Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
America
The United Corporations of America
 
  In seinem Buch "Culture Jam" argumentiert der Herausgeber des Magazins "Adbusters" und Begründer der "Buy Nothing Day"- und "TV Turnoff Week"-Kampagnen, Kalle Lasn, dass die USA eigentlich schon seit längerer Zeit überhaupt gar kein Staat im klassischen Sinne mehr seien, sondern ganz einfach nur mehr ein Markenname im Wert von vielen Tausenden Trillionen Dollar.  
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Kalle Lasn, Culture Jam: How to Reverse America's Suicidal Consumer Binge - And Why We Must (Quill, 2000)
->   Adbusters Magazine
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->   Buy Nothing Day
->   TV Turnoff Week
Die Vereinigten Konzerne von Amerika
Führt man diesen Gedanken weiter, dann bestünden die Vereinigten Staaten von Amerika (und andere "entwickelte" Regionen der Welt, insbesondere in der EU, stehen den USA in diesen Entwicklungen ja kaum nach) eigentlich gar nicht mehr aus fünfzig Bundesstaaten, sondern eher aus den jeweils fünfzig dominierenden Marken.
Sozialabbau und neuer Rüstungswettlauf

Eingedenk der Entscheidung für eine weitere massive Drehung der Rüstungsspirale durch die Neuauflage von Star Wars und die Kündigung des ABM-Vertrages könnten die ohnehin schon lange in der obersten Liga mitspielenden vier Hauptprofiteure Lockheed Martin, Raytheon, Boeing und TRW nun jene Rolle einnehmen, die in geläufigeren Szenarios bisher den einflussreichsten US-Bundesstaaten Kalifornien, New York, Texas und Florida zuzukommen schienen.

Die Auswirkungen dieser Maßnahmen auf einen neuen weltweiten Rüstungswettlauf und die damit verbundene weitere Senkung der Ausgaben für Sozialprogramme ist bisher noch überhaupt nicht einzuschätzen.
->   Lockheed Martin
->   Raytheon
->   Boeing
->   TRW
Amerika als Markenname und ...
Dass sich die USA als Markenname (America¿) kaum mehr von McDonald's, Marlboro, General Electric oder General Motors unterscheiden, mag Einigen fast blasphemisch vorkommen.

Aber de facto handelt es sich bei den USA, zumindest in einem gewissen Sinn, auch um ein (populäres) religiöses Konstrukt, das immer wieder Erweckungsbewegungen, Missionare und Kreuzzüge produziert(e).
... als Gesamtdesign
Tatsächlich ist Lasns Provokation von America¿ gar nicht so weit entfernt von der Einschätzung des brillanten deutschen Amerika-Experten Berndt Ostendorf.

Denn die nur scheinbar simple und redundante, tatsächlich aber zentrale und essenzielle Frage, warum denn nun die amerikanische populäre Kultur überhaupt so populär ist, beantwortet der in München wirkende Gelehrte damit, dass der Erfolg der amerikanischen populären Kultur überhaupt nicht in irgendeinem ihrer individuellen formalen oder ästhetischen Merkmale begründet sei.

Vielmehr liege die Attraktion überhaupt im Gesamtdesign der USA als bewusst konstruierter liberaler Neuer Welt Utopie. Kalle Lasn würde dem vielleicht hinzufügen, dass es sich seit geraumer Zeit doch eher um eine bewusst konstruierte neo-liberale Neue Welt Dystopie handle.
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Berndt Ostendorf, Why is American Popular Culture so Popular. A View form Europe (Odense, 2001)

Reinhold Wagnleitner and Elaine Tyler May (eds.), "Here, There and Everywhere": The Foreign Politics of American Popular Culture (Hanover, NH: University Press of New England, 2000) (=Salzburg Seminar Publications)

Reinhold Wagnleitner, "Coca-Colonisation und Kalter Krieg: 'Amerikanisierung' als historisches Phänomen und der 'Fall'Österreich" in Ursula Lehmkuhl, Stefanie Schneider und Frank Schumacher (Hg.), Kulturtransfer & Kalter Krieg: Westeuropa als Bühne und Akteur im Amerikanisierungsprozess Erfurter Beiträge zur Nordamerikanischen Geschichte 3/2000: 12-23.
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Image und Realität
Unbestritten verfügt dieses Gesamtdesign über weltweiten Einfluss. Denn das Image wird ja nicht nur in den USA veräußert, sondern global. Die Marke Amerika evoziert Jugend und Neuheit und wird unter den Schlagwörtern "Demokratie", "Chancen" und "Freiheit" verkauft.

Lasn warnt allerdings davor, einer fundamentalen Täuschung aufzusitzen: Denn die amerikanische Realität stehe zum Markenimage in einer ähnlichen Beziehung, wie die als Symbole der Lebenslust und jugendlicher Rebellion verkauften Zigaretten zur Realität der Raucherlunge.
America¿ als Agenda der Konzerne
Zwar sieht sich Lasn in der Tradition von Henry David Thoreau und Aldous Huxley, allerdings bleibt auch er selbst nicht ganz frei von naiver Selbsttäuschung. So wirft er der amerikanischen politischen Klasse vor, sich für Wahl und Machterhalt unter dem Druck der Konzerne zu verbiegen und zu korrumpieren, anstatt, zumindest gemäß seiner eigenen Logik, zu verstehen, dass sich die Konzerne eben nicht nur die entsprechenden Medien, sondern auch die Politiker halten können.

Auch der von Lasn als Lichtblick konstatierte vermeintliche erste Triumph über die Großkonzerne, der Sieg über die Tabak-Industrie, mag sich im Lichte der intensiven Bemühungen um Schadensbegrenzung durch die gegenwärtige US-Administration, immer noch als Pyrrhussieg heraus stellen. Schließlich zählte die Tabakindustrie nicht umsonst zu den wichtigen Finanziers der Wahlkampagne von George W. Bush.
->   Center for the Public Domain
Die zweite amerikanische Revolution
Um dem Konsum-Skript zu entkommen und die eigene Spontaneität wiederzuerlangen, fordert Kalle Lasn schließlich die Entmarktung des Lebens. Nur diese könne die Basis für eine zweite amerikanische Revolution schaffen.

Denn ganz ähnlich jenen 13 Kolonien, die sich 1776 in der ersten amerikanischen Revolution aus der Kontrolle der britischen Corporation befreit hätten, müssten sich die Amerikaner jetzt aus der Unterjochung der McDonaldisierung emanzipieren.
Das Uncooling Amerikas
Lasn ruft also zu nicht mehr und weniger als zum Uncooling Amerikas auf. Die formidablen Schwierigkeiten dieser Strategie zur Wiederentdeckung der Bodenhaftung und Nachhaltigkeit, sowie die Überwindung der Entfremdung und das Abwerfen der Konsumhörigkeit vergleicht Lasn in seiner äußerst expressiven Sprache mit jenem gewaltigen Kulturschock, der eine Hure erwartet, die mit ihrem Zuhälter bricht.
Politische Prosa
Gute politische Prosa wurde von George Orwell einmal (im Essay "Politics and the English Language") mit einem sauber geputzten Fenster verglichen. Da die mündigen Bürger durch diese Fenster klar erkennen könnten (so sie nur wollten), was ihre Herrscher tatsächlich mit ihnen aufführen, seien gute politische Autoren so etwas wie Fensterputzer der Freiheit.

Kalle Lasn folgt zwar den Fußstapfen von Henry David Thoreau und Aldous Huxley. Ihre Schuhe sind ihm aber doch noch ein wenig zu groß.
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Peter Davison, (Hg.), Orwell & Politics (Harmondsworth: Penguin Books, 2001)
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