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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 
Politikvermittlung als Marketing?  
  Was wir über Politik wissen oder unabhängig von "richtig" und "falsch" zu wissen glauben, haben wir mehrheitlich durch eine Politikvermittlung über Massenmedien - primär durch das Fernsehen - erfahren. Folgerichtig wird die Vermittlung von Politik vor allem durch die Kommunikationslogik des Primärmediums Fernsehen bestimmt. Anlässlich der Aktionstage Politische Bildung in Österreich stellt sich die Frage, inwieweit die politische Bildungsarbeit denselben teledemokratischen Gesetzmäßigkeiten unterworfen ist.  
Welche Funktionen kann das Fernsehen überhaupt für die Politische Bildung leisten?

Es zeigt sich, dass allenfalls für die Vermittlung von Faktenwissen ein positiver Beitrag erwartet werden kann, die Förderung der eigenständigen Meinungsbildung und politischen Beteiligung gering ist, und soziale Kompetenzen nicht weitergegeben werden.
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Aktionstage Politische Bildung
Vom 18. April bis zum 9. Mai 2004 finden heuer erneut die Aktionstage Politische Bildung statt. Sie sind ein Beitrag zum Europaratsprojekt "Education for Democratic Citizenship 2001-2004" und Vorbereitung auf das "European Year of Citizenship through Education 2005". Drei Wochen lang sollen österreichweit Seminare, Workshops, Vortragsreihen, Schulprojekte, Exkursionen und andere Veranstaltungen die Themenvielfalt und Attraktivität der politischen Bildung zeigen.
->   Alle Informationen in www.aktionstage.politische-bildung.at
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Fernsehen als objektiver Lieferant politischer Fakten?
Öffentlich-rechtliche Fernsehanstalten sind an einen Bildungsauftrag gebunden, so dass durch das Objektivitätsgebot eine seriöse Vermittlung von politischem Faktenwissen gewährleistet sein sollte.

In der Realität kommt es durch die Medienlogik des Fernsehens nicht selten zu einer starken Verkürzung bzw. Vereinfachung von komplexen politischen Themen. Mangels effektiver Möglichkeiten von allgemein zugänglichen Archiven wird zudem kurzzeitige Aufmerksamkeit erreicht, das Wissen ist jedoch oft ebenso kurzzeitig.
Das Phänomen des Infotainment
Infotainment ist nicht nur ein bei Privatsendern auftretendes Phänomen, tritt dort jedoch besonders stark auf.

Politische Inhalte in Unterhaltungsprogrammen sind von extrem hohem Infotainment-Charakter geprägt. Hinzu kommt, dass Politik immer weniger über Nachrichtensendungen als über Talk-Show-Formate vermittelt wird. Die Seriosität von Fakten bleibt oft auf der Strecke.
Politische Meinungsbildung durch Manipulation der Massen?
Besonders kritisch ist zu beurteilen, inwiefern Massenmedien persuasiv sind, d.h. manipulativ in die Meinungsbildung eingreifen oder die selbständige Entwicklung von politischen Werten, Einstellungen und Meinungen fördern.

Nach dem Objektivitätsgebot sollten öffentlich-rechtliche Fernsehsender ersteres tun (und hat das beispielsweise der ORF im Bereich der Entstehung eines neuen Demokratieverständnisses und demokratischen Grundkonsens in seiner Anfangsphase nach dem Staatsvertrag zweifellos getan).
Keine gelebte politische Beteiligung
Abgesehen von der Unterstellung, das Fernsehen würde sich von der jeweiligen Regierung und den in ihr vertretenen Parteien, beeinflussen lassen, besteht ein zentrales Problem: Außer Appellen zur politischen Partizipation verfügt das Fernsehen über keine Möglichkeiten einer gelebten politischen Beteiligung.

Die Interaktivität zwischen Sender und Empfänger reduziert sich auf wenige Diskussionssendungen oder Call-in-Shows.
Soziale Kompetenz via Bildschirm?
Das Fernsehen ist nur sehr bedingt dazu geeignet, soziale Kompetenz - geistige und soziale Fähigkeiten bzw. eine Entstehung von intellektuellen Kompetenzen im politischen Zusammenleben - zu fördern.

Die Distanz des Mediums und seiner Inhalte zum Zuseher ist zu groß. Gerade für das Fernsehen ist ein Lokalbezug nur selten gegeben, es wird das Gefühl einer Zuseherdemokratie vermittelt.
Kritik der Teledemokratie als Realitätsverweigerung?
Wie aber soll sich Politische Bildung verhalten, wenn Fernsehen die liebste Freizeitbeschäftigung in Österreich ist, in 99 Prozent der österreichischen Haushalte zumindest ein Fernsehgerät steht und die Österreicher im Durchschnitt fast drei Stunden täglich in dieses schauen?

79 Prozent der Bevölkerung beziehen ihre politischen Informationen überwiegend aus dem Fernsehen, 54 Prozent halten das Fernsehen für besonders glaubwürdig.

Die politische Bildungsarbeit ist demzufolge, ob sie will oder nicht, in modernen Teledemokratien mit einem Zielpublikum konfrontiert, das an fernsehgerechten sound bites, d.h. kurzzeitigen Aufmerksamkeitsmustern - man denke an Werbespots - und hochgradig vereinfachten sowie personalisierten Botschaften mit hohem Unterhaltungswert und dadurch klischeehaftem Inhalt interessiert ist.
Fernsehen: Trivialisierung der politischen Bildungsarbeit?
Traditionelle Vermittlungsformen der politischen Bildungsarbeit (Schulunterricht/Vortragstätigkeit, Unterrichtsmaterialien, Sozialisation durch Bezugsgruppen/-personen usw.) sind demgegenüber fast schon ein Anachronismus.

Es kommt zu einer steigenden (Fernseh-)Konsumorientierung mit gleichzeitiger Lösung von Gruppenbindungen, wodurch auch die politische Sozialisation und Bildungsarbeit massiv betroffen sind. Klassische politische Bindungen lösen sich auf, die politische Massenloyalität nimmt ab.

Familienverbände, Jugendorganisationen und Vereine, sowie Parteien und letztlich auch Bildungsinstitutionen verlieren als Agenten der Politischen Bildung an Bedeutung, während Fernsehen und Internet bislang von der Zivilgesellschaft und staatlichen Einrichtungen geleistete Aufgaben übernehmen.
"Entideologisierung" der Politischen Bildung
Die Mediatisierung führte gleichzeitig zu einer "Entideologisierung" der Politischen Bildung. Politische Ideologien treten als Handlungsmaxime in den Hintergrund. Dadurch ergeben sich zunächst Chancen, Politische Bildung zu etablieren, weil sie nicht länger als Indoktrination gilt und/oder mit Parteietiketten versehen wird.

Parallel dazu kommt es jedoch zu einer Ästhetisierung, d.h. life-style-Konzeptionen sind anstatt von Ideologien o.ä. zu Identifikationsmerkmalen von Politik und politischer Bildungsarbeit geworden. Politik wird verstärkt mit Populär-Kultur in Verbindung gebracht, ihre Vermittlung muss "hip" oder "hop" sein.
Aussichtsloser Wettbewerb?
Zudem stellt sich die Frage, ob unabhängig von einer qualitativen Wertung Politische Bildung dadurch in einen aussichtslosen Wettbewerb gezwungen wird.

Für die Mehrheit des Zielpublikums, insbesondere für Jugendliche bzw. Schüler, sind nicht nur Vorträge und Seminare unattraktiv, sondern widersprechen Schul- und Wissenschaftssendungen (im Unterschied zum political infotainment auf privaten Fernsehkanälen) den einer Videoclip-Generation anerzogenen Aufmerksamkeitsmustern.

Die Vermittlung politischer Bildungsarbeit durch traditionell kompetente Institutionen (Schulen und Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung, Parteien und Verbände usw.) hat demzufolge nicht allein mediale Unterhaltungssendungen als übermächtige Konkurrenz, sondern ist auch im Vergleich zur Gestaltung von seriösen medialen Politiknachrichten überholt.
TV-Vorbilder für Politische Bildung?
Folgt aber die politische Bildungsarbeit dem Vorbild des Fernsehens, bedeutet das zwangsläufig die unterhaltungsorientierte Gestaltung der Inhalte im Medienformat (etwa durch die Produktion von schlagwortartigen Fernsehspots zu zentralen Themen bzw. die Reduktion komplexer Inhalte auf "civic-education-sound-bites" im Sekundenformat, sowie Web Sites, CD-ROMs, Computerspiele der Politischen Bildung anstatt von Büchern usw.).

Kann, soll und darf es aber ein strategisches Ereignis- und Imagemanagement, eine professionelle Strategie- und Kommunikationsberatung, Bildungsarbeit im Wahlkampfstil, news making statt policy making, sowie die Orientierung an Zeitzyklen des Fernsehens auch im Bereich Politische Bildung geben?
Marketing statt Selling von Bildung?
Das "Selling" von Politik (und von politischer Bildungsarbeit?) ist im Fernsehzeitalter durch professionelles "Marketing" abgelöst worden.

Selling von Politik hieß, die Bürger bzw. Wähler von der Richtigkeit vorgefasster Programme und Inhalte zu überzeugen. Marketing bedeutet, bereits in der Bevölkerung vorherrschende Bedürfnisse, Erwartungen und Stimmungen zu kanalisieren, zu konkretisieren und zu kommunizieren.
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Weitere offene Fragen
Ist auch eine "alte" Politische Bildung von einer Strategie des selling bestimmt, und die politische Bildungsarbeit als "neue" Politik (new politics) am Marketing orientiert? Müssen folgerichtig Kommunikationsexperten, Marketing- und Werbespezialisten, professionelle Strategen und Meinungsforscher usw. an die Stelle traditioneller Bildungsfunktionäre treten?

Für amateurhafte Bildner mit sowohl sympathischen als auch realitätsfernen Gesellschaftsidealen besteht in der logistisch komplexen und mit den neuesten Technologien und Forschungsergebnissen operierenden Marketingstrategie für politische Bildungsarbeit weder Funktion noch Nachfrage. In 20 Jahren werden vielleicht Civic Educator Firms ihre Beratungsdienste anbieten, die media consulting oder targeting (Zielgruppenmarketing) beinhalten.
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Das Ende der Politischen Bildung?
Wird politische Partizipation zur unerwünschten Notwendigkeit? Zentraler Unterschied der Politik- und Politische-Bildung-Vermittlung des Fernsehens gegenüber traditionellen Bildungsformen ist eine reduzierte Interaktivität.

Politische Kommunikation beschränkt sich nach der Logik des Marketing auf Sender-/Empfänger-Schemata. Die Kommunikation von (politischen) Bildungsinhalten soll aber Empfänger zu potenziellen Sendern machen. Die Aktionstage Politische Bildung sollten ein Anlassfall sein, darüber nachzudenken.
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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Wissen und Bildung .  Gesellschaft 
 

 
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