Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 
Invasion in der Schweinebucht: 40 Jahre danach  
  Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion ist nicht nur die Geschichte des Kalten Krieges aus den Fugen geraten, sondern auch die Geschichtsschreibung. Eine historische Tagung in Havanna zum 40. Jahrestag der Invasion in der Schweinebucht gibt seltenen Anlass zur Hoffnung.  
Kaum Niederschlag in den Medien
Die Routine der schlechten Botschaften aus allen Ecken und Enden der dem Kalten Krieg entsprungenen internationalen neuen Welt-Un-Ordnung wurde wenigstens in diesen Tagen durch eine wahrlich sensationelle und - im positiven Sinne - aufregende Nachricht durchbrochen.

Sie fand selbstverständlich kaum Niederschlag in den Medien. Mit wenigen Ausnahmen:
->   BBC News
->   NY Times
Symposion in Havanna zum 40. Jahrestag
Zum 40. Jahrestag der von der CIA und Exilkubanern geplanten Invasion Kubas in der Schweinebucht trafen nämlich vom 22. bis 24. März 2001 ehemals führende Beteiligte aller Seiten auf Einladung der Universität von Havanna und mehrerer kubanischer Regierungsstellen zu einem Symposion zusammen. Peter Kornbluh, einer der besten Kenner der US-kubanischen Beziehungen vom National Security Archive (das auch als Co-Sponsor fungiert) leitete die US-Delegation.
->   National Security Archive. The Bay of Pigs Invasion: Press Release 16. März 2001
Ähnlich den drei Konferenzen zwischen 1987 and 1992, in denen ehemalige Politiker, Militärs und Wissenschaftler aus den USA, der Sowjetunion und Kuba versuchten, in einer bis dahin einzigartigen Kooperation die hochbrisanten Ereignisse der Kubakrise von 1962 neu zu analysieren, bietet sich nun wieder einmal die einzigartige Chance, in einer kollektiven wissenschaftlichen Anstrengung ohne parteiische Scheu die Hintergründe dieses Konfliktes auszuleuchten.
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Literatur:
James G. Blight und David A. Welch, On the Brink: Americans and Soviets Reexamine the Cuban Missile Crisis (New York: Hill and Wang, 1989)
James G. Blight, The Shattered Crystal: Fear and Learning in the Cuban Missile Crisis (Savage, Md.: Rowman and Littlefield, 1990);
Bruce J. Allyn, James G. Blight und David A. Welch, Back to the Brink: The Moscow Conference on the Cuban Missile Crisis (Lanham, Md.: University Press of America, 1991),
Bruce J. Allyn, James G. Blight und David A. Welch, Cuba On the Brink: Fidel Castro, the Missile Crisis and the Collapse of Communism (New York: Pantheon; 1993)
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->   Die Kuba-Krise: National Security Archive
->   Reinhold Wagnleitner: Die dreizehn heißesten Tage des Kalten Krieges
Erstes Treffen seit 40 Jahren
Zum ersten Mal seit April 1961 werden sich bei diesem wahrlich historischen Treffen in Havanna die Gegner in die Augen sehen können.

Die US-Delegation setzt sich zusammen aus Mitgliedern des Beraterstabes von Präsident Kennedy (Arthur Schlesinger Jr. und Richard Goodwin), führenden Mitgliedern jener CIA-Abteilungen, die für den Untergrundkampf gegen Kuba in den frühen 1960er Jahren verantwortlich zeichneten (Robert Reynolds, CIA-Chef in Miami und Samuel Halpern, Leiter der Operation Mongoose) und fünf prominenten Kämpfern der 2506 Brigade von Exil-Kubanern (darunter Alfredo Duran und Robert Carballo).

Die kubanische Delegation besteht aus den entsprechenden Pendants von damals führenden Politikern, Geheimdienstlern und Militärs.
Erstmalige Einsicht in Dokumente
Für Spezialisten der Forschung zum Kalten Krieg besonders interessant: bereits in der Vorbereitungsphase hat die kubanische Regierung zugestimmt, zum ersten Mal Dokumente, die sich auf die Invasion beziehen, der internationalen Forschung zugänglich zu machen.

Die kubanischen Dokumente (tausende Seiten), die sowohl kubanische Geheimdienstberichte über die Invasionsvorbereitung durch die USA als auch Fidel Castros Direktiven zur Abwehr enthalten, werden aber nicht nur der US-Delegation zur Verfügung gestellt.
US-Dokumente im WWW
Dieses Treffen, das einen einzigartigen Dialog über eine der bittersten und gewalttätigsten Episoden der US-amerikanisch-kubanischen Vergangenheit ermöglicht, bedeutet eine weitere Premiere. Kündigte das National Security Archive doch an, während des Symposions jeden Tag für die Diskussion relevante Dokumente ins Netz zu stellen.

Damit werden von dieser Forschungsinstitution der George Washington University, die sich auf die Publikation von mit Hilfe des Freedom of Information Act freigegebenen US-Regierungsakten spezialisierte, erstmals zugängliche Dokumente aus den USA und Kuba, aber auch aus Europa und Lateinamerika ins Netz gestellt.
Die Updates sind seit 22. März 2001 unter der folgenden Adresse abzurufen:
->   National Security Archive: Bay of Pigs
Historische Bedeutung
Die historische Bedeutung dieser Geste der wissenschaftlichen Kooperation kann gar nicht überschätzt werden.

Denn: Diese fehlgeschlagene Invasion Kubas vom 16. bis 19. April 1961, die ursprünglich von Vizepräsident Richard M. Nixon vorgeschlagen, noch unter Präsident Dwight D. Eisenhower geplant, von Robert F. Kennedy unterstützt und schließlich von John F. Kennedy befohlen worden war, bedeutete den ersten Höhepunkt einer aggressiven Politik, die Fidel Castro unweigerlich in die Arme der Sowjetunion treiben musste: mit allen bekannten Folgen, von der Kubakrise, welche die Welt an den Abgrund des atomaren Krieges brachte, bis zur ökonomischen Strangulierung bis zum heutigen Tage.
Glaubwürdigkeitsverlust Kennedys
1.197 Invasoren wurden damals gefangen genommen, nachdem sie vorher von den USA im Stich gelassen worden waren. 200 Exil-Kubaner, 200 Kubaner und vier US-Piloten wurden getötet. Als besonders gravierend erwies sich allerdings auch der Verlust der Glaubwürdigkeit von Präsident Kennedy, der seinen Gegnern überhaupt zu ihrem "ersten Sieg über den Yankee Imperialismus am amerikanischen Kontinent" verhalf.
''Perfekter Fehlschlag''
Das Fiasko in der Schweinbucht war jedenfalls so total, dass Theodore Draper zu seiner klassischen Einschätzung "des perfekten Fehlschlags" animiert wurde.

Und niemand verzeiht Scheitern weniger als die Öffentlichkeit der USA.
Schiffbruch
Dieses Schiffbruch erleiden in der Bahía de los Cochinos war als eines der schlimmsten außenpolitischen Desaster von John F. Kennedy schließlich auch ursächlich verantwortlich dafür, dass er sich auf das extreme Hasard-Spiel der Kuba-Krise einließ.

Man(n) musste sich ja noch beweisen.
->   Unfinished Business: Kennedy and Cuba
->   Invasion of Bay of Pigs von J. A. Sierra
Späte Einsicht ...
Zwar kam Präsident Kennedy, leider erst wenige Tage vor seiner Ermordung, noch zur Einsicht hinsichtlich der wirklichen Probleme Kubas (mit den USA): "Ich glaube, dass es kein Land auf der Welt gibt, wo die wirtschaftliche Kolonisation, die Erniedrigung und die Ausbeutung schlimmer waren als in Kuba, zum Teil infolge der amerikanischen Politik während des Batista-Regimes."
... bis heute folgenlos
Allerdings sollte diese ziemlich simple Erkenntnis tragischerweise bis heute nicht in die Kuba-Politik der USA einfließen. Vielleicht bietet diese Konferenz nun doch den nötigen Lichtstreif am Horizont für zwei unumstößliche Erkenntnisse:
1) dass nur durch reden die Leute zusammen kommen, und
2) dass wissenschaftliche Zusammenarbeit mittelfristig auch zur dringend nötigen Normalisierung der politischen und ökonomischen Beziehungen führen kann.

Es ist nur zu hoffen, dass es nicht vierzig Jahre dauern wird, bis sich diese Erkenntnis auch in Österreich wieder durchsetzen kann.
 
 
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft 
 

 
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