Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Die dreizehn heißesten Tage des Kalten Krieges  
  Abermals ist von der Eröffnung einer neuen Front im aussichtslosen Kampf der Wissenschafts-Handwerker gegen die Medien-High-Tech-Industrie zu berichten. Rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft erstürmte der Streifen "Thirteen Days" am 20.12.2000 die US-Kinos auf breitester Front. Die Invasion der übrigen Welt steht kurz bevor.  
Spannung und ...

Der Film thematisiert die hochdramatischen Entwicklungen der Kubakrise, von der Entdeckung sowjetischer Raketensilos auf der Karibikinsel bis zu deren Abzug. Für sensationelle Spannung ist gesorgt, denn schließlich war die Welt der nuklearen Zerstörung nie so nahe wie in jenen 13 Tagen im Oktober 1962.

Wir durchzittern die erregenden Tage und Nächte der Kubakrise, die wohl nicht ganz zu Unrecht als die gefährlichsten Tage in der Geschichte der Menschheit bezeichnet wurden, mit Kenneth P. O'Donnell (Kevin Costner), einem, zumindest im Film, intimen Vertrauten und wichtigen Berater von Präsident John F. Kennedy.
->   The Thirteen Days

An den sprichwörtlich weltweiten Schrecken dieser Tage kommt trotz tausender Bücher, Dokumentationen, Spielfilmen und Websites allerdings nichts auch nur annähernd so nahe heran wie Bob Dylans in jenen Tagen verzweifelt hingeworfene Zeilen aus "A Hard Rain's A-Gonna Fall":
Where black is the color, where none is the number
->   Der gesamte Text des Dylan-Songs
... Ent-Spannung
Selbstverständlich tut es der Spannung des Films keinen Abbruch, wenn wir wissen, dass O'Donnell während der tatsächlichen Beratungen keine wichtige Rolle spielte. Immerhin arbeitete er ja unstreitig an einer anderen Front für den Präsidenten.

O'Donnell war Kennedy dabei sogar sehr intim verbunden: bestand doch eine seiner Aufgaben darin, für ständigen weiblichen Nachschub für die ¿Amouren¿ von JFK zu sorgen. (Aber das fällt wohl eher in den Bereich der Ent-Spannung.)
->   John Dean in Salon.com: Does "Thirteen Days" get it right?
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Buchtipp
Seymor Hersh, Kennedy: Das Ende einer Legende (Hamburg: Hoffmann und Campe, 1998)
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Ver-Bildung durch Bilder
Fast vierzig Jahre lang, so moniert Philip Brenner, einer der besten Kenner der US-kubanischen Beziehungen, ziemlich genervt, hätten fast alle amerikanische Darstellungen der Kubakrise, die Rolle Kubas vollständig ignoriert. Nun ignoriere der Film auch noch jene der Sowjetunion.
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Kein Wort also davon,
1) dass die USA seit 1959 gegen Kuba einen unerklärten Krieg führten, der von Terroranschlägen über Wirtschaftssabotage bis zu Mordanschlägen gegen Fidel Castro reichte;
2) dass gerade eine von den USA (nicht ausreichend) unterstützte Invasion in der Schweinbucht gescheitert war;
3) dass sich die USA in der größten Aufrüstungsphase ihrer Geschichte zu Friedenszeiten befanden;
4) dass die von Kennedy während des Wahlkampfes immer wieder beschworene Raketenlücke tatsächlich existierte, allerdings zu Ungunsten der Sowjetunion (die 1962 über weniger als fünfzig Bomber und Raketen verfügte, welche die USA erreichen konnten, während die USA die Sowjetunion mit mehr als 500 bedrohten);
5) dass die USA seit den späten 1940er Jahren an die 400 Stützpunkte um die Sowjetunion angelegt hatten (darunter die Jupiterraketenbasen in der Türkei), während die Sowjetunion in Kuba nun einen ersten in der Nähe der USA aufbauen wollte;
6) dass also diese Raketen aus der Sicht der kubanischen Regierung, die sich ja tatsächlich militärisch in höchstem Maße bedroht fühlen musste, als Defensivwaffen eingestuft werden konnten. (Die militärische Bedrohung durch die USA wurde auch 1989 von Kennedys Verteidigungsminister Robert S. McNamara in einer denkwürdigen Tagung, die zum ersten Mal involvierte Politiker und Militärs aus den USA, der UdSSR und Kuba an einen Tisch brachte, ausdrücklich konstatiert.)
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Der Film ist (k)ein historisches Dokument
Natürlich ist es mehr als naiv, von einem Hollywood-Thriller eine ausgewogene Darstellung zu erwarten. Wir könnten hier sofort zur Tagesordnung übergehen, wäre da nicht der Aufruf vieler US-Filmkritiker an die Jugend, sofort in die Kinos auszurücken, um dort in den Genuss von Geschichtsunterricht der besten Sorte zu kommen. Wie wenig der Film auf die Gegenseite eingeht, ist übrigens schon alleine daraus ersichtlich, dass in der gesamten Besetzungsliste nicht ein Schauspieler aufscheint, der einen Russen mimt.

Dabei käme Chruschtschow wirklich die Hauptrolle des klassischen (tragischen) Helden zu.

Auch der Pressetext des Films spricht für sich selbst: "Dreizehn Tage ist, in seinem Herzen, die Geschichte von Männern, die durch eine überwältigende und kühne Kombination von Macht und Diplomatie, ihren strahlenden Augenblick in der dunkelsten Stunde der Nation erreichten." (Meine Übersetzung)
Von der Brinkmanship (John Foster Dulles) zur
Blinkmanship (Dean Rusk)
Um den seichten Thesen und Kurzschlüssen des Films Paroli bieten zu können, stellte das National Security Archive sofort umfassendes Aktenmaterial und wissenschaftliche Analysen ins Internet. Auch die Foreign Relations bieten zum Thema eine reiche Dokumentensammlung an.
->   The Real Thirteen Days
->   Foreign Relations of the United States 1961-1963. Vol. X, Cuba, 1961-1962
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Der verheerende Mythos der Macht
Die Forscher treten damit vor allem dem Macho-Mythos der angeblich siegreichen US-Cowboys entgegen, die diese Konfrontation in einer Art von nuklearem High Noon ganz cool erledigt hätten; einem Mythos, der von den Kennedys und deren Hagiographen selbst aufs Innigste gepflegt wurde. So standen die Kontrahenten nach Außenminister Dean Rusk "Augapfel an Augapfel, und ich glaube, der andere Kerl hat gerade geblinzelt." Dieser Mythos hatte verheerende Konsequenzen, nicht nur in Indochina. Er widersprach allerdings den Tatsachen völlig.
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Kompromiss und...
Denn es waren ja gerade Zurückhaltung und Besonnenheit auf beiden Seiten, sowie der ausdrückliche Verzicht auf einen "Sieg", die schließlich die Lösung ermöglichten.

Sowohl Präsident Kennedy, der selbstverständlich viel früher von den Raketen gewusst hatte und deshalb mit seiner Camelot-Tafelrunde der "Best and Brightest" für die dramatische Zuspitzung der Krise den Hauptanteil der Verantwortung trug, als auch Nikita Chruschtschow, der meinte, einem Verbündeten aus einer Position der Schwäche zur Hilfe kommen zu können, hatten, wenn auch sehr spät und nur für kurze Zeit, letztlich die Kraft, sich gegen die Hardliner auf beiden Seiten durchzusetzen.
... die Wahrung des Gesichts
Den Sieg trug die Menschheit davon. Errungen wurde er mit den Mitteln der, wenig kino-tauglichen, traditionellen Diplomatie. Kennedy und Chruschtschow einigten sich auf einen Kompromiss, der das Gesicht des amerikanischen Präsidenten wahrte, ja ihn sogar als strahlenden Sieger erscheinen ließ.

Effektiv kam er aber den sowjetischen Forderungen inhaltlich weitestgehend entgegen. Denn die USA verpflichteten sich, nicht nur für immer auf eine Invasion Kubas zu verzichten, sondern auch ihre Jupiter-Raketen aus der Türkei abzuziehen.

Nur in einem Punkt wollte Robert Kennedy, der den Deal aushandelte, nicht nachgeben: der Kuhhandel, welcher der Welt den Nuklearkrieg ersparte, durfte nicht an die Öffentlichkeit dringen.
Also: Sieger sehen anders aus
Deshalb meinte Nikita Chruschtschow gegenüber seinem Sohn: "Derjenige, der als erster blinzelt, ist nicht immer der Schwächere. Manchmal ist er der Weisere."
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Zeitmaschine:
13 lange Tage, auch für einen Dreizehnjährigen. Die mögliche Katastrophe war damals unzweifelhaft überall spürbar, selbst im innviertlerischen Mauerkirchen. Unvergessen bleibt mir der Eindruck beim Umdrehen der sowjetischen Frachtschiffe in der Karibik, "miterlebt" vor dem Fernseher bei Nachbarn. Kommentar meines Vaters: "Ja, der Gscheitere gibt nach."
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Sprachlosigkeit, die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln
Sprachlosigkeit, die Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln

Indessen kann auch die ausgewogenste wissenschaftliche Interpretation, die wieder nur vorwiegend auf den Dokumenten einer Seite beruht, ein grundlegendes Problem nicht überwinden. Wir schreiben, paradoxerweise auch auf Grund der liberaleren Aktenöffnungspolitik der Vereinigten Staaten, die Geschichte des Kalten Krieges immer noch überwiegend aus der Sicht der USA.

Da die meisten HistorikerInnen, auch nach Öffnung sowjetischer Archive, des Russischen noch immer nicht (und des Französischen leider nicht mehr) mächtig sind (von anderen Sprachen ganz zu schweigen), hat sich die Situation seit vielen Jahren nicht entscheidend geändert. Dies zeigt sich wieder einmal sehr deutlich beim Studium der neuesten Literatur zur Vorbereitung meiner Vorlesung über den Kalten Krieg im Sommersemester 2001.

Und: diese Sprachlosigkeit ist zweifelsohne selbst wieder nur ein Relikt des Kalten-Kultur-Kriegs.
Die Kubakrise und das Ende der Kontrahenten
Chruschtschow konnte freilich weder die Betonköpfe im Kreml noch die westlichen Medien von der Weisheit seiner Taktik überzeugen. Das verbürgt sein politischer Sturz, fast auf den Tag genau zwei Jahre später am 14. Oktober 1964. Und ob Exilkubaner an der Ermordung Präsident Kennedys am 22. November 1963 beteiligt waren oder nicht, konnte bis heute nicht ganz geklärt werden.

Doch: Halt! Da bin ich schon wieder in einem anderen Film mit Kevin Costner: Oliver Stones JFK. Und das ist eine ganz andere (Verschwörungs)-Geschichte!
->   R.S. Robins und J. M. Post, Political Paranoia as Cinematic Motif: Stone's "JFK"
->   The John. F. Kennedy Assassination Website
->   Verschwörungstheorien auf Yahoo
->   Oliver Stone und JFK
 
 
 
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