Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Gletschertagebuch 2009
Eine bessere Ausgangsposition für die Tauerngletscher
 
  Auch in diesem Jahr widmet sich ein Tagebuch dem Zustand der Tauerngletscher. Das unbeständige Wetter im Spätfrühjahr und Frühsommer ohne lange Hitzeperioden, aber immer wieder mit niederschlagsreichen, kühlen Phasen, die im Gebirge wiederholt zu Schneefällen führten, war für sie günstig.  
Nach längerer Zeit besteht heuer die Chance, dass die Tauerngletscher eine positive Jahresbilanz haben könnten. Zumindest ist mit hoher Wahrscheinlichkeit kein größerer Massenverlust zu erwarten.
Die Vorgeschichte: "Gletschergünstig"
Der Winter ist weitgehend als schneereich in Erinnerung und das Frühjahr als ein verregnetes mit zu wenig Sonnenschein. Für den Gletscher ist es von eher untergeordneter Bedeutung, wie viel Schnee im "Winter" (Oktober bis April) fällt und am Gletscher liegen bleibt.

Wichtiger ist, ob es im Mai und Juni kühl ist, der Niederschlag überwiegend als Schnee fällt und damit einen doppelten Einfluss hat: Die Abschmelzung setzt noch nicht ein und gleichzeitig nimmt die Schneehöhe zu. Dann beginnt die Ausaperung erst im Juni, andernfalls schon ab Anfang Mai.
Öfter Schafskälte, späte "Wintereinbrüche"
Es gab in den Hohen Tauern heuer Anfang und Ende Mai Neuschnee. Der Juni war zwar durchschnittlich warm, aber sehr niederschlagsreich. Es schneite immer wieder bis unter 2.500 Meter herab (das Gletscherende des Stubacher Sonnblickkeeses liegt bei 2.500 Meter).

Es gab die Schafskälte "mehrmals"; zwischen 20. und 24. Juni ereignete sich ein richtiger "Wintereinbruch" mit starken Schneefällen, die Summe der Neuschneehöhe an der Station Rudolfshütte betrug 80 Zentimeter (ZAMG).

Dadurch verzögerte sich der Beginn der Abschmelzung am Gletscher zunächst bis Ende Juni. Der Kaltlufteinbruch am 18. und 19. Juli deckte die Gletscher nochmals mit einem "schützenden weißen Leintuch" zu.
Später Beginn der Ausaperung
An der Pasterze begann die Eisablation erst Anfang Juni. Mitte Juni war die Zunge ähnlich schneefrei wie im Vorjahr, aber auch hier verzögerte die kühle Witterung das Schneefreiwerden der Gletscherzunge im Juni.
Die Pasterze am 18. Juni 2009
 
Bild: Heinz Slupetzky

Auf der Tauernnordseite war die Ausaperung deutlich später als in den letzten Jahren. Die Zunge des Obersulzbachkeeses ist im Vergleich zu 2007 um drei bis vier Wochen später frei geworden.
Das Obersulzbachkees am 12. Juni 2009
 
Bild: M. Keuschnig

Das St. Sonnblickkees, das höher liegt als die vorher genannten Gletscher, war Mitte Juli noch fast zur Gänze mit Altschnee bedeckt. Die Neuschneefälle am 18. und 19. Juli verzögerten die Schneeschmelze zusätzlich.
Das Stubacher Sonnblickkees am 11. Juli 2009
 
Bild: Heinz Slupetzky

Der Gletscher ist noch fast zur Gänze mit Altschnee bedeckt.
Anzeichen für eine positive Endabrechnung
 
Grafik: Heinz Slupetzky

Am Stubacher Sonnblickkees lag am 1. Juli mit 2,4 Meter Schneehöhe mehr Schnee als in den vergangenen drei Jahren, sie entspricht dem langjährigen Mittel. (Die Tendenz seit den 1960er-Jahren ist eindeutig in Richtung geringerer Schneehöhen am Sommeranfang).
Chance auf positive Jahresmassenbilanz
Heuer ist seit längerem die Chance gegeben, dass Gletscher in mittleren und höhern Lagen eine positive Jahresmassenbilanz haben könnten, jedenfalls in den Hohen Tauern.
Wäre, wie in den vergangenen Jahren, die Ablationsperiode schon Anfang bis Mitte September zu Ende, so würde heuer die sommerliche Abschmelzung nur mehr fünf bis sechs Wochen dauern. Aber auch wenn es später zuschneit, Ende September, wären es nur mehr zwei Monate.

Würde jetzt schon September und damit das Ende der sommerlichen Abschmelzzeit sein, ergäbe die Menge des derzeit noch am Gletscher liegenden Altschnees umgerechnet ca. drei Millionen Kubikmeter Eis, das entspricht einer Eisschicht von ca. 2,2 Meter über den ganzen Gletscher.

Eine so stark positive Jahresbilanz gab es bisher in 50 Jahren nur einmal, 1965, mit einer extrem positiven mittleren spezifischen Bilanz von + 2 Meter oder + 3,5 Millionen Kubikmeter Masse. Die Abschmelzzeit war damals schon am 25. August zu Ende.
Keine Rekordverluste
Jedenfalls kann festgestellt werden, dass es heuer mit großer Wahrscheinlichkeit keine großen Massenverluste bei den Gletschern geben wird. Die Vorbedingungen für einen Massenzuwachs sind seit langem nicht mehr so günstig.

Vorsichtige Prognosen der Meteorologen sprechen von einem feuchten Sommer bis in den September hinein (ZAMG). Aber erst nach der sommerlichen Abschmelzzeit wird der Glaziologe endgültig die Bilanz ziehen.

Sollte es endlich wieder einmal eine (deutlich?) positive Jahresbilanz geben, dann würde damit nur ein geringer Teil des großen Massenverlustes in den letzten drei Jahrzehnten kompensiert werden. Das bedeutet: Keine entscheidende Wende!

[21.7.09]
Heinz Slupetzky untersucht für science.ORF.at seit 2003 den Zustand Salzburger Gletscher in seinen Gletschertagebüchern:
->   Überblick über die Gletschertagebücher 2003-2008
 
 
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick