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Kongress: Grundeinkommen statt Geld durch Arbeit  
  Die wachsende Zahl Arbeitsloser war in den vergangenen Jahren begleitet von einer politischen Diskussion, bei der die Kürzung von Sozialleistungen und der Druck, schnell wieder Erwerbsarbeit aufzunehmen, im Mittelpunkt standen. Ein Kongress, an dem sich zahlreiche Sozial- und Geisteswissenschaftler beteiligen und der von 7. bis 9. Oktober in Wien stattfindet, schlägt ein Gegenmodell vor: Grundeinkommen für alle, egal ob ein Mensch arbeitet oder nicht. Der Philosoph Karl Reitter, Lektor an der Uni Wien, erklärt in einem Gastbeitrag die Hintergründe.  
Ein garantiertes Grundeinkommen statt Erwerbsarbeit
von Karl Reitter

Die Forderung nach dem garantierten Grundeinkommen ist einfach und unmissverständlich: Alle sollen bedingungslos - also unabhängig von Einkommen, Geschlecht, Staatsbürgerschaft und Alter - ein existenzsicherndes Einkommen erhalten.
Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen
Das bedingungslose Grundeinkommen anerkennt Arbeit jenseits der Erwerbs- und insbesondere der Lohnarbeit. Im Alltag wird immer deutlicher, dass Erwerbsarbeit nur einen Teil der gesellschaftlich geleisteten Arbeit darstellt. Während im Fordismus - jenem Gesellschaftsmodell, das bis in die 1980er Jahre hinein dominierte - die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und so genannter Freizeit klar gezogen waren, verschwindet und verschwimmt diese Trennung seither zusehends.

Angesichts fragmentierter Lebensläufe, kurzfristiger Jobs, der Ausbreitung neuer, prekärer Arbeitsformen (Scheinselbstständigkeit, Leiharbeit usw.), die kaum eine gesicherte Existenz ermöglichen, wird sogar die strikte Unterscheidung zwischen Arbeitslosigkeit und Erwerbstätigkeit fragwürdig.
Jede Tätigkeit ist gesellschaftlich sinnvoll
Grundeinkommen bedeutet jede Tätigkeit als gesellschaftlich sinnvolle Arbeit anzuerkennen. Die entschiedensten Grundeinkommen-KritikerInnen problematisieren nicht einmal ansatzweise die Lohn- und Erwerbsarbeit.

Die Gesellschaft muss auf Lohnarbeit ausgerichtet bleiben, alles andere sei von Übel, meint dieser Diskurs.
Gegenargument Finanzierung
An diesem Punkt wird auch mit der Finanzierung argumentiert. Die BefürworterInnen des Grundeinkommens tendieren dazu, dieses Thema schlicht zu verweigern; nicht, weil es keine Berechnungen oder Studien zum Finanzbedarf des Grundeinkommens gäbe, sondern weil der Verweis auf die Finanzierbarkeit sich vor der Konfrontation mit der politischen Willensäußerung drückt.
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Der Kongress
Der Kongress wird am Freitag, 7. Oktober 2005, 17:00 - 20.30 Uhr, in der Diplomatischen Akademie, Favoritenstraße 15a, 1040 Wien u.a. mit einer Rede des Philosophen Philippe Van Parijs (Universitäten Louvain und Harvard). Am 8. und 9. Oktober finden zahlreiche Workshops, lockere Diskussionen in verschiedenen Wiener Kaffeehäusern und eine Zukunftsmatinee statt.
->   Alle Details zum Programm
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Grundeinkommen: Neue Orientierung für den Sozialstaat
Mit dem Grundeinkommen ist den aktuellen Umbautendenzen des Sozialstaates wirksam zu begegnen. Der häufig beklagte "Abbau des Sozialstaates" ist ja nichts weiter als ein Gerücht. In Wahrheit geschieht ein Umbau in Richtung repressiver Instrumente und Verwaltungsregime.
Ausweitung der Kontrolle
Wer vom "Abbau des Sozialstaates" spricht, meint gemeinhin die Kürzung der Transfersummen und Sozialausgaben, aufgrund politischer Richtungsentscheidungen. Das ist selbstverständlich unbestritten. Aber der Sozialstaatsapparat zieht sich nicht einfach zurück und lässt das bedürftige Individuum in seiner Not allein, ganz nach dem Motto: "Du bekommst immer weniger Geld von mir und weiter kümmere ich mich nicht um dich".

Genau das Gegenteil trifft zu: So viel Betreuung wie heute war noch nie. Die Eingriffe und Befragungen, die Kontrollen und Zuwendungen werden nicht reduziert, sondern ausgeweitet. So befinden sich etwa in Österreich derzeit ungefähr 45.000 Menschen in Kursen. Allein das Arbeitsmarktservice (AMS) Wien erhielt dieses Jahr 200 Millionen Euro für Kursmaßnahmen.
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Literatur zum Thema
Philippe Van Parijs, "Ein Grundeinkommen für alle? Geschichte und Zukunft eines radikalen Vorschlags", erscheint im September 2005 auf Deutsch

Mitschke, Joachim, "Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf. Eine Fundamentalanalyse mit besonderem Bezug auf die Steuer- und Sozialordnung sowie den Arbeitsmarkt der Republik Österreich", Baden-Baden 2000
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Realistische Lösungsperspektive
Mit dem Schwinden des Normalarbeitsverhältnisses, der Ausbreitung neuer Arbeitsformen und einer, allen politische Interventionen offenkundig resistenten, Sockelarbeitslosigkeit stellt sich die Frage der sozialen Absicherung in neuer und verschärfter Form. Wie soll die Antwort darauf aussehen? Mehr Druck bis hin zum Terror in der Machart von Hartz IV? Ausweitung der Niedriglohnsektoren und Absenkung der Sozialtransfers? Zurück zum "Wachstumspakt" der 1970er Jahre?

Ein nüchterner Blick auf die aktuellen Entwicklungen zeigt, dass beide Wege weder wünschenswert noch auf Dauer gangbar sind. Das Grundeinkommen erscheint in diesem Lichte als die durchaus realistischere Lösungsperspektive - um in Hinkunft "in Freiheit tätig" sein zu können.

[6.10.05]
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Zum Autor
Karl Reitter ist Mitherausgeber der Zeitschrift "Grundrisse" und langjähriger Lektor Universitätslektor am Institut für Philosphie in Wien.
->   Zu den "Grundrissen"
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->   Netzwerk Grundeinkommen
->   BIEN -Europäisches Netzwerk Grundeinkommen
->   Unterschied zwischen Grundsicherung und Grundeinkommen
Mehr zum Thema in science.ORF.at:
->   Sozialstaat Österreich: Geschichte eines Systems mit Lücken (24.6.05)
->   Soziologen: Rettungsvorschläge für den Sozialstaat (12.10.04)
->   1950 bis 1980: Das Goldene Zeitalter (11.6.04)
 
 
 
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