Host-Info
Heinz Slupetzky
Fachbereich für Geographie und Geologie der Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Heinz Slupetzky :  Umwelt und Klima 
 
Extreme Abschmelzung der Gletscher im Sommer 2003  
  Ende August ist ein ungewöhnlich heißer Sommer zu Ende gegangen. Er war der wärmste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in Österreich (laut ZAMG). Ein Kaltlufteinbruch hat am 31. August zu Neuscheefällen bis unter 2.000 Meter herab geführt, also tiefer als die Gletscherenden liegen. Damit ist die viermonatige, kaum unterbrochene starke Abschmelzung der Gletscher beendet worden. Wie ist es den Gletschern ergangen?  
Rekordverlust am Stubacher Sonnblickkees
Bild: Heinz Slupetzky
Die Abschmelzung ist Tag und Nacht weitergegangen und hat zu hohen Abflüssen geführt. Die Flächen der Winterschneedecke im Nährgebiet sind weiter stark verkleinert geworden, sodass das Sonnblickkees heuer faktisch kein Akkumulationsgebiet mehr hat.

Beziehungsweise ist fast die ganze Gletscherfläche zum Ablations (Abschmelz-)gebiet geworden; die "Schneegrenze" liegt heuer weit über 3.000 Meter (siehe Foto vom Nährgebiet des Gletschers).

Im Bild: Das Stubacher Sonnblickkees ist bis ganz hinauf extrem ausgeapert (d.h. nahezu schneefrei) und schmutziggrau.
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Gletscher-Tagebuch in science.ORF.at
Seit Anfang Juli berichtet Heinz Slupetzky für science.ORF.at über den Zustand der österreichischen Gletscher:
"Hundstage" haben sich drastisch ausgewirkt (11.8.03)
Die Hundstage setzen den Gletschern zu (29.7.03)
Kurze Abschwächung der Gletscherschmelze (21.7.03)
Wie steht es um Österreichs Gletscher? (8.7.03)
Mehr über das Gletscher-Tagebuch in science.ORF.at (3.7.03)
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Rekordverlust von 3,8 Millionen Kubikmetern
Schon Mitte August wurde der bisher größte jährliche Massenverlust der Messreihe seit 1959 mit 3,3 Mio Kubikmetern (1992) übertroffen; in den zwei Wochen kam noch ein Verlust von einer halbem Million dazu. Damit stand Ende August der Rekordverlust in einem Einzeljahr von ca. 3,8 Mio Kubikmetern fest.

Der größte Massenverlust in jüngerer Zeit trat 1947 mit 4,5 Mio Kubikmetern auf. Diese Zahl ist aber nicht direkt mit der jetzigen zu vergleichen, da das Sonnblickkees damals größer war und eine Fläche von 1,86 Quadratkilometern hatte gegenüber ca. 1,4 Quadratkilometern heute.
Rekordjahr 2003 - nur alle 50 Jahre
Vergleichbar ist aber jeweils der mittlere jährliche Verlust über die ganze Gletscherfläche (spezifische Massenbilanz): So schmolzen 1947 durchschnittlich 2,7 Meter Eis ab, mit drei Metern Eis im (bisherigen) Jahr 2003 wurde dieser Wert nunmehr übertroffen.

Das negative Rekord-Haushaltsjahr 2003 des Stubacher Sonnblickkeeses ist nach der Eintrittswahrscheinlichkeit ein Ereignis, das, über einen langen Zeitraum gesehen, nur alle 50 Jahre - vielleicht noch seltener - auftritt.
Der Gletscher wird durchlöchert
 
Bild: Heinz Slupetzky

Felsstufen durchlöchern die Eisoberfläche

Beim Sonnblickkkees wird der Massenverlust noch verstärkt: In den letzten zwei Sommern ist an mehreren Stellen das Eis so dünn geworden, dass Felsstufen zum Vorschein kamen (siehe Foto). Hier bricht das Eis auseinander und ist sandig verschmutzt, der Eisdickenverlust wird beschleunigt.

Das Zusammenbrechen von Hohlräumen ist auch an der Zunge der Pasterze und beim Obersulzbachkees zu sehen.
Die Geburt neuer Seen
Bild: Heinz Slupetzky
Am Gletscherende des Sonnblickkeeses entstand seit 1990 zwischen dem Eisrand und dem Felsgelände ein so genannter Eisrandsee. Er ist schon 203 Meter lang und 112 Meter breit, wie die Vermessungen im August (mit der FH Neubrandenburg) ergeben haben.

Noch ist das Eis am Seerand zu dick und zu schwer, es ist aber abzusehen, wann Teile davon aufschwimmen und als Eisberge im See driften werden. Ein spektakulärer Prozess, aber für den Gletscher schlecht: Er verliert dadurch noch mehr an Masse und wird noch rascher kleiner.

Ein weiterer See in 2.900 Metern Höhe fließt in den letzten Jahren langsam aus (siehe Foto: Der Eissee am Hochfürlegg).
Eine vorläfige Bilanz des Sommers
Die Ergebnisse von Messungen an vielen österreichischen Gletschern liegen noch nicht vor. Aber eines steht fest: Der meteorolgisch-klimatologische Rekordsommer hat zu großen Volums-, Flächen- und Längenverlusten an den Gletschern geführt. Bei der Pasterze wird sich der größte Abschmelzbetrag an der Gletscherstirn wohl den zehn Metern nähern.
Wie kann es weitergehen?
Bild: Heinz Slupetzky
Beobachtungen beim Gletscherforschen: Ein Schmelzwasserbach schneidet sich in erstaunlich regelmäßigen Mäandern ins Eis ein (1 Schlinge: 1 m breit).
Die kontinuierlich starke Abschmelzung ist vorbei! Der Sonnenstand wird niedriger, die Nächte werden kühler, der Witterungsverlauf wird spätsommerlich-herbstlich. Wenn jedoch der Neuschnee weggeschmolzen ist, kommt großflächig wieder die dunkle Gletscheroberfläche zum Vorschein: Die Strahlung wird absorbiert und die Abschmelzung geht weiter. Noch können die Gletscher weiter an Eis verlieren, womit die negative Bilanz weiter verstärkt wird.

Erst wenn derjenige Schnee kommt, der anschließend nicht mehr wegschmilzt, ist die Abschmelzperiode auf den Gletschern beendet und es kann die endgültige Bilanz des Haushaltsjahres vom September 2002 bis September 2003 gezogen werden.

Schon jetzt steht aber fest: Es war für die Gletscherforscher ein spannender Sommer. Und zusammen mit den weiteren Begleiterscheinungen und Auswirkungen der Klimaextreme - Trockenheit, ja Dürre, Wassermangel, Niedrigwasserstände bei den Flüssen usw. - erhält die Klima- und Treibhausdiskussion durch diesen außergewöhnlichen Sommer weiter Nahrung.
Endgültige Bilanz erst ab September möglich
Für eine endgültige Bilanz und Schlussfolgerung müssen wir zumindest den September abwarten.
->   Alles zum Stichwort Gletscher in science.ORF.at
 
 
 
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