Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Stammzellforschung: Diskussionsstand in Österreich  
  Wo steht die Stammzellforschung, international und in Österreich? In welche Richtung entwickelt sie sich, und was sind die ethischen, forschungspolitischen und gesetzgeberischen Herausforderungen? Die Bioethikkommission und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin veranstalten zu diesen Fragen am 17. und 18. Jänner eine internationale Fachtagung.  
Neue Entwicklungen in der Stammzellforschung
Als Stammzellen bezeichnet man pluripotente Zellen, die sich zu unterschiedlichen Gewebetypen entwickeln können. Auf der Suche nach neuen Therapieformen z.B. für degenerative Erkrankungen des Nervensystems oder auch für Organersatz setzt die Medizin in diese Zellen große Hoffnungen.

Von der therapeutischen Anwendung ist die Forschung aber noch weit entfernt. Lediglich die Knochenmarkstransplantation, die z.B. zur Behandlung von Patienten mit einer Leukämie dient, kann als etablierte Therapie gelten.

Bisher konzentrierte sich die Stammzellforschung im wesentlichen auf zwei Quellen von Stammzellen, nämlich auf sogenannte adulte und auf embryonale Stammzellen.

Während erstere im Körper eines Menschen nach seiner Geburt vorkommen - aber schwer zu finden sind -, werden letztere aus Embryonen gewonnen, die man künstlich im Reagenzglas (in vitro) erzeugt hat. Stammzellen findet man auch in der Nabelschnur (umbilikale Stammzellen). Dem Wiener Genetiker Markus Hengstschläger ist es außerdem gelungen, fötale Stammzellen im Fruchtwasser zu identifizieren.
Dreigleisige Forschung
Kürzlich wurden Artikel von zwei Forschergruppen veröffentlicht, denen es gelungen ist, menschliche Hautzellen durch Einschleusung von Genen so zu reprogrammieren, dass sie sich zu pluripotenten Stammzellen entwickelten. Das Potential dieses neuen Verfahrens und der auf diesem Wege gewonnenen Stammzellen ist aber noch nicht bekannt.

Die Stammzellforschung wird in absehbarere Zukunft dreigleisig verfahren. Neben adulten Stammzellen und reprogrammierten Körperzellen - sogenannten "induzierten pluripotenten Stammzellen" (iPS) - wird weiter an embryonalen Stammzellen geforscht werden.

So rechnet z.B. Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, zwar damit, dass es früher therapeutisch nutzbare induzierte pluripotente Stammzellen gibt als dass von embryonalen Stammzellen abgeleitete Therapien zum klinischen Alltag gehören.

Zugleich warnt er jedoch davor, die Forschung an embryonalen Stammzellen weiter einzuschränken und fordert im Gegenteil eine Intensivierung dieser Forschungsrichtung, solange offen sei, welche Vorgehensweise letztlich erfolgreich sei.
->   Hans Schöler: Viele Wege führen nach Rom
Grundlagen- und Anwendungsforschung
Stammzellforschung ist nach wie vor ganz überwiegend Grundlagenforschung. Neben dem Ziel einer in der Zukunft möglichen klinischen Anwendung am Menschen zeichnet sich ein weiteres Anwendungsgebiet ab, nämlich die Verwendung von Stammzellen für pharmakologische oder toxikologische Untersuchungen. Sie wird vielleicht schon bald Realität.

Denkbar sind nicht nur pharmakologische Studien an Stammzellen zur Überprüfung von Wirkstoffen, sondern auch der Test chemischer Substanzen und möglicherweise der Ersatz von Tierversuchen. Diskutiert wird auch über den möglichen Einsatz von humanen embryonalen Stammzelllinien für embryotoxische Wirkstoffprüfungen im Rahmen der sogenannten Reproduktionstoxikologie.

Ziel solcher Untersuchungen ist es, die Erfolgsrate bei der In-Vitro-Fertilisation zu erhöhen und Methoden der Reproduktionsmedizin zu verbessern. Ob iPS für all diese Anwendungsbereiche eine tragfähige Alternative bieten, bleibt abzuwarten.
Weiter umstritten: embryonale Stammzellen
Die genannten Entwicklungen im Bereich der anwendungsorientierten Forschung zeigen, dass die Debatte über embryonale Stammzellen nicht so rasch von der bioethischen und biopolitischen Tagesordnung verschwinden wird. Während die Forschung an adulten Stammzellen als ethisch unbedenklich gilt, ist die Beforschung embryonaler Stammzellen weiterhin ethisch umstritten.

Der Grund besteht darin, dass Embryonen in einem Frühstadium zerstört werden, um aus ihnen Stammzellen zu gewinnen. In der Frage nach dem ontologischen und moralischen Status von Embryonen, die im Reagenzglas erzeugt, gehen die Ansichten weit auseinander.
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Sensationeller Durchbruch?
Nach jüngsten Berichten ist Forschern in den USA die Gewinnung embryonaler Stammzellen ohne Schädigung von Embryonen gelungen. Der Embryo entwickelte sich nach Entnahme einer einzelnen Stammzelle normal weiter. Sollte dieses Verfahren etabliert werden, stellen sich jedoch neue ethische Fragen:

Sollen nur Embryonen verwendet werden, die ohnehin zu Fortpflanzungszwecken erzeugt werden? Ist die Entnahme von Stammzellen für den Embryo in jedem Fall völlig risikolos? Ist sie bei einem Embryo zu rechtfertigen, der einer Frau implantiert werden und zur Geburt heranreifen soll? Warum sollten Eltern dem zustimmen?
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Mehr Marketing als Nutzen
Schon gibt es des Vorschlag, Eltern bei künstlicher Befruchtung, anzubieten, vor der Einpflanzung des Embryos in die Gebärmutter Stammzellen für das Kind entnehmen und einfrieren zu lassen. Falls das Kind einmal eine Stammzelltherapie nötig hätte, könnte man auf seine körpereigenen Stammzellen zurückgreifen. Diese Idee ist aber wohl ebenso windig wie die Werbung für das Einfrieren von Nabelschnurblut.

Dass man aber für fremdnützige Forschung den eigenen Embryo ohne Not vor Implantation durch die Entnahme von Stammzellen einem zusätzlichen Risiko aussetzt, ist bei der ohnehin geringen Erfolgsrate von In-Vitro-Fertilisationen weder wahrscheinlich noch ethisch zu rechtfertigen.
Ethische Fragen auch bei adulten Stammzellen
Die öffentliche Diskussion reduziert sich weithin auf die ethisch umstrittenen embryonalen Stammzellen. Es sollte freilich nicht übersehen werden, dass auch im Umgang mit adulten oder umbilikalen Stammzellen ethische Probleme auftreten können.

Umstritten z.B. der Nutzen von Banken für Nabelschnurblut, die zum Teil massiv dafür werben, dass Eltern das Nabelschnurblut ihrer neugeborenen Kinder zu Vorsorgezwecken einlagern lassen. Auch in anderen Bereichen warnen Experten vor einer bedenkenlosen Kommerzialisierung der Anwendung adulter Stammzellen.
Die gesetzliche Lage in Österreich
Österreich hat weder ein Stammzellforschungsgesetz, das den Umgang mit den verschiedenen Arten von Stammzellen regeln würde, noch ein Embryonenschutzgesetz, das auch Bestimmungen für die Beforschung von embryonalem Gewebe enthielte. Mittelbar ergeben sich gewisse Einschränkungen durch das Fortpflanzungsmedizingesetz.

So ist die In-Vitro-Fertilisation lediglich zu Fortpflanzungszwecken erlaubt, nicht aber zur Erzeugung von Embryonen für Forschungszwecke.

Die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen ist in Österreich nicht verboten, aber nicht gesetzlich geregelt. Verboten ist lediglich die Herstellung embryonaler Stammzellen, nicht jedoch der Import von im Ausland erzeugten Stammzelllinien.

Auf parlamentarischer Ebene stand die Stammzellforschung, insbesondere die Zulässigkeit von Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen, in Österreich bisher nicht zur Debatte. Dieser Zustand ist ethisch wie juristisch fragwürdig. Auch für iPS wäre eine gesetzliche Regelung dringend zu wünschen, schon um Missbrauch auszuschließen.
Paradoxe Pattstellung
Paradoxerweise scheinen aber sowohl entschiedene Gegner wie auch Befürworter der Forschung an embryonalen Stammzellen mit dem Status quo gut leben zu können. Die Gegner möchten kein Gesetz, das als Förderung der umstrittenen Forschung verstanden werden könnte. Sie sind damit zufrieden, dass Österreich auf europäischer Ebene bislang gegen jede Forschung an embryonalen Stammzellen gekämpft hat - und wollen im übrigen gar nicht so genau wissen, was in Österreich passiert.

Manche Befürworter dagegen befürchten, dass ein Gesetz nur zu Beschränkungen der Forschungsfreiheit führen würde. Aufwändige Antrags- und Begutachtungsverfahren wären aus ihrer Sicht nur hinderlich.
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Vergleich mit Deutschland
Besonders restriktiv wäre zum Beispiel eine Stichtagsregelung wie in Deutschland. Hier dürfen keine embryonalen Stammzelllinien importiert und verwendet werden, die nach dem 31. Jänner 2002 erzeugt wurden. Eine Eigenart des deutschen Stammzellgesetzes besteht außerdem darin, das es lediglich die Forschung an embryonalen Stammzellen unter Auflagen gestattet, nicht aber die Anwendung von Forschungsergebnissen, sofern dabei embryonale Stammzellen zum Einsatz kommen.

Derzeit wird in Deutschland allerdings heftig über eine Novelle des Stammzellforschungsgesetzes debattiert. Neben der Forderung nach einer Verschärfung des Gesetzes stehen Vorschläge für eine einmalige Verschiebung oder für eine gänzliche Aufhebung des Stichtags.
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Diskussionsstand in der Bioethikkommission
Die Bioethikkommission beim Bundeskanzleramt hat sich in den zurückliegenden Funktionsperioden nur anlassbezogen mit der Stammzellforschung, nicht aber mit ihrer allfälligen gesetzlichen Regelung befasst. Ihre im Mai 2002 veröffentlichte Stellungnahme, der eine mehrmonatige intensive Diskussion vorausging, hat sich zur Stammzellforschung im Kontext des 6. Rahmenprogramms der Europäischen Union zur Forschungsförderung für die Jahre 2002 bis 2006 geäußert.

Während aber acht der damals neunzehn Kommissionsmitglieder jegliche Forschung an embryonalen Stammzellen kategorisch abgelehnt haben, weil sie deren Gewinnung für ethisch inakzeptabel hielten, befürwortete eine Mehrheit von elf Mitgliedern zumindest Forschungsarbeiten an bereits existierenden embryonalen Stammzelllinien, sofern eine Reihe von Auflagen eingehalten werde. Auch müsse für jedes Forschungsprojekt eine Einzelprüfung erfolgen.
->   Bioethikkommission zur Stammzellforschung (2002)
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Zustimmung zur Biopatentrichtlinie
Bemerkenswerterweise hat sich die Kommission im Jahr 2002 trotz divergierender Standpunkte zur embryonalen Stammzellforschung einstimmig für die nationale Umsetzung der Biopatentrichtlinie der EU ausgesprochen, obwohl diese gerade wegen der nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, im Rahmen einer technischen Lehre auch embryonales Gewebe - z.B. eben embryonale Stammzellen - zu patentieren, auch auf politischer Ebene europaweit umstritten ist.
->   Bioethikkommission zur Biotechnologie-Richtlinie (2002)
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Keine Diskussion seit 2002
Seither wurde die Diskussion in der Bioethikkommission nicht fortgeführt. Zwar hat die Bioethikkommission das Thema indirekt in ihrem Zwischenbericht zum reproduktiven Klonen vom Februar 2003 berührt. Das Dokument spricht sich für ein ausdrückliches gesetzliches Verbot des reproduktiven Klonens aus. Allerdings müsste nach der Empfehlung der Bioethikkommission "aus der Formulierung eindeutig hervorgehen, dass es sich bei dem Verbot um eine exemplarische Bestimmung handelt, die keinen Schluss auf die Bewertung des sog. therapeutischen Klonens erlaubt".

Die im Untertitel des Berichtes angekündigte "ausführliche Stellungnahme zur Anwendung des Klonens auf den Menschen, zum Embryonenschutz und zur Forschung an Embryonen, zur Präimplantationsdiagnostik sowie zu weiteren Fragen der Fortpflanzungsmedizin" liegt jedoch bis heute nicht vor. Insofern ist die Wiederaufnahme des Themas in der Bioethikkommission überfällig.

[16.1.08]
->   Bioethikkommission zum reproduktiven Klonen
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Fachtagung im Justizpalast
Die Bioethikkommission und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin veranstalten am 17. und 18. Jänner 2008 eine internationale Fachtagung zum Stand der Debatte.
Ort: Festsaal des Obersten Gerichtshofs im Justizpalast, Schmerlingplatz 10-12, 2. Obergeschoss, 1010 Wien.
->   Mehr zur Fachtagung
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