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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit 
 
Der Fall Deutschland 1920-1932
Politische Aspekte der Olympischen Spiele (II)
 
  Natürlich werden die Olympischen Spiele in der Zwischenkriegszeit primär mit Hitlers Propagandaspektakel in Berlin 1936 in Verbindung gebracht. Doch bereits von 1920 bis 1932 zeigte sich anhand des moralischen Schlüsselfalls Deutschlands eindrucksvoll die realpolitische Lebenslüge der olympischen Bewegung und ihrer Ideale.  
"Mittel zur Überzeugung von Weltmachtstellung"
Für 1916 hatte es eine informelle Zusage des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) gegeben, die Spiele in Berlin abzuhalten.

Carl Diem - damals Generalsekretär des zuständigen Reichsausschusses, 1936 in derselben Funktion für das Organisationskomitee der nationalsozialistischen Diktatur tätig, und schon 1948 neuerlich für das Nationale Olympische Komitee (West-)Deutschlands in Amt und Würden - machte aus den Intentionen der Deutschen kein Geheimnis und aus seinem Herzen keine Mördergrube: "Die Spiele sollen und werden ein Mittel sein, die Völker von unserer Weltmachtstellung zu überzeugen!"

Wenig später entschied man sich offenbar zwecks mehr Überzeugungskraft für direktere Methoden.
Nach Belgien-Überfall unerwünscht in Antwerpen 1920
Nachdem deutsche Truppen unter Missachtung der Neutralität am 3. August 1914 in Belgien einmarschiert waren, galt die Teilnahme einer Mannschaft Deutschlands an den Olympischen Spielen 1920 in Antwerpen als kaum vorstellbar.

Die feierliche Verkündung eines Ausschlusses hätte allerdings den olympischen Gedanken der Völkerverständigung in aller Öffentlichkeit pervertiert. Zudem konnte dadurch ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden.
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Artikelserie
Peter Filzmaier schreibt anlässlich der Sommerspiele in Athen eine Artikelserie zu den politischen Aspekten der Olympischen Bewegung - von den Anfängen ihrer Wiederbelebung in der Neuzeit bis zur Gegenwart.
->   Teil 1: Die Anfänge der Lebenslüge 1896-1912 (3.8.04)
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Unversöhnlichkeit der Kriegsgegner
Die seltsame Lösung des IOC frei nach Salomon: Das Einladungsrecht wurde dem Veranstalterland zugestanden. Wenig überraschend wurden an Deutschland sowie Österreich, die Türkei, Ungarn und Bulgarien keine Einladungen versandt, ohne dass das IOC zu deren Nicht-Teilnahme offiziell Stellung nahm.

Ein Beispiel für die Unversöhnlichkeit der Kriegsgegner: Die Läufer der US-amerikanischen 4x400 Meter-Staffel erklärten, dass sie der Welt einen Dienst erwiesen hätten, weil sie bei ihrem Olympiasieg zugleich den von einer deutschen Staffel gehaltenen Weltrekord verbesserten.
Auch in Paris 1924 unerwünscht
Deutschland blieb auch von den Olympischen Spielen 1924 in Paris ausgeschlossen. Ein Antreten deutscher Sportler im Lande des Erzfeindes Frankreich war offenkundig im Rahmen der angeblich völkerverbindenden Olympischen Spiele eine politische Unmöglichkeit. Deutschland hatte gedroht, seine Kriegsreparationszahlungen einzustellen, und Frankreich das Ruhrgebiet besetzt.
Wiederannäherung auf Funktionärsebene
Die Wiederannäherung der Deutschen an die Olympischen Spiele erfolgte jedoch durch die Teilnahme an den parallel stattfindenden Tagungen der Funktionäre. Oscar Ruperti hatte 1914 schriftlich in einer Petition festgehalten, dass es von Kriegen abgesehen kein besseres Mittel gibt, vaterländische Begeisterung zu entflammen, als den Wettkampf der Nationen.

Theodor Lewalds größter Karriereschritt erfolgte, als Adolf Hitler ihn zum Präsidenten des Organisationskomitees der nationalsozialistischen Spiele in Berlin machte.
Amsterdam 1928: "Olympiade der Freundschaft"
In der Hauptstadt der im Weltkrieg neutralen Niederlande waren erstmals alle Verliererstaaten, insbesondere Deutschland, vertreten. Fälschlicherweise werden die Spiele 1928 daher als "Olympiade der Freundschaft" bezeichnet, nachdem sich das Verhältnis Deutschlands zu seinen Kriegsgegnern durch die Verträge von Rapallo 1922 und Locarno 1925 halbwegs normalisiert zu haben schien.
Aber auch hier nationalistische Kundgebungen
In Wahrheit kam es wiederholt zu anti-deutschen und (seltener) deutsch-nationalistischen Kundgebungen, die im Verlauf des olympischen Fußballturniers eskalierten. Beim Spiel Deutschland gegen Uruguay kam es zu Zuschauerausschreitungen und Raufereien zwischen den Spielern. Der urguayanische Außenminister forderte daraufhin von seinem holländischen Amtskollegen eine offizielle Entschuldigung.
Tabellen für Nationenwertung, teilweise "frisiert"
Immer häufiger wurden inoffizielle Tabellen einer Nationenwertung, zumeist nach der Zahl der gewonnenen Medaillen. General Douglas MacArthur, damals Leiter der US-Delegation - und später jener Oberbefehlshaber, der im Korea-Krieg den Einsatz der Atombombe verlangte - forderte stattdessen die Einführung eines amerikanischen Punktesystems, das für die USA ein (noch) besseres Ergebnis gebracht hätte.
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"Arischer" Medaillenspiegel
Deutschland war ein Verlierer solcher Rechenmethoden, durchschaute aber das Grundprinzip und war lernfähig. 1936 in Berlin als Veranstalter erfand man einen "arischen" Medaillenspiegel ohne Berücksichtigung afro-amerikanische Sieger und Platzierte. Auch wurden Ehrenpreise in Kunstbewerben den nationalen Goldmedaillen zugerechnet.
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US-Angst vor Spionage und kontraproduktive Gegenmittel
MacArthur war übrigens überzeugt, dass seine Sportler von den Europäern ausspioniert würden. Er verhängte kurzentschlossen ein Verbot, mit Ausnahme der Wettkämpfe die Quartiere zu verlassen. Weil die US-Sportler auf einem Kriegsschiff untergebracht waren, ergab sich eine effiziente Spionageabwehr.

Weniger vorteilhaft waren die Folgen der Kasernierung für amerikanische Leichtathleten, die sich als unfreiwillige Dauergäste der Marine kaum auf ihre Einsätze im Langstreckenlauf, Stabhochsprung oder Speerwerfen vorbereiten konnten. Prompt waren die USA als führende Sportnation weniger überlegen als erwartet. Auf dem zweiten Platz folgte Deutschland.
Los Angeles 1932: Sozioökonomische Vertuschung
Die Spiele in Hollywood waren geradezu ein Fortbildungsprogramm, aus dem das spätere Regime in Deutschland viel lernen konnte. Trotz der geringsten Teilnehmerzahl seit 1904 eine siebenstellige Gesamtzuschauerzahl vor Ort, die Verbindung des Menschenauflaufs mit kultischer Kunst und exklusive Medienrechte ließen im Rückblick für die Nationalsozialisten ungeahnte Propagandachancen erkennen.

Vergleichbar Deutschland Anfang der dreißiger Jahre war gleichzeitig der Charakter der Spiele als sozioökonomische Vertuschungsaktion. Die Arbeitslosenrate in den USA betrug 23,6 Prozent, allein in Los Angeles gab es 70.000 Obdachlose. In Deutschland waren es etwa fünf Millionen Arbeitslose.
Sportliche Nationalisten ...
Vor allem zeigte sich, dass das nationalsozialistische Regime auf einem für Hitler äußerst fruchtbaren Boden des mehrheitlich nationalistischen Sports in Deutschland aufbauen konnte.

Noch vor der Machtergreifung im Jänner 1933 wurden ohne jedweden Zwang afro-amerikanische Athleten als "schwarze Hilfstruppen der USA" bezeichnet, die bald in einem "weltweiten Kampf der Nationen weißer Rasse und primitiven Menschen" dem vermeintlichen "Herrenvolk" gegenüberstehen würden.
... die besten Verbündeten der Nazis
Arthur Jonath, Bronzemedaillengewinner im 100 Meter-Lauf, war der "Retter der weißen Rasse". Peinlich für die Rassisten war, dass Jonath sich zwei afro-amerikanischen Sprintern geschlagen geben musste. Edmund Neuendorff, Führer der Deutschen Turnerschaft, erklärte, dass die Ehre der Rasse es für deutsche Sportler verbieten sollte, in einem Rennen "mit Negern und anderen Farbigen" anzutreten.

Abgesehen vom sportlichen Dilemma, das sich 1936 durch Jesse Owens vervielfachen sollte, und eines deshalb limitierten propagandistischen Nutzwertes, gab es aus nationalsozialistischer Sicht keine besseren Verbündeten als sportliche Nationalisten.
->   Österreichisches Olympia- und Sportmuseum
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