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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft 
 
Kommunikationsstrategien der Parteien in der Mediendemokratie (IV): Die Grünen  
  Ein demokratischer Diskurs über politische Themen in den Massenmedien ist nur möglich, wenn die Kommunikationsangebote der Parteien ein Mindestmaß an inhaltlicher Seriosität nicht unter- und die mediale Inszenierung ein Maximalausmaß an Showcharakter nicht überschreiten. Grünparteien werden traditionell sowohl mit einer von üblichen Formen der politischen Beteiligung oft abweichenden und daher medienwirksamen Präsentation ihrer Anliegen als auch mit inhaltlichem Fundamentalismus in Verbindung gebracht  
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Der nachstehende Text stellt die überarbeitete Fassung von Teilen aus Vorträgen des Autors zum Thema "Mediale Inszenierung von Politik" dar. In den Vorwochen beschäftigte sich Peter Filzmaier mit der politischen Kommunikation von ÖVP , SPÖ und FPÖ.
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Wie stellen sich Österreichs Grüne dar?
Sind die österreichischen Grünen ein Beispiel, dass die Notwendigkeit einer möglichst publikumstauglichen Darstellung von Politik mit dem Interesse an grundlegenden Sachfragen verbunden werden kann? Wenn ja, sind dafür geplante Kommunikationsstrategien oder die parteiinterne (Eigen-)Dynamik grüner Politikformulierung verantwortlich?

Ist, falls Letzteres zutrifft, eine typische Organisation politischer Kommunikation mit den Ansprüchen einer auch hinsichtlich Entscheidungsstrukturen und daraus resultierenden öffentlichen Auftritten alternativen bzw. an der Basis orientierten Partei kompatibel?
Der Anfang mediengerechter Darstellung
Es ist zwischen der Inszenierung von Pseudo-Ereignissen ohne Themenbezug und Aktionismus mit einer politischen Botschaft zu unterscheiden.

Die Anfangszeit der Grünen im Parlament war, unabhängig von der persönlichen Befürwortung oder Ablehnung des jeweiligen Anliegens, zweifellos durch die Verknüpfung von mediengerechter Selbstdarstellung mit Sachkompetenz gekennzeichnet.
Dauerreden und Demonstrationsteilnahmen
Grüne Abgeordnete von Walter Geyer in den achtziger Jahren bis Karl Öllinger im Mai 2003 versuchten beispielsweise nach US-amerikanischem Vorbild (filibuster) durch Dauerreden Beschlüsse durch die Parlamentsmehrheit der Regierung zu verzögern.

Die Abgeordneten sprachen jedoch bis zu über neun Stunden stets zum jeweiligen Thema, während im US-Senat beim filibustering schon das Telefonbuch von Washington D.C. verlesen wurde.

Sogar umstrittene Aktionen der Grünen von der Präsentation einer Hakenkreuzfahne im Parlament durch Andreas Wabl bis zu Demonstrationsteilnahmen - mit dem Problem einer trotz aller Ungerechtigkeit der Vorwürfe misslungenen Abgrenzung von gewaltbereiten Mitdemonstranten - konnte stets den Anspruch eines thematischen Anliegens erheben.
Grüne Personalisierung und Botschaften
Eine hochgradige Personalisierung in Verbindung mit professionellen Medienauftritten und für den Bürger bzw. Wähler leicht verständlichen Kurzbotschaften gelten als Grundregel erfolgreicher Politikdarstellung.

Für die Grünen zeigt sich diesbezüglich ein zwiespältiges Bild. Dem Parteiverständnis entsprechend tendieren die Grünen zu Teamkampagnen ohne Personenkult um einen omnipräsenten Spitzenkandidaten, doch hat sich van der Bellen in der Wahlkampfzeit zu einem solchen entwickelt.
Van der Bellen: Erfolge ohne coaching
Alexander van der Bellen gilt unverändert als Musterbeispiel eines gegenüber Medienberatern resistenten Politikers, der trotz Verweigerung eines coaching für Fernsehauftritte und thematischer Detailverliebtheit im Nationalratswahlkampf bis zu 60 Prozent der Zeit im Bild 1-Präsenz seiner Partei und bis zu 40 Prozent der Nennungen von Grünpolitikern in Printmedien abdeckte.

Gleichzeitig erfüllt er in Fernsehdiskussionen offenbar Erwartungshaltungen der Grün-Wähler (für 56 Prozent war er ein hauptsächliches Wahlmotiv), obwohl er Umfragen zufolge aus Sicht aller Zuseher sehr schlecht - im Vergleich zu Schüssel und Gusenbauer, mit unwesentlich besseren Werten als Haupt - abgeschnitten hat.
Mediengerechte Inszenierungen
Zugleich aber entsprach beispielsweise das veränderte Auftreten und Aussehen von Madeleine Petrovic als Spitzenkandidaten für die Nationalratswahlen 1994 allen Klischees eines amerikanisierten image building.

Selbstverständlich werden mittlerweile von den Grünen regelmäßig Pressekonferenzen mediengerecht aufbereitet: Peter Pilz platzierte als Nationalratsabgeordneter der Grünen auf einer Pressekonferenz gut sichtbar ein gebackenes Huhn im Hintergrund, um das Interview des FPÖ-Landeshauptmanns Jörg Haider für einen arabischen Fernsehsender mit einem Falken im Bild zu karikieren.
Schwächen in den Koalitionsverhandlungen
In den Koalitionsverhandlungen gelang es hingegen den Grünen nicht, ihre Position in den Medien stringent zu vermitteln. Abwechselnd wurden am Wahlabend Unklarheit, zwei Tage nach der Wahl eine definitive Oppositionsfestlegung, in den Sondierungsgesprächen bis nach Weihnachten Offenheit gegenüber allen Optionen und schließlich im Februar ein klares Bekenntnis zu Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP vermittelt.

In der medialen Darstellung ergaben sich dadurch insbesondere für parteiinterne Kritiker zahllose Angriffspunkte, obgleich die Wähler den Zick-Zack-Kurs mehrheitlich tolerierten.
Taktisches Dilemma
Hintergrund war das Dilemma, dass die Grünen einen Koalitionswahlkampf für eine rot-grüne Mehrheit führen wollten, jedoch von der SPÖ nicht unterstützt wurden. Zugleich war eine grundsätzliche Regierungsbereitschaft erklärt worden, welche durch das Wahlergebnis lediglich mit der ÖVP realisierbar war.

Aus strategischer Sicht hätte die grüne Parteispitze ihre auch sehr persönliche Willigkeit zum Regieren weiterhin vertreten, aber umgehend mit drei bis fünf für die ÖVP kaum erfüllbaren Bedingungen verknüpfen können ("wegen des Asylgesetzes nur ohne Innenminister Strasser" o.ä.), um eine doppelte Gewinnsituation (win-win-situation) zu schaffen.
Erfolg nur teilweise geplant
Natürlich entsprechen solche plakativen Forderungen keinesfalls der Realität von detailreichen Koalitionsverhandlungen. In den Augen der Öffentlichkeit jedoch hätten sich entweder die Grünen durchgesetzt und jedwede parteiinterne Kritik an der Koalitionsbereitschaft erschwert, oder die Schuld am Scheitern der Verhandlungen wäre eindeutig einer unbeweglich scheinenden ÖVP zugeschrieben worden.

Langfristig gesehen war die mediale Präsenz im Koalitionspoker nichtsdestoweniger ein nur bedingt geplanter Erfolg der Grünen, weil sich eine Öffnung nach allen Seiten ergab, während glücklicherweise Eindrücke von neuen Erfahrungen in den Verhandlungen und einer entsprechenden Bemühtheit das Bild unlösbarer Auffassungsunterschiede zwischen Parteispitze und Basisgruppen in Wien bzw. auch zwischen Ost- und Westösterreich überlagerten.
Koalitionsoptionen und Pensionsstreit
Kommunikationspolitisch ist eine schwarz-grüne Koalition für die Grünen insofern vorteilhaft, weil als Regierungspartner der christlich-konservativen ÖVP ihr sozial-liberales Profil besser vermittelbar ist, während ansonsten das permanente Problem einer klaren Abgrenzung von der SPÖ besteht.

Das aktuelle Beispiel der Pensionsreform zeigt, dass die Kritik bzw. Alternativvorschläge der Grünen aufgrund zu vieler Parallelen mit den Sozialdemokraten kaum als eigenständig wahrgenommen werden.
Mögliche Strategien in der Pensionsdiskussion
Als Gegenkonzept wäre allenfalls eine grüne Propaganda für möglichst radikale Pensionskürzungen zu empfehlen, weil vor der Pension stehende Hauptbetroffene bzw. sich bereits in Pension befindliche Menschen als emotionalisierte Gruppe kaum Grünwähler sind.

Der prozentuelle Stimmenanteil der Grünen betrug 2002 bei den über 45-jährigen sechs, bei den über 60-jährigen nur ein Prozent. Das typische Klientel der Studenten - 41 Prozent der in Ausbildung befindlichen Wähler stimmten 2002 für die Grünen! - fühlt sich weniger unmittelbar betroffen, und ist dem Argument einer langfristigen Zukunftssicherung aufgeschlossener.

Selbstverständlich würde das dem grünen Image der sozialen Gerechtigkeit widersprechen, als dessen Verfechter sich aber gegenwärtig ohnehin SPÖ, ÖGB und sogar die FPÖ zu profilieren versuchen.
Koalitionsoptionen der Grünen
Allerdings symbolisieren mögliche Positionen der Grünen im Pensionsstreit die Schwierigkeit, sich strategisch Koalitionsoptionen mit ÖVP und SPÖ gleichermaßen offen halten zu müssen.

Ausgangshypothese ist, dass die FPÖ nach den gegenwärtigen Umfragedaten als Koalitionspartner der Schwarzen oder Roten möglicherweise bereits rechnerisch ausfällt.

Gelingt es den Grünen eine der FDP in Deutschland von 1961 bis 1998 vergleichbare Position zu erreichen - die FDP war mit einem Stimmenanteil von zwischenzeitlich nur knapp sechs und niemals über 13 Prozent stets wechselweise Koalitionspartner von CDU/CSU und SPD -, ist ihnen ein machtpolitischer und inhaltlicher Einfluss, der gemessen an den Wahlergebnissen überproportional ist, sicher.

Die Grundfrage ist, inwiefern es den Grünen unabhängig von Einzelfallinitiativen (siehe als Beispiel die aktuelle Negativkampagne gegen Finanzminister Karl-Heinz Grasser), die grundsätzliche Sinnhaftigkeit einer solchen Strategie intern und extern zu kommunizieren.
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