Ask Your Scientist
User stellen Alltagsfragen, Experten antworten
 
ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Kosmos 
 
Kosmische Expansion hat kein Zentrum  
  Da Raum und Zeit mit dem Urknall entstanden sind, hat die kosmische Expansion kein lokalisierbares Zentrum. Vielmehr dehnt sich der Raum, in dem alle darin enthaltenen Punkte gleichberechtigt sind, seither aus. Der Urknall hat also sozusagen "überall" stattgefunden.  
Die Theorien rund um die Expansion unseres Universums sind äußerst komplex und nur mathematisch exakt zu beschreiben. Dass sie auch mit dem Hausverstand nachvollziehbar sein können, versuchen Experten den Usern von science.ORF.at zu vermitteln.
...
Die Frage der Woche im Wortlaut:
Martin P.: "Wo ist das Zentrum des Universums? Nach der derzeit gültigen Theorie ist das Universum durch einen Urknall entstanden. Wo hat dieser stattgefunden? Es müsste doch durch Beobachtungen von Stern-/Galaxiebewegungen sozusagen rückrechenbar sein, wo die Expansion des Universums begonnen hat. Wenn Ja: Wo ist dieses Zentrum? Und wenn Nein: Warum nicht?"
->   Zur Frage der Woche samt User-Forum
...
Am Anfang war die Singularität
"Das Universum ist vor etwa 15 Milliarden Jahren aus einer Singularität heraus entstanden. Das heißt die gesamte Materie war auf einen winzigen singulären Punkt konzentriert mit extrem hoher Dichte und Temperatur. Durch den Urknall kühlte das Universum ab", beschreibt Arnold Hanslmeier vom Institut für Geophysik Astrophysik und Meteorologie der Uni Graz den Beginn unseres Universums.
Zentrumsfrage ist bedeutungslos
"Die Frage, wo ist das Zentrum, ist an sich bedeutungslos", stellt der Grazer Astronom fest. Denn Raum und Zeit sind "praktisch als Struktur mit dem Urknall erst geschaffen worden". Darüber hinaus gebe es heute im Universum keinen expliziten Ausgangspunkt, denn es expandiert und somit expandieren auch Raum und Zeit mit, so Hanslmeier.

"Wir haben zwar den Eindruck, dass sich alle Galaxien von uns entfernen, doch diesen Eindruck hat ein Beobachter auf jeder beliebigen Galaxie," erklärt Arnold Hanslmeier.

Sein anschaulicher Vergleich: "Ein Luftballon, auf dem Punkte markiert sind, wird aufgeblasen. Egal von welchem Punkt aus, man hat immer den Eindruck, dass sich alle anderen Punkte ebenfalls wegbewegen. So ist es auch mit dem Universum, denn das gesamte Raum-Zeit-System dehnt sich aus."
An der Grenze der Vorstellungskraft
Walter Saurer vom Institut für Astrophysik der Uni Innsbruck beantworte die Frage nach dem Zentrum des Universums nuancierter: "Zum Verständnis braucht man so etwas wie eine vierte Dimension".

Sein Gedankenexperiment dazu: "Für die 'vierte Dimension' hat der Mensch keine Sinne, kann sich diese also nicht vorstellen. Um es dennoch zu versuchen, kann man einen kleinen Kunstgriff anwenden: Wir stellen uns vor, wir wären zweidimensionale Wesen. Dann wäre für uns die nächste Dimension die Dritte, und mit dieser kommen wir wieder zurecht."
Gedankenexperiment
"Stellen wir uns also vor, wir wären plattgetretene Ameisen: ganz flach", so Saurer. Für diese Ameisen gebe es nur ein Vorne, Hinten, Links und Rechts, kein Oben und kein Unten. Ihr Lebensraum sprich ihr Universum sei nun die Oberfläche einer Kugel, auf der sie gehen können ohne jemals an ein Ende zu kommen. Ihr Universum sei also unendlich, aber begrenzt.

Saurer weiter: "Die Kugel selber können wir uns nun als einen Luftballon mit Punkten als Galaxien darauf vorstellen, der aufgeblasen wird, sprich expandiert. Jedes Individuum auf der Oberfläche des Luftballons stellt fest, dass sein Abstand zu den Galaxien dabei immer größer wird. ´

Da jede Ameise selber ja während der Ausdehnung immer an derselben Stelle bleibt und sich keinen Millimeter bewegt, wird jede Ameise auf dem Luftballon feststellen, dass sich alle Galaxien jeweils von ihr wegbewegen."
Keine Galaxien-Bewegung, sondern Raum-Expansion
Für Fortgeschrittene bringt es der Innsbrucker Astrophysiker anders auf den Punkt: "Ja, was bewegt sich denn eigentlich wirklich auf der Oberfläche des Luftballons, während dieser aufgeblasen wird, also das zweidimensionale Universum 'expandiert'? Die Antwort: Nichts! Denn jeder Punkt auf der Oberfläche bleibt in Bezug zu seinen Nachbarn bewegungslos. Es ist also nicht so, dass sich die Galaxien im Raum bewegen, sondern vielmehr so, dass der Raum selber expandiert."
Simulierte Rückrechnung
Durch das Rauslassen der Luft aus dem imaginären Ballon, könne das "Zurückrechnen" simuliert werden, beleuchtet Walter Saurer die daraus resultierenden Probleme mit der Rückrechnung zum vermeintlichen Ursprung des Universums:

"Die Oberfläche wird dabei immer kleiner und im mathematischen Grenzfall, der ja den Urknall darstellt, wird die gesamte Oberfläche zu einem mathematischen Punkt. In diesem verschmelzen nun alle Punkte dieses vereinfachten Universums. Umgekehrt betrachtet heißt das: Durch den Urknall ist das gesamte Universum als Gesamtheit entstanden. Der Urknall war in jedem Punkt des Universums gleichzeitig und somit gibt es kein Zentrum des Universums", so der Astrophysiker.
Vierte Dimension schwer zu fassen
Es möge nun jeder für sich versuchen, diese Analogie um eine Dimension zu erhöhen. Bei der Vorstellung treten nicht zu meisternde Probleme auf, denn der Mensch könne nur drei Dimensionen mit seinen Gedanken erfassen, meint Walter Saurer.

"Das Universum ist als expandierender dreidimensionaler Hyperraum zu verstehen, der eingebettet ist in einen vierdimensionalen Raum, wobei die vierte Dimension nicht die Zeit ist. Aus diesem Grund kann man den vollständigen Sachverhalt auch nur auf mathematische Weise umfassend beschreiben", beschließt der Innsbrucker Astrophysiker sein Gedankenexperiment.

Christoph Urbanek, 22.8.05
...
"Ask Your Scientist": Stellen Sie auch weiterhin Fragen
science.ORF.at lädt seine User ein, im Rahmen von "Ask Your Scientist" auch weiterhin Fragen per E-mail-Adresse askyourscientist@orf.at zum Thema Wissenschaft zu stellen.
->   So funktioniert "Ask Your Scientist"
...
->   Arnold Hanslmeier, Uni Graz
->   Institut für Astrophysik der Uni Innsbruck
->   Das "Ask Your Scientist"-Archiv
 
 
 
ORF ON Science :  Ask Your Scientist :  Kosmos 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick