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Germanische Wochentagsnamen in der Steiermark  
  Gibt es eine Begründung dafür, dass in der Steiermark noch heute im Dialekt germanische Wochentage verwendet werden? So lautete die Frage, die unser User Hannes R. im Rahmen der Aktion "Ask Your Scientist" stellte. Für die Antwort hat science.ORF.at eine Expertin vom Institut für Österreichische Dialekt- und Namenlexika in Wien kontaktiert.  
Die Frage im Wortlaut
Hannes R. fragte vergangene Woche: "Gibt es eine Begründung dafür, dass in der südöstlichen Steiermark (einem sprachlichen und kulturellen Mischgebiet) im Dialekt nach wie vor die germanischen Wochentage (Erchta/ Dienstag, Gfingsta/ Donnerstag) verwendet werden?"
Was die User dazu sagen ...
Unsere User haben im Forum die Frage bereits ausführlich diskutiert: peterkoller beispielsweise meinte, dass die gesamte deutsche Sprache germanische Wurzeln hat. sunnja wiederum leitete die Wörter ethymologisch aus dem Griechischen ab.

Und andere User wie superstar oder ypsyps berichteten, dass die Wochentagsnamen auch in Osttirol, dem Mühlviertel und dem Waldviertel gebräuchlich sind. Einige kennen sie noch von ihren Großeltern.
Warum "Erchta" und "Pfingsta" im steirischen Dialekt?
Die stellvertretende Direktorin des Instituts für Dialekt- und Namenlexika in Wien Ingeborg Geyer erläutert in einem Gastbeitrag für "Ask Your Scientist" allgemeine Aspekte der österreichischen Dialekt- und Mundartforschung und geht auch auf die spezielle Frage der Sprachentwicklung in der Steiermark ein.
->   Die Frage von vergangener Woche mit dem Diskussionsforum
"Bairische Kennwörter" und Sprachentwicklung in der Steiermark
Von Ingeborg Geyer

Unsere heutigen politischen Bundesländergrenzen decken sich nicht mit den historischen Territorialgrenzen. Die wichtigsten großlandschaftlichen Dialekträume Österreichs haben sich im Hochmittelalter herausgebildet und die wesentlichsten Lautmerkmale einzelner Dialektgebiete sind in den alten Bauernmundarten vom 14. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert nahezu unverändert erhalten geblieben.
Heute bemerkbar: Rascher Dialektabbau
Erst mit der Industrialisierung, Technisierung und jetzt Globalisierung ist ein rascher Dialektabbau bemerkbar, nicht nur dadurch, dass durch den Wegfall bestimmter Arbeitsvorgänge oder Geräte auch der entsprechende Mundartausdruck vergessen wird, sondern dass die konservativen Dialekte zugunsten einer regionalen Umgangssprache aufgegeben werden.

Die Ursachen dazu sind soziolinguistisch und sprachökonomisch zu erklären. Der "Wert" des Dialektes kommt nur mehr dort zum Tragen, wo er gezielt zur (regionalen) Identifizierung eingesetzt werden kann, z.B. auch in der Werbung (Ö1-Werbung in Wien mit Pfrnack usw.; Werbung für bestimmte Produkte).
Dialekt in der Steiermark
Seit dem 7. Jahrhundert ist mit einer slawischen Präsenz in der Steiermark zu rechnen. Zahlreiche Orts- und Flurnamen sind slawischen Ursprungs. In den folgenden Jahrhunderten erfolgte der Zustrom bairisch-sprachiger Einwanderer und bis ins 11. Jahrhundert bildete die Steiermark zusammen mit Kärnten das Herzogtum Karantanien.
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Weitere Details zur (sprachlichen) Geschichte
Im Jahr 1186 kam die Steiermark an Österreich, das umfasste damals im Wesentlichen Ober- und Niederösterreich. Für die Sprache der Steiermark bedeutete es, dass die Jahrhunderte lange politische Zusammengehörigkeit mit dem südbairischen Kärnten sprachlich konservierend wirkte, die politische Neuorientierung die modernen Einflüsse des mittelbairischen Donauraums sich gerade entlang der wichtigsten Verkehrswege auf die Mundartlandschaften der Steiermark signifikant auswirkten. Die Steiermark wird oft als sprachliches Ausgleichsgebiet bezeichnet.

Näheres dazu in einschlägiger Literatur: Kranzmayer Eberhard: Sprachschichten und Sprachbewegungen in den Ostalpen I (Wien- München 1931); Wiesinger Peter: Mundart und Geschichte in der Steiermark. In: Deutsche Dialektgeographie 51 (1967) S. 81-184
->   Näheres zur Einteilung der Dialekte in Österreich
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"Bairirsche Kennwörter"
Die genannten Wochentagsnamen "Erchta" für Dienstag und "Pfinsta" oder "Gfinsta" für Donnerstag gelten neben anderen Wörtern als so genannte bairische Kennwörter, die der Stamm der Baiern schon bei der Besiedlung in seinem sprachlichen Inventar mitbrachte. Für diese "Kennwörter" unterscheiden wir drei Gruppen:

Die älteste Gruppe sind die "ostgermanischen" Lehnwörter. Diese Wörter fehlen den anderen deutschen Dialektlandschaften, haben aber Entsprechungen im Nordgermanischen, dem Skandinavischen. Dazu gehören der "Ergetag" für Dienstag, Pfinztag für Donnerstag und tengg für links. Es wird angenommen, dass diese Wörter in der Völkerwanderungszeit vom Ostgermanischen ins Bairische gelangt sind.
"Reliktwörter" und bairische Neuerungen
Ebenfalls sehr alt sind die so genannten "Reliktwörter", die auch Entsprechungen im Skandinavischen haben, aber auch im ostfränkisch-mitteldeutschen Raum bezeugt sind, wie z.B. Pfait (Hemd), eß, enk als ursprüngliche Dualform.

Die dritte Gruppe sind bairische Neuerungen, das heißt, dass durch besondere Lautentwicklungen einzelne Wörter sich vom übrigen deutschen Sprachraum unterscheiden, wie z.B. kemmen für kommen, Kersche für Kirsche, Rauchfang für Kamin.
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Ethymologisches zu "Ergetag" und "Pfinztag"
Zu Ergetag: die Lautentwicklung geht über gotisch *arjausdags, einer Übersetzung auf griechisch "Tag des Arius" zurück, der Pfinztag über gotisch *pintadags, auf griechisch "pente" - "der fünfte" (Tag der Woche). Vergleiche dazu Kranzmayer, Eberhard: Die bairischen Kennwörter und ihre Geschichte. Wien 1960.
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Erhalten bis heute - konservative Mundartlandschaften
In der südöstlichen Steiermark haben sich diese alten Wochentagsnamen sicherlich bis heute wie in vielen konservativen Mundartlandschaften erhalten, zumindest als Erinnerungsform. Es ist nicht verwunderlich, dass in dem "sprachlichen und kulturellen Mischgebiet" diese Wörter erhalten sind, da sie altes bairisches Wortgut sind.

Die deutschen Mundarten wie z.B. das Bairische, Alemannische, Sächsische, Thüringische und Fränkische bilden die landschaftlich verschiedenen Volkssprachen im deutschen Sprachraum. Sie sind vor allem für die Geschichte der deutschen Sprache und seines Wortschatzes von großer Bedeutung.
Das Deutsche gehört zu den germanischen Sprachen
Das Deutsche gehört zusammen mit dem Niederländischen, Englischen, Friesischen, Dänischen, Schwedischen, Norwegischen, Isländischen und Färörischen zur Gruppe der germanischen Sprachen.

Regelhafte Lautentwicklungen wie dt. Wasser/ engl. water, dt. zehn/ engl. ten beweisen diese Annahme der Sprachwissenschaft. Besonders im mundartlichen Wortschatz können wir sprachliche Gemeinsamkeiten des Germanischen, trotz unterschiedlicher Entwicklungen bis heute nachweisen.
Einfluss in erster Line bei der Aussprache

In Sprachkontaktgebieten oder zweisprachigen Gebieten ist der gegenseitige Einfluss auf die Mundart in erster Linie bei der Aussprache gegeben, der Einfluss auf bestimmte Lautentwicklungen haben kann.

Am bekanntesten ist die so genannte "Kärntner Dehnung", die bis in die Steiermark reicht, der slawisch-deutsche Sprachkontakt ist verantwortlich für die typische Aussprache von Woosa für Wasser, Meesa für Messer, braauha für brauchen.

Natürlich sind in zweisprachigen Gebieten beide Sprachen Geber- und Nehmersprachen, was den Wortschatz betrifft. Die Übernahme von Wörtern aus der anderen Sprache erfolgt meist mit der Sache, die dem eigenen Wortschatz fremd ist, wie es ja auch heute noch funktioniert, z.B.: Taxi, Computer usw.
Nachtrag: Das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich behandelt alle, auch ganz kleinräumig verbreitete Dialektausdrücke. Näheres dazu auf der Homepage des Instituts für österreichische Dialekt- und Namenlexika.
->   Institut für österreichische Dialekt- und Namenlexika
->   www.innovatives-oesterreich.at
Mehr zu diesem Thema in science.ORF.at:
->   Das "Wörterbuch der Wiener Mundart"
->   Die Dialektdatenbank Österreich
->   Kein "Zwutschkerl": Bairische Mundarten in Österreich
 
 
 
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