Host-Info
Reinhold Wagnleitner
Institut für Geschichte, Universität Salzburg
 
ORF ON Science :  Reinhold Wagnleitner :  Gesellschaft .  Wissen und Bildung 
 
''The Sound of Music'' - die Realität der Fiktion  
  Dieser Tage wurde in Salzburg ein Buch vorgestellt, das sich zum ersten Mal umfassend mit einem besonders aufschlussreichen kulturellen Massenphänomen der letzten Jahrzehnte auseinandersetzt: mit dem Musical- und Filmerfolg von "The Sound of Music".  
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Hrsg. Ulrike Kammerhofer-Aggermann und Alexander G. Keul "The Sound of Music" zwischen Mythos und Marketing (= Salzburger Beiträge zur Volkskunde, Band 11) Salzburg 2000, Eigenverlag, 500 Seiten, 128 SW-Abb. ISBN: 3-901681-03-5, ÖS 350.--/Euro 25,44.
Bestellungen: Salzburger Landesinstitut für Volkskunde, Mühlbacherhofweg 6/I, A-5020 Salzburg, E-Mail: volkskunde.slivk@land-sbg.gv.at Tel.: +43(0662) 8042-2351, Fax: DW 3079.
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Weltweit wichtig, in Österreich fremd

Obwohl sich der Film (1964/65, 20th Century Fox, Regie: Robert Wise, Hauptdarsteller: Julie Andrews und Christopher Plummer) weltweit seit den 1960er Jahren als weitaus wichtigster imagebildender Faktor für Salzburgs Tourismus herausstellte, blieb dieses Phänomen der großen Mehrheit der Österreicher bis vor kurzem weitgehend fremd.

Dass auch die Salzburger Tourismus-Wirtschaft und Stadtpolitik mehr als zwei Jahrzehnte brauchten, um überhaupt auf die vielen hundert Tausend Pilger aufmerksam zu werden, die dieser millionenschweren Gratiswerbung folgten, hat sehr viel mit dem internationalen Weitblick der ökonomischen, politischen und kulturellen Führungsschicht der schönen Mozart-Stadt zu tun.
->   Offizielle SoM-Homepage von Fox
->   Robert Wise: American Film Institute Homepage für den Regisseur:
->   Production Journals: The Sound of Music
The Sound of Money - die Fiktion hat die Realität überholt
Inzwischen haben sich die "wahren Fiktionen" der Klischees und Markennamen gegen die Realität selbstverständlich bereits längst durch gesetzt. Das Gros der in der Altstadt arbeitenden Menschen rekrutiert sich mittlerweile aus nicht mehr in der Stadt lebenden Pendlern.

Viele scheinen wie Komparsen zu agieren, die schnell vor Beginn der Haupthandlung, also der Ankunft der Touristen, den pittoresken Barock-Fassaden durch Hinausstellen von Tischen und Hinaufziehen von Rollos für zehn Stunden den Hauch der Geisterstadt auszutreiben suchen.
Internalisierung von Mythen
Ironischerweise internalisiert Salzburg damit den von "The Sound of Music" geschaffenen kulturellen Mythos freiwillig, ohne überhaupt den Film zu kennen. Und die große Mehrheit der Reisenden kommt ohnedies gar nicht mehr, um die Stadt zu erleben, sondern sie streift nur mehr durch die virtuelle Welt der Filmkulisse.

Aber das lief ja schon am Anfang des Salzburger Tourismus-Booms im 19. Jahrhundert ganz ähnlich ab, als der Mythos der "schönen Stadt", noch vor dem Topos der "Stadt Mozarts", erfunden wurde.
->   Salzburg: Die Bühne der Welt "The Sound of Music"
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Hanns Haas, Robert Hoffmann und Kurt Luger (Hg.), Weltbühne und Naturkulisse: zwei Jahrhunderte Salzburg-Tourismus (Salzburg: Pustet, 1994)
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Warum verschwand der Film aus Österreichs Kinos?

Der schön illustrierte Band "'The Sound of Music' zwischen Mythos und Marketing" vereint Essays von 25 Fachleuten verschiedener Disziplinen, die das Phänomen aus unterschiedlichen Blickwinkeln informativ, unterhaltsam und gut lesbar ausleuchten.

Dem Rätsel, warum sich "The Sound of Music" in weiten Teilen der Welt als Kultfilm zu einem regelrechten Massenphänomen entwickeln konnte, wird ebenso nachgegangen, wie der Frage, warum der Film gerade in Österreich (und Deutschland) nach nur wenigen Spieltagen für immer in der Versenkung verschwand.
Die drei Säulen der Kritik
Einerseits ist die hämische Kritik, die sich über den Film seit der Uraufführung ergießt, durchaus verständlich, beruht sie doch auf drei wesentlichen Säulen:
1) der sirupartigen Süßlichkeit;
2) der zwar hervorragend komponierten, aber doch unvertrauten Künstlichkeit der Broadway-Musik, deren suggerierte Nähe zum Original die Entfernung nur umso deutlicher erscheinen lässt;
3) und mehreren geographischen und historischen "Fehlern". Besonders köstlich: die wahrlich filmreife Flucht über den Untersberg, der die Trapp-Familie sicher nicht in die Schweiz, sondern vielmehr direkt in den Vorgarten von Hitlers Berghof gebracht hätte. Dass die Trapps tatsächlich über Italien ausreisten, spielt da schon ebenso wenig eine Rolle, wie die tatsächlichen politischen Vorlieben des Familienoberhaupts.
->   The Von Trapp Family: Harmony and Discord Biography - The History Channel
Ungeahnte Eigendynamik
Andererseits bietet die Geschichte der Trapp Familie durchaus Respekt, und gerade jene, die selbst im Glashaus sitzen, sollten nicht mit Steinen werfen.

Aber die Politik eines (jeden) kulturellen Produkts entwickelt ohnehin eine ungeahnte Eigendynamik.

Besonders treffend dazu ein Bericht von Laura Gellott. Nachdem sie 1965 "The Sound of Music" mit ihrer Schulklasse in einer Tournee-Aufführung in Detroit erlebt hatte, mussten die Schülerinnen später in einer Redeübung über den Theaterbesuch referieren.

Ein Mädchen nach dem anderen beklagte dabei gebetsmühlenartig den bösen Überfall der Kommunisten auf Österreich. Als Gellott schließlich darauf hinwies, dass der Anschluss 1938 doch von den Nationalsozialisten vollzogen worden war, erwiderte eine ziemlich genervte Lehrerin, dass das ohnehin keine Rolle spielte, da Kommunismus und Nationalsozialismus ohnehin das Gleiche wären.
The Sound of Forgetting Meets ...
Dank der massenhaften Verbreitung ihrer Produkte entwickelten sich die Traumfabriken aller Nationen auf der einen Seite zu zentralen Orten der kulturellen Selbstschöpfung, auf der anderen eigneten sie sich aber auch ganz besonders zur Selbsttäuschung. Und "The Sound of Music" macht da keine Ausnahme. Ja, der Film kann sogar als ein besonders offenkundiges Beispiel der Selbsttäuschung gelesen werden.

Wie alle Streifen mit historischem Sujet erzählt uns das Musical selbstverständlich mehr über die Gesellschaft der Produktionszeit, also die USA der 1960er Jahre, als über Österreich vor und nach dem Anschluss. Wie immens erfolgreich diese Flucht in die Idylle war, verdeutlicht ja auch die Tatsache, dass der Film immer noch zu den Top Ten in der ewigen Hitliste Hollywoods zählt.
->   The Rodgers and Hammerstein Organization

"The Sound of Music" steht in einer langen Tradition von US-Filmen, die bis zum Ersten Weltkrieg zurückreicht. In ihnen wurde immer wieder ein idyllisches Österreich, bevölkert von eleganten, walzertanzenden Aristokraten, feschen Mädeln und gemütlichen Geigern beschworen; ein Land, das nicht nur ohne Historie, sondern geradezu außerhalb jeder Geschichte zu existieren scheint. Ironischerweise unterscheiden sich diese filmischen Erfindungen "Österreichs" ästhetisch und ideologisch kaum von ähnlich eskapistischen Filmen der österreichischen und deutschen, einschließlich der nationalsozialistischen, Produktion.

Die Autoren von "The Sound of Music" schufen tatsächlich ihre eigene Geschichte und ihre eigene Geographie. Während aber die Geographie, trotz drastischer Schnitte in bester Wilsonscher Manier, immerhin noch einigermaßen europäisch wirkt (und die einleitende Kamerafahrt tatsächlich zu den eindrucksvollsten der Filmgeschichte zählt), so tut dies die Story schon weniger. Sicherlich, 20th Century Fox produzierte einen Heimatfilm, aber die Heimat, um die es wirklich ging, war nicht Österreich, sondern die Vereinigten Staaten von Amerika!
... the United States of Amnesia
1965 drückte "The Sound of Music" eine Flucht aus einer immer komplizierter, gefährlicher und instabiler werdenden Welt aus. Der Film bedeutete immerhin eine Pause für zwei Stunden. Das Problem war selbstverständlich nicht der Anschluss (zur Erinnerung: auch die BRD hatte ja bereits wieder God on its side), sondern der eskalierende Krieg in Indochina und die zu Dutzenden brennenden schwarzen Ghettos in den Großstädten der USA.
->   Bob Dylan: With God on Our Side, 1964
Der über allem stehende absolute Familiensinn und der Patriotismus der (filmischen) Trapp Familie repräsentierte jedenfalls ein Bollwerk gegen die Konfliktkultur der Bürgerrechtsbewegung und Antivietnamkriegs-Demonstrationen.

Augenscheinlich kam das Hohelied auf die Tugenden und Stärken der patriarchalischen Familie sowie der große Kinderreichtum gerade auch in dem Jahrzehnt der sich wie ein Buschfeuer ausbreitenden Antibaby-Pille und der explodierenden US-Scheidungsraten nicht ganz ungelegen.
Außerhalb der Geschichte?
Es ist schon richtig: manche Österreicher geben vor, außerhalb der Geschichte zu existieren. Sie sind damit aber nicht allein auf weiter Flur. Viele US-Bürger leisten ihnen dabei beste Gesellschaft.

"The Sound of Music" ist daher nicht nur ein Streifen über die Flucht (!) einer österreichischen Familie in den rettenden Schoß der neuen Welt, wobei dieser archetypische Konflikt - gute, unschuldige Menschen werden von bösen, korrupten Menschen aus der alten Welt (dem Paradies) vertrieben und finden in der neuen Welt (dem Neuen Paradies) Zuflucht und eine zweite Chance für ein zweites Glück - sicherlich einen wesentlichen Grundstein zum Erfolg in den USA legte.
Erfolgreicher als Jimi Hendrix
"The Sound of Music" ist aber vor allem auch ein Film über die amerikanische Sehnsucht nach der "guten alten Zeit", der Suche nach der "verlorenen Unschuld" vor Hiroshima, Korea und der Doktrin der Mutually Assured Destruction (=MAD).

Schließlich ist es doch auch noch ein echter Beweis für den "revolutionären" Charakter der Popkultur der 60er Jahre, dass "Sound of Music" ihr größtes singuläres Erfolgsprodukt repräsentiert. Und nicht Jimi Hendrix' "Star Spangled Banner", wie uns so viele glauben machen wollen.

Denn der größte Erfolg von "The Sound of Music" ist ja gewesen, dass der Mythos aus dem Marketing besteht. Oder ist es umgekehrt?
 
 
 
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