Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Stammzellenforschung - Plädoyer für eine seriöse Debatte
Österreich braucht nicht eine härtere, sondern eine ernsthaftere Bioethik-Diskussion
 
  Im Vorfeld der von Bundeskanzler Schüssel eingesetzten Ethikkommission hat in den Medien eine Debatte über die Forschung an embryonalen Stammzellen begonnen. Von einer seriösen Diskussion sind wir jedoch noch weit entfernt.  
Kanzlerworte
Er wünsche sich, so Bundeskanzler Schüssel in einem Interview mit dem STANDARD (22.5.2001), daß die bioethischen Debatten in Österreich "wesentlich härter und engagierter geführt werden als bisher". In diesem Zusammenhang verteidigt er auch die Bestellung von Univ.Prof. Dr.Dr. Johannes Huber zum Vorsitzenden der künftigen Ethikkommission gegen die z.B. vom Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich erhobenen Bedenken.
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Ökumenischer Rat fordert Transparenz
In einer Erklärung vom 15. Mai hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich zur bevorstehenden Einsetzung einer Bioethikkommission Stellung bezogen. Er fordert "ein breite Einbindung der verschiendenen Gesichtspunkte und einen transparenten Beratungsvorgang".

Zugleich äußert der Ökumenische Rat Bedenken, ob unter einem Vorsitzenden, der sich in strittigen Fragen wie der verbrauchenden Embryonenforschung bereits eindeutig positioniert habe, noch die Unabhängigkeit des Greminums gewährleistet sei.
->   Stellungnahme des Ökumenischen Rates
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Übertriebene Erwartungen
Befürworter der verbrauchenden Embryonenforschung wecken in der Öffentlichkeit große Hoffnungen, aus embryonalen Stammzellen ließen sich in Zukunft nicht nur neue Gewebe, sondern ganze Organe züchten. Wie groß die Verlockung ist, diesen Versprechungen Glauben zu schenken, zeigt die Ausführungen des Kanzlers in seiner Rede zur Lage der Nation.

Die Erforschung embryonaler Stammzellen eröffne die Aussicht, "dass wir dem Ende der Transplantationsmedizin entgegen sehen und eine reale Möglichkeit haben werden, kranke menschliche Organe durch Stammzellentherapie von innen her nachwachsen zu lassen."
Das sind allerdings hochfliegende Visionen, die von der Einschärtzung seriöser Forscher weit entfernt liegen. Ein Ende der Transplantationsmedizin ist jedenfalls kaum in Sicht. Davon abgesehen scheint die Zukunft der Forschung eher im Bereich der adulten Stammzellen zu liegen, wie der Bundeskanzler inzwischen selbst in dem erwähnten STANDARD-Interview einräumt.
Therapeutisches Klonen
Problematisch an den jüngsten Vorstößen zur verbrauchenden Embryonenforschung ist, daß die Frage der Verwendung embryonaler Stammzellen von weitergehenden Fragen abgekoppelt werden. Man kann aber die ethischen Fragen der Forschung nur dann seriös diskutieren, wenn sie in einem größeren Zusammenhang betrachtet werden.
So kann die Erforschung embryonaler Stammzellen allenfalls der Grundlagenforschung dienen. Um auf ihrer Basis für Patienten zu therapeutischen Zwecken neue Gewebe zu züchten, wird man auf das Verfahren des therapeutischen Klonen zurückgreifen müssen. Hierfür werden zahlreiche weibliche Eizellen benötigt, deren Gewinnung allein schon erhebliche ethische Fragen aufwirft. Es hat daher keinen Sinn, die Frage der embryonalen Stammzellen isolisiert zu diskutieren, es sei denn, man möchte zwecks Lockerung des Embryonenschutzes eine Salamitaktik anwenden.
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Ablehnende Haltung des Deutschen Ärztetages
Bemerkenswerterweise stößt der jüngste Vorstoß der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Erforschung embryonaler Stammzellen in Deutschland zuzulassen, bei der deutschen Ärzteschaft auf Ablehnung. Der 104. Deutsche Ärztetag vom 22.-25. Mai 2001 in Ludwigshafen hat sich gegen die Herstellung, den Import und die Verwendung humaner embryonaler Stammzellen ausgesprochen.

Zunächst müsse die Öffentlichkeit in den Dialog über die ethischen und rechtlichen Probleme der embryonalen Stammzellforschung eingebunden werden, stehe dies Forschung doch im Widerspruch zum deutschen Embryonenschutzgesetz. Außerdem dürften sich sowohl Ärzte als auch Patienten keine übertiebenen Hoffnungen auf eine baldige therapeutische Anwendung der neuen Techniken machen.
->   Stellungnahme des 104. Deutschen Ärztetages
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Nachdenklichkeit gefragt
Man kann nur wünschen, daß eine solche Nachdenklichkeit auch in die österreichische Diskussion Einzug hält. Unseriöse Sensationsmeldungen, wie sie von interessierter Seite immer wieder durch die Medien verbreitet werden, werden dem Ernst der ethischen Fragen, die nun auch in Österreich zu debattieren sind, nicht gerecht.
Der moralische und rechtliche Status von Embryonen
Ein erhebliches Manko der bisherigen Bioethik-Diskussion in Österreich besteht in der dürftigen bzw. unklaren verfassungsrechtlichen Verankerung des Embryonenschutzes. Abgesehen von den einschlägigen Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes, die mit einfacher Mehrheit abgeändert werden könnten, gibt es keine eindeutigen Gesetze.

Das österreichische Abtreibungsrecht läßt die entscheidenden Fragen nach dem rechtlichen Status von Embryonen unbeantwortet. Höchstrichterliche Entscheidungen wie in Deuschland fehlen. Zustimmmung verdient Kanzler Schüssel, wenn er gerade in dieser Frage für Österreich einen Nachholbedarf sieht.
Embryonenschutz und Bioethikkonvention
Angesichts der unklaren verfassungsrechtlichen Situation und der rechtpositivistischen Tradition in Österreich kann der vom Kanzler abgefeuerte Schuß freilich auch nach hinten losgehen. Vor diesem Hintergrund sollte endlich die Debatte über einen Beitritt Österreichs zur Menschenrechtskonvention zur Biomedizin des Europarats, kurz Bioethikkonvention genannt, geführt werden.

Vor dem Hintergrund der rasanten Entwicklungen auf dem Gebiet der Biomedizin ist ein solcher Schritt überfällig. Ein parteiübergreifender Konsens in diese Frage scheint durchaus möglich zu sein. Nur müßte darüber endlich in der breiten Öffentlichkeit diskutiert werden.
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Umstrittene Bioethikkonvention
Kritiker werfen der Bioethikkonvention vor, sie erlaube die Forschung an nicht zustimmungsfähigen Personen und unterbiete den in Österreich strengen Embryonenschutz.

Tatsächlich regelt Artikel 18 der Bioethikkonvention, daß die Rechtsordnung "einen angemessenen Schutz des Embryos" zu gewährleisten hat, "sofern sie Forschung an Embryonen zuläßt." Zugleich wird die Erzeugnung von Embryonen zu Forschungszwecken verboten. Ein Zusatzprotokoll verbietet außerdem das reproduktive Klonen.
->   Informationen zur Bioethikkonvention
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Stärkung des Embryonenschutzes
Gegner der verbrauchenden Embryonenforschung können einwenden, mit der Unterzeichung der Bioethikkonvention werde auch in Österreich die rechtliche Möglichkeit für eine Lockerung des bestehenden Embryonenschutzes geschaffen.

Sie sollten freilich bedenken, daß es für eine derartige Lockerung und für die Freigabe verbrauchender Embryonenfoschung des Beitritts Österreichs zu Bioethikkonvention gar nicht erst bedürfte. Umgekehrt würde die Ratifizierung dieses Menscherechtsdokuments aber bedeuten, daß die verfassungsrechtliche Position des Embryonenschutzes in Österreich gestärkt würde.
"Offensichtlich", so Kanzler Schüssel gegenüber dem STANDARD, "sollten wir auch in der Rechtsentwicklung manches nachholen." In diesem Punkt ist ihm von ethischer Seite zuzustimmen. Die Ratifizierung der Bioethikkonvention wäre ein erster praktischer Schritt.
Siehe dazu auch in science.orf.at:
->   Bioethik-Kommission eingesetzt
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Wissen und Bildung 
 

 
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