Host-Info
Heidemarie Uhl
Kommission für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte, Österreichische Akademie der Wissenschaften
 
ORF ON Science :  Heidemarie Uhl :  Gesellschaft 
 
2005 als museale Inszenierung: Eine Erfolgsstory?  
  Das österreichische Jubiläumsjahr 2005 ist offenkundig zu einer Erfolgsstory geworden. Das Kalkül der offiziellen Gedächtnispolitik scheint aufgegangen zu sein, die Inszenierung des Staatsvertragsjubiläums - die anderen historischen Bezugspunkte "1945" und "1995" sind deutlich im Hintergrund geblieben - haben jene patriotischen Jubelfeiern evoziert, die Kritiker bereits im Vorfeld befürchtet hatten.  
Der Nachkriegsmythos vom Freiheitskampf eines kleinen Volkes gegen übermächtige Kräfte - womit nicht die NS-Okkupation, sondern die alliierte Besatzung gemeint ist -, die Darstellung der Zweiten Republik als Erfolgsstory hat sich als re-inszenierbar erwiesen.

Kritische Stimmen, die vor allem in der Anfangsphase medial präsent waren - etwa die Internet-Plattform "Österreich minus 2005" fanden letztlich nur wenig Resonanz.

In unzähligen Veranstaltungen, Medienberichten und vor allem medial kommunizierten Bildern wurde vielmehr der Staatsvertrag - untrennbar verknüpft mit Leopold Figls "Österreich ist frei" - als zentraler Gedächtnisort der Zweiten Republik im öffentlich-kollektiven Bewusstsein verankert.
->   "Österreich minus 2005"
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Der Text stammt von den beiden Historikern Heidemarie Uhl und Gerald Lamprecht.
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Besondere Bedeutung der Museen
Den musealen Inszenierungen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu: Museen sind jene Orte, in denen sich die vielstimmigen Geschichtserzählungen, die im öffentlichen Kommunikationsraum zirkulieren, zu einer Geschichte, einem Narrativ verdichten.

In den Ausstellungen des Jubiläumsjahres lassen sich die offiziellen Sichtweisen, aber auch deren "Gegenerzählungen" komprimiert auffinden.

Die performativen Logiken des Formats Ausstellung geben somit einen besonders aussagekräftigen Einblick in das kulturelle Gedächtnis eines Kollektivs, in seine narrativen Ordnungen und die Hierarchien der Erinnerungskultur.
Zentrale Rolle der Vermittler
Anhand von drei zentralen Ausstellungen geht das "eForum zeitGeschichte" der Frage nach der Durchsetzung historischer Narrative mittels Ausstellungen nach.

Im Blickfeld steht dabei besonders die Ebene der Vermittler, die einerseits die Rolle der Beobachter einnehmen und andererseits die von den Ausstellungsinitiatoren und -gestaltern vorgegebenen Narrative kommunizieren sollen.

Vermittler sind somit sowohl Produzenten von Geschichtsbildern wie auch unmittelbare Beobachter des Prozesses ihrer Rezeption. Aus dieser Position heraus können sie über das Gelingen oder das Scheitern der angebotenen Erzählungen berichten.
Spannung zwischen Jubel und Aufbegehren
Ihr spezifischer Standort ermöglicht es, kritisch Bilanz über Erfahrungen - zwischen Intention, Realisierung und Rezeption der Ausstellung - zu ziehen.

Doch persönliches Engagement und Identifikation mit der Aufgabe sowie etwaige Rücksichtnahmen und Abhängigkeiten von Seiten der Auftraggeber beeinflussen die Art und Weise, wie (und ob) in den Resümees auch umstrittene Punkte und interne Konflikte zur Sprache gebracht werden.

Somit spiegeln sich die Spannungen zwischen verordnetem Jubel und kritischem Aufbegehren auch in den einzelnen Beiträgen des "eForum zeitGeschichte" zu den musealen Repräsentationen des Jubiläumsjahres 2005 wider.
Die drei ausgesuchten Ausstellungen
Ausgewählt wurden die beiden staatstragenden Ausstellungen "Das neue Österreich" in der Österreichischen Galerie im Oberen Belvedere und "Österreich ist frei. 50 Jahre Staatsvertrag" auf der niederösterreichischen Schallaburg.

Gewissermaßen als Kontrapunkt fungiert die Ausstellung des Jüdischen Museums Wien "Jetzt ist er bös, der Tennenbaum. Die Zweite Republik und ihre Juden".
Selbstkritische Geschichte verschwunden ...
Ausstellungen kommt eine besondere Rolle in der Formulierung und Durchsetzung von Geschichtsbildern zu, zumal wenn sie gewissermaßen die offizielle Sichtweise vermitteln sollen.

Insofern repräsentieren die beiden "offiziellen" Ausstellungen ein hegemoniales historisches Narrativ, die offiziöse Interpretation der Geschichte der Zweiten Republik.

Dabei ist vor allem bemerkenswert, dass jene selbstkritische Beschäftigung mit der sterreichischen "Verdrängungsgeschichte", die - als Reaktion auf die Waldheim-Debatte 1986 - im "Anschluss"-Gedenkjahr 1988 zentral war, weitgehend verschwunden zu sein scheint.
... dafür Teleologie des Erfolges
2005 steht vielmehr die "unglaubliche" Erfolgsgeschichte seit 1945 im Vordergrund.

Gezeichnet wird ein weitgehend teleologisch konzipierter Weg des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Aufstiegs, der mit der "Stunde Null" im Mai 1945 einsetzt und der sich ohne Widersprüche, Zäsuren, Konflikte oder gar Rückschritte ab 1955, dem Jahr der "wirklichen Freiheit", vollends zu entfalten begann, um in der glücklichen Gegenwart zu landen.
Kann nur auf Zustimmung stoßen
Dazwischen, gleichsam als nachgeschalteter Turbo, der die Fortschrittskurve nur noch etwas steiler erscheinen lässt, liegt das Jahr 1995 mit dem Beitritt zu Europäischen Union.

In den offiziellen Ausstellungen des Jubiläumsjahres 2005 wurde somit ein Narrativ erzeugt, das keine Ecken und Kanten, keine Brüche oder Sprünge hat.

Ein Narrativ also, das scheinbar nur auf Zustimmung stoßen kann, das geradezu euphorisch angenommen werden muss, erzählt es den Besuchern doch, wie hervorragend und erfolgreich sie und ihre Eltern und Großeltern waren und sind.
Erfolgsnarrativ, das Langeweile erzeugt
Doch ist dem wirklich so? Wird dieses Erfolgsnarrativ von den Besuchern der beiden großen österreichischen Ausstellungen tatsächlich in der Form aufgenommen, wie es deren Konzeption erwarten lässt?

Werden die so mühevoll geglätteten Widersprüche von den Besuchern/innen aufgedeckt, angesprochen oder gar eingemahnt?

Oder erzeugen die Ausstellungen bei den Rezipienten - abseits von nostalgischen Reminiszenzen der Erfahrungsgeneration - nicht doch nur Langeweile und Desinteresse, vor allem bei jüngeren Generationen?
Stimme der Vermittler im "eForum zeitGeschichte"
In den Vermittlungsteams arbeiten vielfach auch junge Historiker, sie erwerben dabei ein spezielles Wissen über die Rezeption der Ausstellungen und können so Einblick in die Reaktionen der Besucher geben.

Diese Perspektive wird allerdings im Diskurs über Ausstellungen und andere performative Formate des kulturellen Gedächtnisses kaum berücksichtigt.

Die Beiträge der Vermittlungsteams im "eForum zeitGeschichte" verstehen sich daher auch als Forum, in dem die Stimmen der Vermittler und Vermittlerinnen Platz finden. Damit wird versucht, ein neues Fenster in den Raum der Gedächtnisproduktion zu öffnen.

[17.1.06]
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Die angesprochenen Beiträge der Vermittler zu den drei Ausstellungen befinden sich in der Ausgabe "1/2005" des:
->   "eForum zeitGeschichte"
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->   Rückblick auf das Gedenkjahr 2005 in science.ORF.at
 
 
 
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