Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Satchmo trifft Amadeus (Teil II)  
  Diese beiden Musiker mögen manchen als eines der unvergleichlichsten und unwahrscheinlichsten Paare überhaupt erscheinen. Und dennoch: eine Verbindung zwischen Mozart und Armstrong (und ein Vergleich Salzburgs mit New Orleans) ist, bei allen Unterschieden, weniger weit hergeholt als viele meinen mögen.  
Genies unerwünscht ...
Beide Weltkünstler waren, es sei vorsichtig ausgedrückt, bei den herrschenden Schichten ihrer Zeit nicht gerade besonders beliebt und mussten ihr Glück, ihren Ruhm, ihr Auskommen und ihre Freiheit in der weiten Welt suchen.

Die wohlbekannte Tatsache, dass Wolfgang Amadeus Salzburg nicht unter den würdigsten Umständen verlassen musste, passt bis heute nicht ganz ins Bild der Mozart-Stadt. Weniger allgemein bekannt ist, dass die Stadtväter von New Orleans das Geburtshaus von Satchmo noch Mitte der 1960er schleifen ließen.
... auf beiden Seiten des Atlantiks
Die Tatsache, dass die politische, ökonomische und kulturelle Elite von New Orleans mehr als siebzig Jahre brauchte, um Ächtung und Boykott des Jazz zuerst durch argwöhnische Toleranz und schließlich durch Heldenverehrung zu ersetzen, schlägt sich im Programm der Armstrong Centennial Konferenz Anfang August 2001 in eine paradoxen Kontrapunkt nieder.

Während der Jazzforscher Charlie Suhor unter dem Titel "Ignoring Genius: The New Orleans Establishment and Louis Armstrong" die ablehnende Haltung des offiziellen New Orleans thematisiert, setzt sich mein Workshop bei dieser Konferenz in New Orleans am 4. August 2001, dem hundertsten Geburtstag von Satchmo, im bewussten Gegensatz dazu mit dem Jazz als Sound of Freedom (Louis Armstrong Blows Up the World) auseinander; also mit der ungeheuren Außenwirkung, die den Jazz weltweit seit den 1920er Jahren zum Soundtrack des 20. Jahrhunderts machten.
->   Louis Arnstrong Centennial Conference
Das Image als Musikstädte
Dessen ungeachtet sind Salzburg und New Orleans gerade wegen ihrer berühmtesten Söhne und deren dominierender Stellung innerhalb der europäischen Klassik des 18. und der amerikanischen Klassik des 20. Jahrhunderts weltweit anerkannt.

Beide waren "Wunderknaben" und im Zenith ihres Schaffens weltberühmte Stars. Mozarts Kompositionen fanden sich in der Bibliothek von Thomas Jefferson in Monticello ebenso, wie Armstrongs Musik in Plattenschränken des Innviertels während des Zweiten Weltkriegs.
Die Domestizierung der Künstler
Die Explosivität beider Genies konnte nur ertragen werden, indem beider Künste jegliche gesellschaftliche Sprengkraft entzogen wurde: dem einen als liebes Wolferl, dem anderen als biederer Onkel Tom.

Beide gehörten zu den meist gereisten Menschen ihrer Zeit, wenn auch Armstrongs Fortbewegungsmittel sicher ein wenig mehr Komfort garantierten. (Und ein anderer Armstrong es zum Mond schaffte.) Wie groß die Probleme der beiden in ihren Geburtsstädten aber auch waren, Salzburg und New Orleans werden bis heute noch immer mit ihren großen Söhnen identifiziert.
Der wirtschaftliche Nutzen
Und: sie ziehen daraus außergewöhnlichen wirtschaftlichen Nutzen. New Orleans schöpft aus dem Musiktourismus alleine weit mehr als eine halbe Milliarde Dollar jährlich, und die Bedeutung des Musiktourismus für Salzburg (zwischen den Salzburger Festspielen und den Sound of Music Tours) darf als bekannt angenommen werden.

Salzburg und New Orleans sind aber nicht nur als Welthauptstädte des Reiseverkehrs in Sachen Musik miteinander verbunden.
Die historische Verbindung
So ließ die junge Historikerin Gilda Pasetzky, eine Schülerin Ernst Wangermanns, zur Zeit in Paris) mit ihrem Beitrag in New Orleans aufhorchen, auf welch extraordinäre Art und Weise die Geschichte Louisianas mit jener Salzburgs verflochten ist. Die Gründung der Italienischen Republik durch den siegreichen Napoleon Bonaparte bedeutete u.a. den Verlust des Territoriums des Herzogs von Parma.

Allerdings hatte dieser das Glück, Bruder der spanischen Königin zu sein, und Spanien war gerade mit Frankreich alliiert. Während die spanische Königin auf Kompensation bestand, wollte Bonaparte seinerseits auch Louisiana, das bis 1763 französische Kolonie gewesen war, von Spanien zurück.
Tausch: Louisiana-Toskana-Salzburg
Frankreich and Spanien beschlossen darauf in zwei Verträgen, dass Spanien Louisiana an Frankreich zurückgab, während Frankreich eine seiner italienischen Eroberungen, nämlich die Toskana, an den Herzog von Parma abtrat. Nun musste nur mehr der Großherzog der Toskana, der bei diesem Tauschhandel übrig blieb, entschädigt werden.

Da im Frieden von Campo Formio bereits die Säkularisation Salzburgs beschlossen worden war, konnte das Land nun dem habsburgischen Erzherzog Ferdinand, dem Neffen Kaiser Franz II. übertragen werden.

So wurde also Louisiana gegen die Toskana getauscht und die Toskana gegen Salzburg. 1803 brachte aber nicht nur das Ende von fast tausend Jahren klerikaler Regierungen in Salzburg, sondern schließlich auch den größten Immobilienhandel der Weltgeschichte: Napoleons Verkauf von Louisiana an die USA, immerhin einem Drittel des heutigen Festlandstaatsgebietes.
Ein Projekt der Toleranz
Als weltweit einmaliges Projekt verbindet "Satchmo Meets Amadeus" nicht nur Musik und Wissenschaft, alte und neue Welt, engagierte Wissenschaftler und Musiker.

Es repräsentiert auch ein wichtiges Mittel praktischer Toleranz; den Schritt zur Überwindung einer scheinbar unüberbrückbaren Kluft zwischen den zwei klassischen Musiken der Moderne: der europäischen Klassik des 18. Jahrhunderts und dem Jazz, der ja nichts anderes ist als die klassische Musik der Globalisierung. (Der Sklavenhandel hatte seine Blüte nicht zuletzt im 18. Jahrhundert zur Hochzeit der Aufklärung.)

Wer sich jemals auch nur am Rande mit beiden Musiken beschäftigte und in beiden Welten wanderte; wer jemals mit der dabei auftretenden Intoleranz (bis zum schlimmsten Rassismus, nicht nur in Europa, sondern auch in den USA) konfrontiert war, der weiß, dass die künstlich (aber nicht künstlerisch) ausgebaggerten Gräben zwischen den beiden Genres von Vielen als weiter und tiefer empfunden werden, als es selbst der gewaltigste und beeindruckendste Fluss Nordamerikas, der Mississippi in New Orleans, jemals an seinen tiefsten und breitesten Stellen sein könnte.
->   Reinhold Wagnleitner: Satchmo trifft Amadeus (Teil I)
->   Reinhold Wagnleitner: Satchmo feiert seinen hundertsten Geburtstag ...
->   Louis Armstrong Centennial
->   Mozart 2006
 
 
 
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