Host-Info
Peter Weinberger
Institut für Technische Elektrochemie und Festkörperchemie, Technische Universität Wien
 
ORF ON Science :  Peter Weinberger :  Wissen und Bildung 
 
Universitätsreform: "weltklasseuni.goof"  
  Es ist in der Tat schwer vorstellbar, dass in Zukunft die Wirtschafts- und vielleicht auch die Landwirtschaftskammer die wissenschaftlichen Visionen eines Landes
mi(e)tbestimmen sollen. Sozusagen frei nach dem Muster der jährlich vom Institutsvorstand auszufüllenden Statistik: "Projekte mit internationaler Beteiligung bis zu drei Monate".
 
Wie Themen beschlossen werden könnten
So gesehen bedarf es selbstverständlich auch nicht mehr der Ao. Professoren (Universitätsdozenten), die in Zukunft keine Diplomarbeit oder Dissertation betreuen dürfen.

Die Präsidentenkonferenz beschließt ganz einfach ein Dissertationsthema für ganz Österreich, so halt wie bei einer Art Matura, das dann z.B. alle Physikstudenten zu behandeln haben.
Vorschläge im Weltklasseformat
Wie wär's mit "Das Bremsverhalten von Traktoren bei 20 Prozent Steigung unter besonderer Berücksichtigung der rheologischen Eigenschaften von Rapsdiesel"? Wer brav war, bekommt einen Einser. Im Weltklasseformat (großer Einser, fett gedruckt).

Hochtechnologie ist nicht von Nöten, wir haben genügend hohe Berge, das reicht, und außerdem sind die kostenlos. Dabei ist gar nicht abzusehen, welch großartige Vorteile sich für die Verpackungsindustrie einstellen werden, wenn auch das Büro des dritten Nationalratspräsidenten an der Erstellung relevanter Themen beteiligt ist.
Folgen für Professoren
Für die echten Professoren beginnt mit der neuen Ordnung auch nicht gerade ein Honigschlecken. Alle studentischen Anfragen sind an sie direkt zu richten, desgleichen ist die Betreuung der noch verbliebenen renitenten Studenten durchzuführen, die unbedingt eine Dissertation absolvieren möchten.

Selbstverständlich haben sie in Zukunft alle Lehrveranstaltungen abzuhalten, inklusive Seminare und Übungen, weil eine Beauftragung gegen den Willen der Betroffenen ohnedies nicht zielführend ist. Aber bitte! Bei 40 Wochenstunden sollte selbst noch das Ausfüllen von Statistiken und Verfassen von Berichten möglich sein.
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Forschung als Hobby - "Master des Grünen Veltliner"
Es ist schließlich jedem freigestellt, ein bisschen Forschung, quasi als Hobby, zu betreiben. Wenn diese Personengruppe auch noch weniger wird (einige werden sicher aus Trotz in das Ausland abwandern), dann ist das wichtigste Ziel der anstehenden Reform erreicht: Es können selbst Kärntner Bauunternehmer, selbstverständlich mit entsprechender Meisterprüfung ausgestattet, Rektoren oder Senatsvorsitzende werden.

Wenn man bedenkt, wie eng dann - auf Grund des Engagements leitender Funktionäre von Böhler-Uddeholm - die Verflechtung mit den Fachhochschulen sein kann, wie enorm die Effizienzsteigerung sich entwickeln wird - endlich gibt es einen Master des Grünen Veltliner - dann brechen wirklich rosige Zeiten aus.
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Eine Verwechslung
In der Zwischenzeit - selbst die Medien haben unerwarteterweise in Form von Kurznotizen reagiert - hat sich herausgestellt, dass Hoffnungen, die Vorstellungen zu einem Haus der Geschichte und zur Unversitätsreform seien wechselseitig durcheinander gekommen - eigentlich wollte man bloß einen Militärhistoriker als Oberrektor installieren, in einer der vielgepriesener Reform der Sozialversicherung angepassten Parallelaktion - durch ernstgemeinte Wortspenden führender Bildungsfachleute aus dem Umkreis der Präsidentenkonferenz zu Nichte gemacht wurden.

Nicht bestätigt konnte dagegen eine niederösterreichische Pressestimme werden, die mit dem einfühlsamen Spruch "Schaut's Leidln, bei uns wird selbst a Supergau nua zum Supergaugau" die aufgebrachte Situation beruhigen wollte.
Szenarien für die Zukunft
Nach der Zerstörung aller Vernunft (Hermann Broch) und der damit verbundenen Überleitung in die Anarchie (schon wieder Broch) scheint sich ein durchaus realistisches Szenario für die ferne Zukunft zu entwickeln: fachhochschulunwillige Studenten besuchen umliegende Universitäten, in Prag, Budapest, Pressburg, ja selbst im fernen Regensburg, um an das, nach Ansicht bundesministerieller Opinionleader ohnedies nur fiktive europäische Bildungsniveau zu gelangen.
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"Selbstlose Hilfe"
Ein schönes Beispiel für die selbstlose Hilfe, die Österreich so manchen betrittswilligen Ländern angedeihen lässt: ehemalige stalinistische Hochburgen und - aus österreichischer Sicht - heutige Provinzlehrstätten brotloser Wissenschaften finden so Anschluss an das Weltklasseniveau, das wir ohnehin schon haben.

Mit großer Befriedigung kann sehr bald im Finanzministerium festgestellt werden, dass auch der lästige Wissenschaftsfonds seine Tätigkeit als beendet betrachten kann. Das ewige Gejammer von wegen der niedrigen Forschungsquote lässt sonst noch Zweifel an der Großartigkeit des Landes als Industriestandort aufkommen.
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Saunaaufgießen und Tortenaufschneiden
Wellness heißt die Devise, das kommt an, und nicht etwa das Zwischennetz! Dafür bedarf es geeigneter Berufsausbildung: ein Bachelor in Saunaaufgießen (mit heimischen Waldmeisterschnaps natürlich), ein (Fachhochschul-) Doktorat in Torten- oder sonstigem Aufschneiden. Alles wohlanerkannte Diplome zwischen Dornbirn und Eisenstadt!
Perspektiven
Stimme aus dem Volk (geborgt bei Karl Kraus): "Und Sie, lieber Herr?" Ja, ich werde mir überlegen, ob ich nicht doch den im fernen Kalifornien angebotenen Posten annehmen werde. Beruhigt vom Gedanken, dass von nun an harmlose Bloß- und Dollfüßige über die österreichische Zeitgeschichte wachen werden, könnte ich mich auch der Sektion Volksgarten anschließen und mir das bedächtige Flattern rot-weiß-roter Fahnen auf dem Ballhausplatz ansehen, mit denen ich dann noch weniger anzufangen weiß.
"Letzte Plätze"?
PS.: Hat sich eigentlich jemals eine(r) der vehementen Befürworter des neuen Universitätsorganisationsgesetz überlegt, dass es selbst in der Weltklasse der Universitäten letzte Plätze gibt? In einer nach unten hin offenen Skala? Dass ein Schielen - im wahrsten Sinne des Wortes - nach amerikanischen Eliteuniversitäten (mit überdurchschnittlich großen geisteswissenschaftlichen Fakultäten, denn "to major in English" ist immer noch das beliebteste Fach) angesichts der eklatant unterschiedlichen Studentenzahlen vollkommen unangebracht ist?

PPS.: Sollte bei weltklasseuni.goof ein Adressfehler angezeigt werden, kann auch direkt auf http://www.goofy.at umgestiegen werden.
->   Berichte und Kommentare zur Universitätsreform in "science.ORF.at"
 
 
 
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