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ORF ON Science :  Peter Filzmaier :  Gesellschaft .  Technologie 
 
WSIS: Keine Informationen zur Informationsgesellschaft?  
  Wer weiß, was sich hinter dem Kürzel WSIS verbirgt? Unwissende müssen sich nicht politisches Desinteresse beim Fernsehen oder Zeitung lesen vorwerfen lassen, denn Wissende haben ihr Wissen jedenfalls nicht aus den österreichischen Medien, die sich mit ihrer Ignoranz international in zahlreicher und nichtsdestoweniger schlechter Gesellschaft befinden.  
Der UNO-Genfer Weltgipfel zur Informationsgesellschaft - World Summit on Information Society (WSIS) - vom 10. bis 12. Dezember 2003 findet nicht nur für ÖsterreicherInnen nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Natürlich gibt es nichts, dass die Notwendigkeit einer solchen Konferenz besser beweisen könnte, als der mangelnde Zugang zu Informationen über sie.
Digitale Spaltung zwischen "usern" und "losern"
Wir leben in einer Wissens- und Informationsgesellschaft, d.h. die Startbedingungen sowohl für den einzelnen Menschen als auch für ganze Länder an der globalen Entwicklung teilzuhaben und diese demokratisch mitzubestimmen, sind abhängig vom technischen bzw. inhaltlichen Zugang zu Informationen und von der Chance zur Informationsvermittlung an andere. Unsere Welt ist aber derart von Ungleichheiten geprägt, dass von information rich und information poor oder, auf das Internet und seine Applikationen als zentrale Kommunikationstechnologie bezogen, von "usern" und "losern" gesprochen wird.

Im Mittelpunkt steht eine digitale Spaltung der Welt (digital divide), die gleichermaßen Leitungen und Festplatten sowie die Medienkompetenz betrifft.
->   WSIS
Sozioökonomische Indikatoren
Die Nutzung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKTs) unterscheidet sich sowohl nach Staaten als auch innerstaatlich nach sozioökonomischen Indikatoren beträchtlich. Prozentuell stellen Nordamerika, Europa und Asien jeweils fast ein Drittel der Internetnutzer weltweit. Aus Lateinamerika kommen weniger als zwei Prozent, aus Afrika und dem Mittleren Osten in Summe 0,2 Prozent.

Der Nahe und Mittlere Osten ist unverändert nahezu vollständig offline. Lediglich Israel und wenige Erdöl exportierende Länder weisen untypische Steigerungsraten auf.
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Weniger Internet in Afrika als in New York
Von den afrikanischen IKT-Nutzern lebt die Hälfte in Südafrika, während an zweiter bzw. dritter Stelle Ägypten und Marokko mit 500.000 Nutzern folgen. In vielen Staaten sind weniger als 5.000 Menschen online, in Somalia weniger als 500. 99,5 Prozent der Bewohner afrikanischer Staaten verfügt über keinerlei IKT-Zugangsmöglichkeiten. Es gibt kaum mehr als 300 afrikanische Provider, ein Drittel davon in Südafrika.

Für die etwa 6,5 Millionen Einwohner Ruandas gibt es weniger Telefon- und Modemanschlüsse als für die Mitarbeiter der Weltbank. Afrika ist insgesamt schwächer im Internet vertreten als die Stadt New York. Alle Länder Südamerikas und der Karibik verfügen zusammen über weniger Websites als Finnland.
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Korrelationen: Sprachen, Wirtschaftsleistung, IKT
Ein zentrales Kriterium der IKT-Nutzung bildet die (Fremd-)Sprachkompetenz, nachdem 2002 über 40 Prozent der Nutzer Englisch als Muttersprache hatten. Ein weiteres Drittel repräsentierte andere europäische Sprachen. Fast 20 Prozent sprachen Chinesisch oder Japanisch.

Diese Daten korrelieren nicht mit der Bevölkerungszahl, sondern mit der Weltwirtschaftsleistung, die zu etwa von jeweils einem Drittel von Staaten bzw. Unternehmen in Staaten mit der Landessprache Englisch und "nicht-englischen" europäischen Sprachen sowie zu in Summe 20 Prozent von China und Japan erbracht wird. Über 80 Prozent der wirtschaftsorientierten Websites und fast drei Viertel aller Seiten im Netz sind in englischer Sprache gestaltet.
"Drin sein" heißt nicht "politisch mündig"
Das Kompetenzdilemma beschränkt sich keineswegs auf den technischen und sprachlichen Bereich, sondern ist ein Problem der Mediennutzungskompetenz. Der Erwerb von Grundkenntnissen - siehe Boris Beckers "Ich bin drin! Hey, das ist ja einfach!" als Werbespruch eines Internet-Anbieters - begründet keinerlei Fähigkeiten zur (politischen) Beteiligung in der Informationsgesellschaft.

Elektronische Demokratiemodelle - d.h. Modelle, die zur Verbesserung der Demokratiequalität politische Information, Partizipation und Kommunikation mit Hilfe moderner Technologien erleichtern wollen - verlangen eine politische Mündigkeit der Bevölkerung, die ein solches Modell entstehen lassen soll, zugleich aber selbst Resultat des Modells ist. In vielen Fällen sind Menschen durch die Informationsflut des Internets überfordert.
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Global, social, democratic divide
Als Konsequenzen sind folgende Entwicklungen eines technischen Analphabetismus (techno-illiteracy) zu befürchten:

- Auf internationaler Ebene entsteht eine Klassenteilung von Industrie- bzw. Kommunikationsgesellschaften und Entwicklungsgesellschaften (global divide).

- Auf nationaler Ebene entsteht eine Klassenteilung informationsreicher und informationsarmer Gesellschaftsgruppen (social divide).

- Auf nationaler und internationaler Ebene entsteht eine Klassenteilung zwischen der Mehrheit von weitgehend "inkompetenten" und "unqualifizierten" IKT-Konsumenten und der Minderheit von hochgradig kompetenten Bürgern, die IKTs aktiv für politische Bildung, politisches Engagement und politische Partizipation nutzen (democratic divide).
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Nötig: Staatliche Ausstattung, Bildungsinitiativen
Ob es nun auf dem Weltgipfel eine oder keine gemeinsame Deklaration der Weltgemeinschaft und/oder einen Aktionsplan gibt, auf jeden Fall sind die UNO und ihre Unterorganisationen für den Versuch der Schaffung einer globalen Informationsgesellschaft zuständig.

Unumgänglich sind:
- Eine Neugestaltung der Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse im internationalen System durch eine New International Information (and Communication) Order/NIICO nach dem Vorschlag der UNESCO.
- Mehrere Solidaritätsfonds, die - trotz des Widerstands der EU - signifikante Ressourcen für einen weltweiten Informationszugang bereitstellen.
- Universal services, d.h. staatliche Grundausstattungen für eine breite Bevölkerungsschicht.
- Neue Bildungsinitiativen, die nicht - wie in der EU - erstens nur am Aufbau einer technischen Infrastruktur orientiert und zweitens nur für jüngere Generationen gestaltet sind.
Sonst wird das Internet zum Intranet
Wenn nichts geschieht, wird sich die Wissenskluft (knowledge gap) zwischen informierten Gruppen und vom Informationsfluss Ausgeschlossenen verschärfen. Konsequenz ist, dass das Internet zum Intranet wird, für welches vor allem in hoch entwickelten Ländern Bürger mit formal höherem Bildungsgrad und insbesondere höherem Einkommen und höherer beruflicher Stellung die notwendige Medienkompetenz besitzen.
->   Alle Beiträge von Peter Filzmaier in science.ORF.at
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Hinweis: Ö1-Sendung "Dimensionen" zum Thema
Über den ersten UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft (WSIS) berichtet Ina Zwerger in der Sendung "Dimensionen", am 19. Dezember 2003 um 19.05 Uhr in Ö1.
->   Ö1
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