Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Kuba in Afrika ... wo der Kalte Krieg ganz schön heiß war  
  Zwar zeigt sich der "schwarze Kontinent" auf der internationalen Landkarte der Geschichtswissenschaft nicht mehr als vollständig weißer Fleck. Aber die Rolle Afrikas während des Kalten Krieges, eines Konfliktes, den man immer mehr auch als Dritten Weltkrieg verstehen kann, ist alles andere als zufrieden stellend erforscht.  
Abhilfe schafft nun in einigen zentralen Fragen ein hervorragendes neues Werk über den Konflikt zwischen den USA und Kuba in Afrika zwischen 1959 und 1976. Verfasst wurde es von Piero Gleijeses, einem an der Johns Hopkins School of Advanced International Studies lehrenden Historiker.
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Conflicting Missions: Havana, Washington, and Africa
Piero Gleijeses, Conflicting Missions: Havana, Washington, and Africa, 1959-1976 (Chapel Hill: The University of North Carolina Press, 2002).

Piero Gleijeses, Shattered Hope: The Guatemalan Revolution and the United States, 1944-1954 (Princeton: Princeton University Press, 1992).
->   Piero Gleijeses: Johns Hopkins University Faculty Profile
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Kuba nicht am Gängelband der Sowjetunion
Gleijeses, der bereits vor einer Dekade mit seinem Standardwerk über die folgenschwere Zerstörung der Agrarreformen in Guatemala durch den von der CIA gesteuerten Coup gegen Jacobo Arbenz (zumindest die Fachwelt) beeindruckte, rückt auch in seinem neuesten Werk wieder eine besonders umstrittene Frage in den Mittelpunkt.

Die Interventionen Kubas auf dem afrikanischen Kontinent, die in der westlichen Forschung bisher fälschlich so dargestellt wurden, als wäre Fidel Castro gleichsam am Gängelband sowjetischer Puppenspieler gehangen und von ihnen, einer Marionette gleich, ferngesteuert worden.
"Revolutionäre Solidarität" mit dem "schwarzen Kontinent"
Die vorliegende Untersuchung wirft nun tatsächlich ein völlig neues Bild auf den seit Anfang der 1960er Jahre ständig eskalierenden Konflikt zwischen den USA und Kuba in Afrika.

Ausgehend von den ersten kubanischen Schritten zur Unterstützung der algerischen Rebellen gegen Frankreich im Jahre 1961, über den geheimen Krieg zwischen 1.000 CIA-Söldnern und 100 von Che Guevara geführten Kubanern in Zaire 1964 -1965, bis zur Entsendung von 30.000 kubanischen Soldaten nach Angola 1975 -1976 gelingt Piero Gleijeses der bestens dokumentierte Nachweis, dass die kubanische Regierung keineswegs als Marionette der Sowjetunion operierte, sondern eigenständig "revolutionäre Solidarität" übte.
Engagement zwischen Scheitern und Erfolg
Das völlige Misslingen der Intervention in Zaire 1964-65 wurde vom Kommandanten der Operation Ernesto Che Guevara in dessen nun auch vorliegenden selbstkritischen Bericht übrigens mit schonungslosen Worten eingeleitet: "Dies ist die Geschichte eines Scheiterns."
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Ernesto Che Guevara: "The African Dream"
Ernesto Che Guevara, The African Dream: The Diaries of the Revolutionary War in the Congo. With an Introduction by Richard Gott (New York: Grove Press, 2001).
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Die scheinbar totale Kontrolle
In Angola stoppten die kubanischen Truppen allerdings nicht nur den Vormarsch der südafrikanischen Armee auf Luanda, sondern auch Henry Kissingers großangelegte Geheimoperationen.

Die ebenso umfassende wie ausbalancierte historische Untersuchung wirft nicht nur ein neues Schlaglicht auf die Außenpolitik der USA in Afrika und der in ihrem Zentrum stehenden geheimen Operationen der CIA, sondern beendet auch das gängige Vorurteil über die scheinbare totale Kontrolle der UdSSR über die Politik Kubas.
Erstmaliger Zugang zu kubanischen Archiven
Denn Piero Gleijeses schaffte es in über sechsjähriger Forschungsarbeit als erster Wissenschaftler überhaupt, Zugang zu kubanischen Geheimarchiven zu erhalten: u.a. zu den Archiven des Zentralkomitees der kubanischen Kommunistischen Partei sowie zu den Archiven der Armee und des Außenministeriums. Und diese kubanischen Dokumente erweisen sich als ein wichtiges Bindeglied zur Erhellung der bedeutenden selbstständigen Rolle der politischen Elite der Karibikinsel.

Zu den tatsächlich sensationellen Funden zählen zahlreiche Protokolle von Unterredungen mit Fidel Castro, Che Guevaras handschriftliche Korrespondenz aus Zaire, die militärischen Direktiven von Verteidigungsminister Raul Castro, die Anweisungen des Geheimdienstchefs Manuel Piniero, Berichte der kommandierenden Offiziere aus Afrika und interne Memoranden der Regierung Kubas.

Dazu kommen noch wichtige Quellenstücke aus dem Bereich des kubanisch-sowjetischen Nachrichtenaustauschs sowie die militärischen Abkommen zwischen den beiden Verbündeten.
Eine bahnbrechende Leistung der Kalten-Kriegs-Forschung
Zusätzlich studierte Piero Gleijeses das umfangreiche Aktenmaterial von Archiven in den USA, Belgien, Großbritannien sowie (West- und Ost-)Deutschlands und interviewte zahlreiche führende Beteiligte aller betroffenen Parteien.

Besonders erwähnenswert ist, in einer leider immer einsprachiger werdenden Forschungslandschaft, auch die Tatsache, dass Gleijeses neben der Bewältigung und Durchdringung dieser immensen Aktenberge quasi nebenbei auch noch Portugiesisch und Afrikaans erlernte.
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Das wichtigste Ergebnis: Die partielle Eigenständigkeit der Afrikapolitik Kubas
Als Resultat dieser hervorragenden Forschungsleistung liegt nun die erste umfassende Untersuchung der eigenständigen Rolle Kubas in Afrika vor. Gleijeses Studie beendet die Legendenbildung um die zentrale Rolle Moskaus in diesem internationalen Konflikt gleich in zahlreichen Punkten. Hier seien nur drei erwähnt:

- Fidel Castro befahl die Entsendung kubanischer Truppen nach Angola am 4. November 1975 nur als Reaktion auf die Invasion der südafrikanischen Armee Angolas. Dagegen wurde bisher, in Anlehnung an die zeitgenössischen Vorwürfe durch die Regierung der USA, immer wieder behauptet, dass der Einmarsch der südafrikanischen Truppen nur eine notwendige Reaktion auf die kubanische Aggression darstellte.

- Selbstverständlich war die Administration Gerald Ford nicht nur genau über die südafrikanischen Invasionspläne informiert, sondern kooperierte auch militärisch eng mit den Invasoren, auch wenn dies von Außenminister Henry Kissinger vor dem US-Congress (und in seinen Memoiren) glatt geleugnet wurde.

- Und: die kubanische Regierung entschied die Truppenentsendung vollkommen selbstständig. Die Sowjetunion wurde, entgegen allen bisherigen Behauptungen in den ersten zwei Monaten des Konflikts, nicht nur nicht informiert, sondern die Truppenverlegungen fanden auch ohne jegliche sowjetische Hilfe statt.
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Dokumente online beim National Security Archive
Für die internationale Forschergemeinschaft besonders erfreulich: Fast gleichzeitig mit dem Erscheinen des Buchs stellt das National Security Archive zum ersten Mal die wichtigsten geheimen Dokumente aus den kubanischen Archiven der internationalen Forschung online zur Verfügung.
->   SECRET CUBAN DOCUMENTS ON HISTORY OF AFRICA INVOLVEMENT: National Security Archive Electronic Briefing Book No. 67
Postskriptum: Die Ouvertüre
Selbstverständlich standen diese Stellvertreterkriege zur Zeit des Kalten Krieges in Afrika auch in der Nachfolge des europäischen Kolonialismus. Die Zerstörung Afrikas begann nicht erst nach 1945.

Außerdem liegt auch dem kubanischen Engagement in Afrika die häufig völlig vergessene Tatsache zugrunde, dass sich der größte Teil der kubanischen Bevölkerung aus Nachkommen von ehemals aus Afrika verschleppten Sklaven zusammensetzt.
Das Herz der Finsternis
Zum bis dahin schlimmsten Holocaust der Weltgeschichte kam es im Freistaat Kongo (1885-1908) des belgischen Königs Leopold II. In den weniger als zwei Dutzend Jahren, in denen Leopold II als persönlicher Besitzer der Kolonie die Kongolesen als Privatsklaven die unermesslichen Bodenschätze plündern ließ, kamen in einem der ersten großen Genozide der Weltgeschichte mindestens vier, wahrscheinlich aber acht Millionen Menschen gewaltsam ums Leben.

Joseph Conrad charakterisierte deshalb dieses - damals noch einzigartige - Verbrechen Leopolds II nicht ohne Grund als das widerwärtigste Gedrängel um Raubgut, das jemals die Geschichte des menschlichen Gewissens verunstaltete.
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Weitere Literatur
Adam Hochschild, King Leopold's Ghost (New York: Houghton Mifflin,1999).

Joseph Conrad, Heart of Darkness (1899).

Jim Zwick, Reforming the Heart of Darkness: The Congo Reform Movement in England and the United States

Ludo de Witte, The Assassination of Lumumba (New York: Verso Books, 2001).

Michela Wrong, In the Footsteps of Mr. Kurtz: Living on the Brink of Disaster in Mobutu's Congo (New York: HarperCollins, 2001).

Yaa-Lengi M. Ngemi, Genocide in the Congo, Zaire: In the Name of Bill Clinton, and of the Paris Club, and of the Mining Conglomerates, So It Is (iUniverse.com, 2000).
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