeld (68 mal 105 Meter) von 400 Meter Höhe!

Fast drei Millionen Kubikmeter bedeutet den drittgrößten Verlust seit Beginn der Messungen 1959 nach der absoluten Menge und den zweitgrößten, denkt man sich den Betrag gleichmäßig auf die Gletscherfläche (von nur mehr 1,3 Quadratkilometer) aufgeteilt (mittlere spezifische Bilanz). Wegen der abnehmenden Gletscherfläche wird der Absolutbetrag immer kleiner.
Bisher unterschätzt: Das Zusammenbrechen der Gletscher
 
Bild: Heinz Slupetzky

Gletschertor und der sich vergrößernde See beim St. Sonnblickkees

Ein in den vergangenen Jahren gemachte Beobachtung rückt immer mehr ins Bewusstsein als zusätzlicher Beschleunigungsfaktor des Gletscherschwundes: Das Aufreißen der Eiskörper über Felsinseln und das Zusammenbrechen des Eises über Hohlräumen.

Zusätzlich zum "Klimafaktor" trägt es dazu bei, dass die Gletscher - bei gleich bleibender Tendenz der Klimaerwärmung - schneller weg sein könnten als bisher vorstellbar war.

Diese Auswirkungen machen sich auch beim Stubacher Sonnblickkees bemerkbar. Der "Untere Eisboden See" wird immer größer, im kommenden Sommer schon könnten Teile der Gletscherzunge wegen des Auftriebs dazu führen, dass Eisberge kalben.
Die allgemeine Tendenz der Alpengletscher
Die Mehrzahl der Alpengletscher hat wieder stark an Masse verloren. Die Ergebnisse der Längenmessungen des Österreichischen Alpenvereins an über 100 Gletschern, die im Frühjahr 2008 vorliegen, werden erst ein Gesamtbild über das Verhalten der österreichischen Gletscher im heurigen Jahr geben.
Nachsatz

Heinz Slupetzky am Ende des
Gletscherlehrweges Obersulzbachtal beim See
im Gletschervorfeld des Obersulzbachkeeses am 25.9.07
Die Frage: "Das ist doch gut für die Gletscher, dass schon im September und Oktober soviel Schnee abgelagert wurde?" kann so beantwortet werden: "Zu spät, Du rettest den Freund nicht mehr!"

Das Haushaltsjahr des Stubacher Sonnblickkeeses war am 2. September beendet. Der seitdem abgelagerte Schnee gehört schon zum neuen Bilanzjahr 07/08. Es ist auch erst der Anfang der winterlichen Schneeakkumulation.

Die Gletscherbilanz wird - wie schon oft angemerkt - wieder erst am Ende des kommenden Sommers gezogen.

Wer weiß, vielleicht kommt heuer einmal ein Rekordjahr wie es 1964/65 war. Alles ist möglich ...

[12.11.07]
Gletschertagebuch 2007:
->   Es geht weiter an die Substanz der Gletscher (13.7.)
->   Negativrekord an Schneehöhe (7.5.)
->   Alle Beiträge von Heinz Slupetzky in science.ORF.at
 
 
 
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