Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 
Geschichte @ Internet II
Ein Relaunch im Zeitalter der Titanic
 
  Wenn aus so altehrwürdigen Dampfern wie den österreichischen Universitäten immer lauter werdende Rufe nach Meuterei und Streik erschallen, dann sollte den Kapitänen eigentlich klar werden, dass wirklich Feuer am Dach ist.  
Die in der letzten Dekade fast zugrunde reformierten österreichischen Universitäten sind jüngst Gegenstand zahlreicher Hiobsbotschaften geworden. Und die im konservativen Mäntelchen daherkommende neoliberale Verschlimmbesserung droht, mit einer Politik des "keinen Stein auf dem anderen lassen", auch den Hochschulen den Garaus zu machen.
Universitäten wie Fetzenlaberl
Seit vielen Jahren schiebt und kickt ein nicht unwesentlicher Teil der österreichischen Politik, der Medien und, last but not least, der Ministerialbürokratie die Universitäten wie ungeliebte Fetzenlaberl herum. Eine nicht unwesentliche Portion der Verantwortung für diesen Zustand muss allerdings auch in den heiligen Hallen der hohen Schulen selbst gesucht werden.

Dabei schlagen, neben der geradezu sprichwörtlich gewordenen altbackenen Eigenbrötlerei mancher Wissenschaftler, besonders zwei Faktoren negativ zu Buche: weit verbreitete Unkenntnis und tief gehendes Desinteresse an Fragen der praktischen politischen Macht sowie absolute Ignoranz in Sachen positiver medialer Selbstdarstellung und Public Relations. Dies trifft überdies nicht nur auf Teile der Professorenschaft, sondern auch auf eine erstaunlich große Zahl der Studierenden zu.

Allerdings: tot gesagte leben länger. Davon wissen gerade österreichische Historiker ein besonderes Lied zu singen.
Der bittere Kern der Debatte wurde übrigens auf dieser Science-Website von Konrad P. Liessmann erst jüngst in zwei Debattenbeiträgen blendend zusammengefasst:
->   Wissenschaft und Universitätsreform: Anmerkungen zu einer Debatte
->   Wissenschaft und Universitätsreform: Weitere Anmerkungen zu einer Debatte
Neuer Inhalt, neues Design. Kein neues Semester?
Angesichts des Untergangs der Titanic mag der Relaunch einer innovativen Lehrveranstaltung bestenfalls wie das verzweifelte Niederlassen eines Rettungsbootes wirken. Aber mögen die Eisberge noch so tief gehen und die Kapitäne versagen, so darf doch der Einsatz mancher ersten Offiziere und Maschinisten nicht unerwähnt bleiben.

Denn es sind ja auch die, manchmal bis an die Selbstausbeutung grenzenden, Leistungen jüngerer Wissenschaftlerinnen, die den Betrieb an Österreichs Universitäten in den letzten Jahren überhaupt noch ermöglicht haben.
Der liebe Augustin in der schönen neuen Welt
Dass es nun gerade diese Gruppe des wissenschaftlichen Nachwuchses ist, die durch die gegenwärtige Systemveränderung am meisten bedroht ist, kann nur verstehen, wer weiß, dass wir im Lande des lieben Augustins leben. Wer überdies bedenkt, dass diese Schritte unter dem Motto der "Verjüngung" der Wissenschaft verkauft werden, könnte allerdings meinen, eigentlich doch irrtümlich bei Orwells "Newspeak" oder gar in der schönen neuen Welt Huxleys gelandet zu sein.

Jedenfalls wären Projekte wie Geschichte @ Internet ohne den, meist unbezahlten und freiwilligen, kreativen Input junger Wissenschaftler wie Erwin Giedenbacher undurchführbar. Und auch das neue gelungene Design für den Relaunch des Konversatoriums Geschichte @ Internet wurde von meinem Schüler Martin Mader in Eigeninitiative erarbeitet.
->   Konversatorium Geschichte @ Internet Sommersemester 2001
Die Praxis und ...
Auch die vierte Serie der Reihe Geschichte @ Internet am Institut für Geschichte der Universität Salzburg dient der sozial- und geisteswissenschaftlichen Analyse des Internet, dem raschest wachsenden Kommunikationsmedium in der Geschichte der Menschheit. Vor allem die ökonomischen Dimensionen dieses Superlativs provozieren zur ständigen Übertreibung, und die kulturellen Folgekosten des Hype um das Internet müssen deshalb besonders genau untersucht werden.
... das Ende der Gutenberg-Galaxie?
Innerhalb kürzester Zeit hat sich das Internet von einem obskuren Randphänomen zu einem bedeutenden virtuellen Ort der kulturellen Produktion und Transformation entwickelt. Die Gutenberg-Galaxie wurde zwar schon ehrmals (etwas frühzeitig) zu Grabe getragen, es besteht aber kein Zweifel, dass die Digitalisierung allen (?) Wissens - und damit der Geschichte - ungeheure Auswirkungen auf das Leben der Menschheit haben wird.

Gerade für Studierende der Geschichte ist das Internet deshalb aus mehreren Gründen wichtig. Als Medium der Forschung, Dokumentation und Publikation (neuer Textformen) ebenso wie als Ort der Produktion von Geschichtsschreibung und von Geschichte. Die Lehrveranstaltungsreihe geht deshalb insbesondere der Frage nach, ob die Digitalisierung des Wissens neue politische, militärische, soziale, ökonomische, kulturelle und ästhetische Hierarchien entstehen lässt und wie damit (quellen-)kritisch umgegangen werden muss.
Bisher bezogen sich die einzelnen Einheiten auf folgende Themenschwerpunkte:
->   The Internet and History ¿ History on the Internet: Alter Wein in neuen Schläuchen? (WS 1998/99)
->   Konversatorium WS 1999/2000
->   WS 2000/2001
1) Die Geschichte des Internet als Teil des Kalten Krieges
->   Vannevar Bush, "As We May Think" The Atlantic Monthly July 1945
->   History of Internet and WWW: The Roads and Crossroads of Internet History by Gregory R. Gromov
2) Cyberwar, Infowar, Information Warfare und Netwar
->   Infowar - Telepolis
->   Ars Electronica: Information.Macht.Krieg
3) Das Internet als Medium der historischen Forschung
->   Nachrichtendienst für Historiker
->   WWW-VL -- The History Index
->   Links to Historical Maps on Other Sites
4) eBusiness, E-Commerce, eSales
->   Corporate Concentration: A Threat to the Right to Communicate? Robert W. McChesney
->   Tutorial eCommerce
5) Der gläserne Mensch im Netz von Big Brother: Demokratie @ Überwachung
->   Die Enfopol Papiere
->   Interception Capabilities 2000: Report to the Director for Research of the European Parliament, April 1999
6) Veränderungen von Raum und Zeit? Deterritorialisierung und Globalisierung?
->   CTHEORY: Theory, Technology, Culture
->   AJR Newslink - fast 5000 Zeitungen und noch viel mehr online
->   Worldwatch Institute
7) Das Internet als soziales Phänomen (Stichworte: Wissensgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft, Cybersociety, Kommunikationsgesellschaft)
->   ZNet - a community of people concerned about social change
->   Human Development Report 2000
->   GenderInn - Women's and Gender Studies Database
8) Das Internet als Präsentationsmedium in Forschung und Lehre
->   Teaching History with Technology
->   The Wired Professor
Im laufenden Semester sollen die Teilnehmerinnen ihre eigenen laufenden Forschungsarbeiten präsentieren können. Die Themen reichen dabei von den politischen Auswirkungen der historischen Erinnerung an den japanischen Angriff auf Pearl Harbor über den Abwurf der amerikanischen Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki bis zu dem von der US-Raumfahrt produzierten Technologieschub.

Es bleibt zu hoffen, dass dem neuen Inhalt und Design auch ein neues Semester entsprechen möge.

Damit nicht nur ein Wired Professor überbleibt.
 
 
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Wissen und Bildung .  Technologie 
 

 
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