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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Re-Nationalisierung, Terrorisierung und Ökonomisierung seit Atlanta 1996  
  Politische Aspekte der Olympischen Spiele (VI)

Infolge der tief greifenden Veränderungen im System der Internationalen Politik bzw. durch das Ende des Ost-West-Konflikts in den achtziger und neunziger Jahren ist für die Olympischen Spiele ein neues Zeitalter angebrochen. Vordergründig handelt es sich um eine Wiedervereinigung der olympischen Familie mit ihren Idealen. Alle Nachfolgestaaten der UdSSR, der Tschechoslowakei und Jugoslawiens sind als eigenständige Nationen vertreten. Die Volksrepublik China und Taiwan, Kuba und sogar Nordkorea sowie fundamentalistisch regierte Staaten gaben sich von Atlanta 1996 bis Athen 2004 versöhnlich.
 
Eine Rückkehr zu den olympischen Idealen der Friedensförderung, Völkerverständigung und Anti-Diskriminierung? Bestenfalls eine Einkehr, denn man kann nicht zu etwas zurückkehren, das es nicht gab, sondern nur eine Lebenslüge war. Die Wirklichkeit sieht aber ohnehin anders aus.

Während das Internationale Olympische Komitee (IOC) mit Stolz auf das Nebeneinander der beiden Koreas in der Athener Eröffnungsfeier verwies, verkündete gleichzeitig ein iranischer Judo-Weltmeister mit ihn zum Volkshelden machender staatlicher (Propaganda-)Unterstützung, nicht gegen einen Israeli kämpfen zu wollen.
...
Peter Filzmaier schreibt anlässlich der Sommerspiele in Athen eine Artikelserie zu den politischen Aspekten der Olympischen Bewegung - von den Anfängen ihrer Wiederbelebung in der Neuzeit bis zur Gegenwart.
Teil 1: Die Anfänge der Lebenslüge 1896-1912 (3.8.04)
Teil 2: Der Fall Deutschland 1920-1932 (6.8.04)
Teil 3: Die Nazi-Olympiade 1936 (10.8.04)
Teil 4: Der Kalte Krieg der Supermächte 1948-1992 (17.8.04)
Teil 5: Schwarzer September 1972 (17.8.04)
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Ein Spiegel des Nord-Süd-Konflikts
Vor allem aber hat sich in Atlanta, Sydney und Athen gezeigt, wie sehr das Zusammentreffen aller Völker dem schamlosen Ausnützen globaler Ungleichheiten dient. Die politisch und wirtschaftlich stärksten Länder brauchen die Anwesenheit des Rests der Welt, um auf dessen Kosten triumphieren zu können.

Sportliche Triumphe der USA inklusive politischem Mehrwert sind für künftige Olympischen Spiele vorprogrammiert. Für Russland sowie Großbritannien, Frankreich, Deutschland usw. gibt es üppige Brosamen der gleichen Art.
China: Sporterfolge zur Stärkung der Regierung
China als einziger US-Konkurrent in den Medaillenspiegeln von Athen 2004 ist alles Andere als ein Vertreter der Dritten Welt, sondern nützt analog zu den Amerikanern Sporterfolge primär zur Stärkung der Regierung. Wirkliche Entwicklungsländer können ungeachtet des Ausnahmefalls äthiopischer Wunderläufer oder kubanischer Staatsboxer lediglich als Adabeis mitmachen und klatschen.

Selbst die passivste Form der Partizipation, nämlich der Medienkonsum, ist von wirtschaftlichen und/oder sozialen Standards - Freizeit, Alphabetisierungsquote, Besitz eines Fernsehgeräts usw. - abhängig. Die um teures Geld für den Jubel um Kenenisa Bekele von Addis Abeba nach Griechenland gereisten Lauffans haben mit der Realität in Äthiopien nichts zu tun.
Olympischer Missbrauch
Die mediale Heroisierung von Eric Moussambani - "Eric the Eel" (Erik, der Aal) - aus Äquatorial-Guinea in Sydney 2000 als langsamster Schwimmer aller Zeiten ließ tief blicken, wofür moderne Industrie- und Kommunikationsgesellschaften weniger entwickelte Länder olympisch (miss-)brauchen.

Als Aufputz für den zarten Hinweis, dass amerikanische, europäische und australische Spitzenschwimmer in derselben Zeit drei Rennen über 100 Meter-Freistil bestreiten könnten.
Der Zwiespalt der "Dritten Welt"
Generell ist der Stellenwert der Olympischen Spiele im Nord-Süd-Konflikt kaum jemals systematisch untersucht worden, obwohl er neben terroristischen Gefahren die politische Zukunft der Spiele prägen wird.

Unter den wahrscheinlich über 100 Ländern, die in Athen 2004 keine olympische Goldmedaille gewinnen, beträgt in zwei Drittel davon das jährliche Pro-Kopf-Einkommen weniger oder nur unwesentlich mehr als 1.000 US-Dollar. Innerhalb der Entwicklungsländer sind es unverändert oft wenig demokratiebewusste Funktionäre und sozio-ökonomische Sportlereliten, die von Olympia profitieren.

Repräsentanten, die nicht repräsentativ sind. Aber selbst für den Fall bester Absichten befindet sich die "Dritte Welt" in einem Zwiespalt. Man stellt bis zur Hälfte der Sportler, gewinnt aber nur einen Bruchteil der Medaillen. Will man olympisch unter den reichen Ländern aufzufallen, muss in den armen Ländern den Ärmsten etwas weggenommen werden, um sportliche Eliten zu finanzieren.
Interne Auseinandersetzungen
Die nicht mehr bestehende Bipolarität als Kennzeichen des internationalen Systems bedeutete für die Olympischen Spiele einerseits das Ende ihrer politischen Instrumentalisierung durch die Supermächte.

Neben der Verschärfung von Ungleichheiten zwischen Nord und Süd droht die Rückkehr in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als die Spiele unipolar durch den späteren "Westen" und "Norden" sowie dessen interne Auseinandersetzungen beherrscht wurden.´

Zuletzt zeigte die Tour de France das Bild des hässlichen Amerikaners, den die Fans als Triumphator über deutsche Lichtgestalten und französische Nationalhelden ausbuhten. Der US-Präsident aber gratulierte persönlich.
Neue Nationalismen
Eine weitere "Neuentwicklung" ist die Wiedergeburt unterschiedlicher Nationalismen. Der russische Präsident Putin forderte sein Nationales Olympische Komitee offiziell auf, die Sportler in Athen 2004 zum Mitsingen der Nationalhymne anzuhalten.

Am Ende der Spiele wurde gestritten und eine staatliche Identitätskrise Russlands ausgerufen, weil es mangels Erfolgen kaum Goldmedaillengewinner gab, die ihre Musikalität beweisen mussten.
Olympische Spiele 2012 in New York
Sollte New York mit der Ausrichtung der Olympischen Spiele 2012 betraut werden, garantieren allein zahllose Reminiszenzen an den 11. September 2001 - wenig später erfolgte der Bewerbungsbeschluss, alle anderen US-Städte verzichteten freiwillig - ein sensationelles Spektakel des amerikanischen Hurra-Patriotismus.

Bis dahin freut sich angeblich der Irak über seine Selbstfindung infolge eines fußballerischen Semifinales, auch wenn der unmittelbare Sinn für die unter US-Beschuss stehenden Menschen in Nadschaf und das Gerücht einer durch Saddam Hussein regelmäßig verprügelten Mannschaft - mit sensationeller Regeneration aufgrund der amerikanischen Befreiung? - gleichermaßen bezweifelt werden dürfen.
Doping als nationale Tragödie
Sogar das leidige Doping-Thema ist vor allem nationalistisch. Wenn griechische Sprintstars kurioserweise ins Krankenhaus flüchten, um zu verheimlichen, dass ihr Körper mit Medikamenten voll gepumpt ist - Kostas Kenteris und Ekaterini Thanou wollten durch einen fiktiven Motorrad-Unfall einer Kontrolle entgehen -, ist das in der öffentlichen Wahrnehmung weniger deren Privatproblem als eine nationale Tragödie.

Journalistische Verdächtigungen implizieren oft den Vergleich "sauberer" Lichtgestalten aus der Heimat - ganz Deutschland bagatellisiert, dass Jan Ullrich wegen Dopings gesperrt war - versus ausländischer Überraschungssieger mit scheinbar schmutzigem Umfeld.

Bei schon vor den Athener Spielen nachweisbar gedopten US-Läufern wurden aufgrund von deren Hautfarbe unterschwellig Alltagsrassismen ausgelebt.
Sicherheit und Terrorismus
Wenn eine absolute Perfektion der polizeilichen und militärischen Sicherheitsmaßnahmen in ungeahnten Dimensionen regelmäßige Blutbäder durch Anschläge auf die Olympischen Spiele verhindert, ist das menschlich zu hoffen und strategisch zu bewundern.

In Barcelona 1992, Sydney 2000 und Athen 2004 kreisten sogar U-Boote in den Hafenbecken. Zusätzlich den 35 Kriegsschiffen vor Piräus versteht sich. Die Gastgeberstadt Athen nahm 2004 das Sicherheits-Überwachungssystem "C41" in Betrieb, das rund 250 Millionen Euro kostete.
Politische Konflikte
Es ändert aber nichts daran, dass offenbar ein Grunddilemma besteht: Die Welt ist so gespalten, dass die vermeintlich friedensfördernden und völkerverbindenden Spiele mit nackter Gewalt abgesichert werden müssen.

Natürlich gilt das für alle Großveranstaltungen, doch steigt das Ausmaß der dortigen politischen Konflikte mit ihrer via Massenmedien als Öffentlichkeitswert definierten "Bedeutung". Nicht ganz zu Unrecht sprechen Olympia-Gegner von einer Militarisierung des Alltagslebens als Konsequenz der Spiele, die sich fortlaufend verschärfen wird.
Ökonomisierung und ökologische Verträglichkeit
"Olympia ist eine Sache der Amateure!" - Märchen waren einmal. Gestimmt hat das nie, doch heutzutage bekommt ein griechischer Olympiasieger in Athen hochoffiziell knapp 200.000 Euro als Regierungsprämie.

In Wahrheit ein Taschengeld, denn es finden sich unter den Goldmedaillengewinnern Sportler - in Athen von Justine Henin bis Ian Thorpe, von Steffi Graf oder Michael Jordan früher ganz zu schweigen - mit einem geschätzten Jahresverdienst im zwei- oder sogar dreistelligen Millionen (US-)Dollar-Bereich.
Angekommen in den Gesetzen der Vermarktung
Die Olympischen Spiele sind endgültig im Gigantismus und in den Gesetzen der Vermarktung angekommen. Die Einkünfte der Sportler sind nichts im Vergleich zum Milliardengeschäft der Sponsoren und Massenmedien.

1960 in Rom begann die Zeit der olympischen Sponsoren, 1996 in Atlanta wurde der Kommerz zum Skandal. Für den investitionsfreudigsten unter den Top-Konzernen, die im Sponsoren-Pool des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) versammelt sind, wurden Coca-Cola-Spiele in der Konzernzentrale veranstaltet.

Ein Vertrag der Veranstalter mit dem Brausegetränk über eine Budgetbeteiligung von 1,35 Milliarden US-Dollar soll garantiert haben, dass zum hundertjährigen Jubiläum der Spiele diese nicht in Athen stattfinden würden.
Ungeahnte Optionen für eine Doppelinstrumentalisierung
Wenn politische und wirtschaftliche Ideologien einander ergänzen, ergeben sich ungeahnte Optionen für eine Doppelinstrumentalisierung der Spiele. Olympische Spiele in Peking 2008 stärken das Regime trotz aller Menschenrechtsverletzungen und bringen zugleich die Augen der globalen Wirtschaftsmanager zum Leuchten. Fortsetzung folgt. Spätestens 2012 in New York.
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