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Wie Flammen in der Schwerelosigkeit brennen  
  Kerzen brennen auch in der Schwerelosigkeit - soviel haben erste Tests bewiesen. Die Art und Weise, wie sie im All brennen, unterscheidet sich jedoch stark von der, die wir von der Erde kennen: Die Flamme züngelt nicht "kerzengerade" nach oben, sondern brennt kugelrund.  
Der Grund dafür ist die fehlende thermische Konvektion: Die bei der Verbrennung entstehende heiße Luft steigt in der Schwerelosigkeit nicht nach oben, sondern bleibt, wo sie ist.

Da dadurch auch keine kalte, frische Luft von unten zuströmen kann, brennen Kerzen im All - nicht nur sprichwörtlich - auf "Sparflamme".
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Die Frage der Woche im Wortlaut
L. Winckler: Was ich schon immer (!) wissen wollte: In welche Richtung brennt eine Kerzenflamme in der Schwerelosigkeit (z.B. in einem Raumschiff)?
->   Frage der Woche samt User-Forum
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Kerzenflamme auf der Erde: Abgase steigen nach oben
Was passiert, wenn man eine Kerze unter den "normalen" Bedingungen der Gravitation entzündet? "Die Verbrennungsprodukte erhitzen sich, und über 1.000 chemische Verbindungen verdampfen am Docht, werden von der Hitze gespalten, und verbinden sich mit Sauerstoff. Dabei entstehen Hitze, Licht, Kohlenstoffdioxid und Wasser", erklärt Werner Gruber vom Institut für Experimentalphysik der Universität Wien.

Die sehr heißen Abgase, die während des Verbrennungsprozesses entstehen, nehmen ein größeres Volumen ein und sind leichter als die umgebende kalte Luft. Da die Luft von der Erde angezogen wird - dadurch gibt es auch das Phänomen des Luftdrucks - strömen die heißen Abgase nach oben, und kalte Luft wird von unten angesaugt. Fazit dieses Kamineffekts: Die Flamme zeigt länglich nach oben.
Schwerelosigkeit: Fehlende Konvektion wird zum Problem
Bild: NASA
Links: Flamme auf der Erde
Rechts: im Weltraum
In der Schwerelosigkeit, so Werner Gruber, sehen die Brennbedingungen allerdings anders aus: "Die Luft wird in keine Richtung hingedrückt. Damit kann die Luft nicht aufsteigen oder sinken. Es gibt zwar einen Unterschied in der Lufttemperatur und damit auch im Gewicht pro Volumen, aber das hat keine Auswirkung - die heiße Luft steigt nicht nach oben, sie bleibt dort wo sie ist."

Durch die fehlende Konvektion kommt es zu keiner nach oben züngelnde Flamme, sondern: Die Flamme ist kugelrund. Das ergibt zwar, wie Versuchsfotos zeigen, ein spannendes Bild, wirft aber ein Problem auf: Von unten kann so keine kalte Luft nachströmen; die Kerzenflamme müsste also binnen kürzester Zeit ersticken. Eine These, die auch die meisten User in der Diskussion vertraten.
->   Konvektion - Wikipedia
Brenndauer im All: länger als erwartet
Aber erlischt die Flamme tatsächlich schon nach kurzer Zeit? "Nein", sagt Werner Gruber. "Interessanterweise brennt die Flamme noch sehr lange weiter. Im Moment beträgt der Rekord über 16 Minuten - die Flamme wurde aber von der Experimentatorin gelöscht." Die Flamme könnte sogar noch wesentlich länger brennen, vermutet Gruber. Mit den nächsten Experimenten auf der Weltraumstation ISS soll man jedenfalls bereits Brenndauern bis 167 Minuten messen können.

Warum die Kerze so lange brennen kann, auch wenn so gut wie kein Sauerstoff zur Flamme kommt, wird noch untersucht. "Man vermutet, dass es Diffusionsprozesse zwischen der Umgebung und dem Kerzendocht gibt, sodass zumindest etwas Sauerstoff zur Brennoberfläche gelangen kann."

Die wahrscheinlichste Erklärung für das relativ lange Brennen der Flamme dürfte sein, dass in der Schwerelosigkeit alle Prozesse viel langsamer ablaufen - was laut Werner Gruber auch erklärt, dass die Flamme nur auf "Sparflamme" brennt.
->   Internationale Raumstation ISS - Wikipedia
->   Diffusion - Wikipedia
Helligkeit...
Zwei andere Fragen, die unsere User neben der Brennrichtung und Brenndauer einer Kerze in der Schwerelosigkeit beschäftigten, waren die Helligkeit und die Temperatur der Kugelflamme.

Auf Bildern erscheint die Kerzenflamme bläulich - und für unser Empfinden dunkler als unter "irdischen" Bedingungen. Dennoch ist die Flamme nicht weniger hell, meint der Leiter des Instituts für Weltraumforschung an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wolfgang Baumjohann. Im Kern seien Flammen auch auf der Erde immer blau; was gelblich und hell hoch lodere, sei jener - respektlos formuliert - "Dreck" (Rußpartikel etc.), der beim Verbrennungsvorgang entsteht, durch den Kamineffekt nach oben zieht und sich erst später entzündet.

Baumjohann vermutet, dass die gelbliche Kerzenflamme im All deshalb ausbleibt, weil die sich später entzündenden Stoffe nicht konzentriert in eine Richtung abziehen - die Flamme leuchte daher nur blau. Dass wir das als dunkel wahrnehmen, hänge allerdings stärker mit der extremen Unempfindlichkeit unserer Augen im Blaubereich zusammen als mit der tatsächlichen Lichtintensität.
... und Temperatur der Kugelflamme
Die Flamme ist auch nicht weniger heiß als auf der Erde, meint Wolfgang Baumjohann. Prinzipiell gelte: Je mehr Sauerstoff man ihr zuführt, desto heißer wird sie. Sie muss zumindest die Zündtemperatur aufweisen - jene Temperatur also, die benötigt wird, damit überhaupt eine Verbrennung stattfinden kann -, ergänzt Werner Gruber.
Zündeln im Weltall
Wie gefährlich ist es eigentlich, wenn man im All herumzündelt? Und was passiert, wenn sich ein Astronaut eine Zigarette genehmigt? User "solala" bedauerte, dass man das nicht erforschen könne, weil es in Raumstationen und Spaceshuttles sicher ein Rauchverbot gäbe.

Ein Rauchverbot gibt es zwar. Dennoch hätten sich die Kosmonauten der Raumstation MIR hin und wieder über dem Pazifik eine Zigarette angezündet, weiß Werner Gruber. "Dort konnte die Besatzung nicht direkt von der Bodenstation beobachtet werden. Es war allgemein bekannt und es wurde auch toleriert. Lieber entspannte Kosmonauten als Kosmonauten, die durchdrehen."

Da die Atmosphäre auf der MIR aus normaler Atemluft bestand, war die Feuergefahr beim Rauchen gering. Im Space Shuttle, wo die Atmosphäre reiner Sauerstoff ist, wäre das Rauchen zu riskant: Hier kann bereits ein kleiner Funke verheerende Wirkung haben. Dennoch seien Brände auch in Raumstationen nicht zu unterschätzen: Da die Flammen nicht so hell erscheinen und es keine typische Rauchentwicklung gibt, bemerkt man sie oft erst spät. Löschen lassen sie sich dann jedoch einfach: "Man flutet den Bereich mit Kohlenstoffdioxid und damit wird der Brand erstickt," so Gruber.
Rauchen in der Schwerelosigkeit anstrengend
Rauchen in der Schwerelosigkeit kann übrigens anstrengend werden: Man muss die Zigarette hin und her bewegen, damit genügend Sauerstoff zur Brennfläche kommt. "Beim Ziehen an der Zigarette entsteht dann automatisch ein Luftsog, der dazu führt, dass genügend Sauerstoff zur Zigarette gelangt", erklärt Werner Gruber.

Unterstützung beim Rauchen im Weltall bieten indirekt die Ventilatoren in den Raumstationen. Sie sorgen für jenen künstlichen Luftzug, ohne den man immer wieder die Luft einatmen würde, die man gerade ausgeatmet hat.
Was sonst im All noch anders läuft: Essen und Trinken
In Raumstationen ist also einiges komplizierter als auf der Erde - und das gilt nicht nur für das Abbrennen von Kerzen und das Paffen an der Zigarette. Dass Raumfahrer etwa ihre Getränke nicht aus offenen Bechern zu sich nehmen können, da dann die Flüssigkeit tröpfchenförmig durch den Raum gleiten würde, ist bekannt.

Besonders fatal würde sich das Trinken von Bier oder anderen kohlensäurehaltigen Getränken auswirken, meint Werner Gruber: "Die Flüssigkeiten werden nur durch die Kräfte, die zwischen den Molekülen auftreten, zusammengehalten. In Flüssigkeiten ist die Kraft relativ gering und in Gasen praktisch fast nicht vorhanden. Beginnt die kohlensäurehaltige Flüssigkeit zu perlen, so bilden sich Abermillionen kleinste Wassertröpfchen. Die Oberflächenspannung, welche die Tropfen auf der Oberfläche zusammenhält, wird von den Kohlensäurebläschen zerstört. Aus dem Bier wird nur Schaum, der wiederum die Klimaanlage zu verstopfen droht."

Die Klimaanlage ist ohnehin einer der empfindlichsten Teile der Raumstation: Auch beim Essen müsse man aufpassen, dass keine Nahrungsmittel in sie hinein fliegen und verstopfen.

Martina Nußbaumer, science.ORF.at, 28.11.06
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Werner Gruber erklärt physikalische Phänomene
Was sonst auf Raumstationen noch anders funktioniert als auf der Erde - und vieles mehr - erklärt Werner Gruber in seinem Buch "Unglaublich einfach. Einfach unglaublich. Physik für jeden Tag", ecowin Verlag 2006, ISBN 390240437X.
->   Unglaublich einfach
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->   Kerzenflamme in der Mikroschwerkraft - Versuchsanleitung der NASA
->   Institut für Weltraumforschung - Österreichische Akademie der Wissenschaften
->   Mehr zum Thema Schwerelosigkeit in science.ORF.at
 
 
 
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