Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Präsident Nixons Anfang vom Ende
Die Pentagon Papers
 
  Noch war die Welt in Ordnung; zumindest für einige Stunden. Als Präsident Richard M. Nixon exakt vor 30 Jahren am Morgen des 13. Juni 1971 die Sonntagsausgabe der New York Times zur Hand nahm fiel sein Blick auf ein Hochzeitsbild, das seine Tochter Tricia und ihn Tags zuvor im Rosengarten des Weißen Hauses zeigte.  

Die Nachricht von der Verehelichung der Präsidententochter nahm nicht nur die ganze linke Seite der Zeitung, sondern selbstverständlich auch die ganze Aufmerksamkeit des stolzen Vaters ein. Denn als ihn sein Mitarbeiter Alexander Haig wenige Stunden später anrief, verneinte Nixon die Frage, ob er auch den Artikel direkt rechts von der Hochzeitsgeschichte zur Kenntnis genommen habe.

Dabei handelte es sich bei diesem Artikel um nicht mehr und weniger als Neil Sheehans ersten Bericht mit dem Titel ¿Vietnam Archive: Pentagon Study Traces 3 Decades of Growing U.S. Involvement¿, also um den ersten sensationellen Aufmacher der Pentagon Papers.
->   The Pentagon Papers (verschiedene Ausgaben)
->   Noam Chomsky, The Pentagon Papers and U.S. Imperialism in South East Asia
->   The Pentagon Papers Homepage
Nixons Kampf gegen die Veröffentlichung...
Damit war allerdings mehr als der familiäre Friede des Präsidenten gestört. Verzweifelt versuchten Nixon und sein Stab, die Veröffentlichung dieser von Daniel Ellsberg zusammengestellten US-Geheimdokumente mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln zu verhindern. Konnte sich doch hier die ungläubige Öffentlichkeit zum ersten Mal detailliert über die Geschichte des US-Engagements in den Indochinakriegen seit 1945 informieren.
->   David Rudinstine, The Day the Presses Stopped. A History of the Pentagon Papers Case
->   CNN Cold War Chat: Daniel Ellsberg Ant-War Activist
...und eine geschockte Öffentlichkeit
Aber nicht nur die Bevölkerung der USA reagierte geschockt über die mannigfachen offiziellen Lügen und politischen Täuschungsmanöver gegenüber dem Kongress und der Öffentlichkeit sowie die zahlreichen Rechts- und Verfassungsbrüche durch die US-Administrationen während des Kalten Krieges.

Gerade die jüngste Eskalierung des Krieges in Vietnam sowie die Bombardierungen von Kambodscha und Laos, die von Präsident Nixon und Sicherheitsberater Henry Kissinger verantwortet werden mussten, schlugen besonders schwer zu Buche.
->   Nixon Presidential Project
->   Henry spielt Bismarck: Christopher Hitchens über die Akte Kissinger
->   Henry Kissinger Page
Ein Sieg der Pressefreiheit...
Die Publikation der Pentagon Papiere sollte immense (nationale und internationale) Auswirkungen haben. Schließlich führte sie am 30. Juni 1971 nicht nur zur wahrscheinlich wichtigsten Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Pressfreiheit in der gesamten Geschichte der USA.
¿trotz vergeblicher Kriminalisierung der Gegner
Die nun überhand nehmenden Versuche der Kriminalisierung der politischen Gegner durch den sich immer mehr von der Realität (und vom Gesetz) abnabelnden Präsidenten führte schließlich sogar zur Zusammenstellung eines Sonderkommandos für nicht ganz legale Einbruchs- und Abhörtechniken, das als Klempner-Team unrühmlich in die Geschichte eingegangen ist.

Und dessen Aktivitäten, von der Dieberei beim Psychiater von Daniel Ellsberg bis zum Einbruch im demokratischen Wahlkampfbüro im Watergate Hotel, spielte schließlich bei der Einleitung des Impeachment-Verfahrens gegen den Präsidenten durch den Kongress und dessen erzwungenen Rückzug aus dem Weißen Haus eine tragende Rolle.
->   Watergate
->   Presidential Impeachment Proceedings
->   Click with Dick: The Richard Nixon Library and Birthplace
Das National Security Archive
Dreißig Jahre nach diesen Ereignissen stellte nun das National Security Archive (NSA) nicht nur alle wichtigen legalen schriftlichen Dokumente sowie die Tonaufnahmen der wichtigsten Plädoyers des weltweit mit Spannung verfolgten Gerichtsverfahrens der Nixon Administration gegen die New York Times ins Internet, sondern auch die Audio-Files der relevanten Telephonate Nixons mit seinen Mitarbeitern im Weißen Haus.

Der Abrundung des Bildes dienen weiters die betreffenden Ausschnitte aus den Memoiren von Nixon, Kissinger und H.R. Haldeman.
->   The Pentagon Papers: Secrets, Lies and Audiotapes
Das Ende der imperialen Präsidentschaft
Diese zum ersten Mal in dieser Dichte zugängliche Dokumentation der schweren Staatskrise der USA von 1971-1974 ermöglicht einen außergewöhnlich interessanten Einblick in die Interna des Zusammenbruchs der imperialen Präsidentschaft der USA. Der immense Vertrauensverlust der amerikanischen politischen Klasse konnte nie mehr aufgeholt werden. Er ging viel tiefer als dies die meisten Kommentatoren je verstehen (wollen): denn die Veröffentlichung der Pentagon Papers (und besonders die Reaktion der Nixon Administration) zerstörte endgültig den fast religiös überhöhten Mythos der US-Präsidentschaft, für den es freilich auch schon lange vor Richard Milhous Nixon keinerlei Grund gegeben hatte.

Warum, das erhellt eine Bemerkung von H.R. Haldeman gegenüber Präsident Nixon vom 14. Juni 1971 ohne Schnörkel: ''Eines macht dieses ganze Geschwafel (d. i. die Pentagon Papiere) mehr als klar: Du kannst Deiner Regierung nicht glauben. Du kannst nicht glauben, was sie sagt. Und Du kannst Dich auf ihre Urteilskraft nicht verlassen. Und die ¿ die absolute Unfehlbarkeit des Präsidenten, eine Sache, die in Amerika unumstritten ist, wird dadurch zutiefst beschädigt; weil es sich zeigt, dass Leute Dinge tun, die der Präsident will, obgleich sie ungesetzlich sind. Und dass der Präsident das Falsche tun kann.''
->   The Richard Nixon Video Archive
 
 
 
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