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Für Lichtteilchen steht die Zeit still  
  Die knifflige Teilchen-Welle-Dualität bei Photonen birgt brennende Fragen der Quantenphysik in sich - wie die Diskussion im science.ORF.at-Forum zeigt. Einerseits zeigen sie wellentypische Interferenz- und Beugungsmuster, andererseits lassen sich diese masselosen Teilchen mit geeigneten Detektoren nachweisen.  
Die Frage nach dem Faktor Zeit, wie sie unser User rawspi aufgreift, geht über die physikalische Beschreibung von Lichtteilchen hinaus, wobei für sie als ganzes die Zeit im Vergleich zum ruhenden System still steht.
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Die Frage der Woche im Wortlaut:
rawspi: "Haben Lichtteilchen eine dreidimensionale Ausdehnung und vergeht für sie Zeit, wenn man berücksichtigt, dass mit (annähernder) Lichtgeschwindigkeit Körper extrem verkürzt werden und Zeit im Verhältnis zu ruhenden Systemen langsamer vergeht?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
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Entdeckung der Quanten
Am Anfang des 20. Jahrhunderts, vor der Pionierzeit der Quantenmechanik, war es üblich dem Licht Wellennatur zuzuschreiben - und revolutionär, die Teilcheneigenschaften zu entdecken.

Albert Einstein erhielt den Nobelpreis 1921 nicht für die Relativitätstheorie, sondern auch für seine Erklärung des photoelektrischen Effekts (1905), die darauf beruht, dass das Licht aus einzelnen, zählbaren Quanten, eben den Photonen, besteht.
Dreidimensionale Ausdehnung vorhanden?
Die Antwort auf die Frage, ob Photonen eine dreidimensionale Ausdehnung haben, erläutert Ferdinand Schmidt-Kaler vom Institut für Experimentalphysik, Universität Innsbruck, ganz im Sinne von Niels Bohr:

"Die Antwort hängt davon ab, welches Experiment man macht. Wenn das Experiment den Wellencharakter des Lichts testet, etwa in einem Interferenzexperiment, dann hat ein Photon eine Ausdehnung."

Das können nach Schmidt-Kaler viele Meter in der Längsrichtung sein. "Wir haben es typischerweise mit drei Metern zu tun, zum Beispiel bei Sonnenlicht. Transversal hängt es auch von den experimentellen Gegebenheiten ab, aber einige Millimeter Ausdehnung in dieser Richtung sind keine Seltenheit."
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Niels Bohr (1885 - 1962)
Niels Bohr kam zur Ansicht, dass die Natur zu ihrer vollständigen Beschreibung den Gebrauch sich zwar gegenseitig ausschließender, andererseits aber auch gegenseitig ergänzender Vorstellungen zulässt - wie zum Beispiel der Teilchen-Welle-Dualismus des Lichtes und der Materie.

Bohr beschäftigte sich von 1936 bis 1943 mit Fragen der Kernphysik und entwickelte unter anderem das so genannte Tröpfchenmodell des Kerns sowie eine Theorie der von Otto Hahn und Fritz Straßmann entdeckten Kernspaltung.
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Wo ist die Welle, wo das Teilchen?
Das Problem bei der Beweisführung: Sobald man Photonen in einer Messung als Teilchen behandelt, verschwinden die Welleneigenschaften. Das wird in der Physik als Dekohärenz bezeichnet und entspricht dem "Kollaps" der Wellenfunktion.

Als Welle betrachtet kann man Photonen zwar nicht wie mit einem Lineal vermessen. "Was man aber schon definieren kann, ist die longitudinale (L_long) und transversale Kohärenzlänge (L_trans) eines Ensembles von Photonen", stellt Markus Arndt vom Institut für Experimentalphysik der Uni Wien fest.

Der Physiker weiter: "Innerhalb des 'Kohärenzvolumens' gibt es eine signifikante Wahrscheinlichkeit ein und dasselbe Photon zu finden. Wann immer man versucht durch eine Wechselwirkung das Lichtteilchen zu vermessen, wird es lokalisiert erscheinen. Aber die Ampliutde der Aufenthaltswahrscheinlichkeit des freien, sich ausbreitenden Lichtteilchens, ist über sein Kohärenzvolumen delokalisiert."
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Longitudinale und transversale Kohärenzlänge
Markus Arndt definiert für science.ORF.at die Kohärenzlängen, wie sie bei einem Interferenzexperiment bestimmt werden: "Die longitudinale Kohärenzlänge ist eine spektrale Eigenschaft der Quelle. Je reiner die Farbe ist - das heißt je kleiner die Wellenlängenverteilung der Lampe ist - desto länger ist der kohärente Wellenzug. Das ändert sich auch nicht mit der Ausbreitung des Lichts nach der Quelle."

"Die transversale Kohärenzlänge ist sowohl eine Eigenschaft der Quelle, aber auch abhängig vom Winkel, unter dem die Quelle vom Beobachter aus erscheint. Je kleiner die Quelle erscheint, um so besser ist die transversale Kohärenz. Deswegen nimmt die transversale Kohärenz mit der Distanz hinter der Quelle stetig zu. Das ist genau genommen ein Effekt der Beugung des Lichts an der Quellenöffnung, also seiner Wellennatur."
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Zeitexperimente
Wissenschaftler kommen also nach heutigem Stand der Dinge bei ihren Erklärungen nicht um die Dualität Welle-Teilchen herum. Abseits dessen stellt sich nun die Frage, wie sich Photonen gegenüber der vierten Dimension - der Zeit - verhalten.

Faktum ist, dass bei Lichtgeschwindigkeit die Zeit unendlich langsam vergeht - aber selbst dann vergeht sie. Die so genannte Zeit-Dilation zwischen zwei sich unterschiedlich schnell bewegenden Systemen wurde experimentell eindeutig nachgewiesen.

Das klassisches Beispiel dazu: Eine Atomuhr fliegt einmal um die Welt und weist einen Zeitunterschied zur stationären Atomuhr auf der Oberfläche auf. Selbst bei modernen Experimenten mit Ionenstrahlen, kann diese relativistische Zeitausdehnung über den transversalen Dopplereffekt gemessen werden.
Für Photonen vergeht die Zeit nicht
Wie vergeht allerdings die Zeit für das Lichtteilchen selbst? Der absolute Zeitbegriff musste durch die Entdeckungen in Zusammenhang mit Einsteins Relativitätstheorie aufgegeben werden. Danach beurteilen Beobachter, die sich relativ zueinander bewegen, zeitliche Abläufe unterschiedlich.

Da kein absolut ruhendes Koordinatensystem definierbar ist, gibt die Frage, welcher Beobachter die Situation korrekt beurteilt, keinen Sinn. Sinn hingegen macht die Antwort von Robert Seiringer, Juniorprofessor der Physik in Princeton: "Für Lichtteilchen vergeht die Zeit nicht, in dem Sinne, dass eine hypothetische, sich mit einem Lichtteilchen mitbewegende Uhr stehen würde."

Denn Lichtteilchen breiten sich im Vakuum - wie der Name schon sagt - mit Lichtgeschwindigkeit aus. Daher steht nach Meinung der Physiker für sie als ganzes die Zeit im Vergleich zum ruhenden Beobachter auch still.
Ansatzpunkt für Neues
Zusätzlich zur Zeitkomponente scheint die Teilchen-Welle Dualität der Photonen - wenn auch in anderer Form - bei Elektronen und ebenso bei Atomen vorhanden zu sein. Grund genug dafür, dass auch sie immer mehr in den Fokus der aktuellen Forschung rücken, worauf Schmidt-Kaler gegenüber science.ORF.at hinweist.
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