Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Überzählige Embryonen - was tun?
Zur ethischen Debatte über "Verwerfung" und Nutzung von Embryonen
 
  Gegenwärtig konzentriert sich die bioethische und biopolitische Diskussion auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Aber auch die Adoption von "überzähligen" Embryonen wird neuerdings erwogen. Was fehlt, sind überzeugende Ansätze einer umfassenden Ethik der Forschung.  
Zur bioethischen Diskussion in Deutschland
Seit Monaten wird in Deutschland eine intensive bioethische Debatte geführt. Die "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und die ZEIT gehören zur bioethischen Pflichtlektüre. Namhafte Politiker, vom deutschen Bundespräsidenten abwärts, haben sich bereits mit gewichtigen Beiträgen zu Wort gemeldet, und auch der Bundestag hat eine große Debatte zu den Fragen der Biomedizin geführt.
Hauptthema ist momentan die Frage, ob embryonale Stammzellen zu Forschungszwecken nach Deutschland importiert werden dürfen. Gesetzlich ist dies erlaubt. Über die ethische Zulässigkeit wird aber heftig gestritten. Der von Bundeskanzler eingesetzte nationale Ethikrat soll bis zum Herbst eine Empfehlung geben.
Vorreiter Nordrhein-Westfalen
Konkret hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) über den vorliegenden Antrag der international angesehenen Neurowissenschaftler Oliver Brüstle und Othmar Wiestler von der Universität Bonn zu etnscheiden. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Clement hat den Forschern seine Unterstützung zugesagt und eine Vereinbarung mit der Universität Haifa angebahnt, die über embryonale Stammzellinien verfügt.

Clement möchte, ebenso wie Bundeskanzler Schröder, den Forschungsstandort Deutschland sichern und vermeiden, daß die deutsche Forschung wissenschaftlich und ökonomisch in Abhängigkeit von ausländischen Forschungszentren und Biotechnologiefirmen gerät.
Brüstle und Wiestler arbeiten auf dem Gebiet der Neurochirurgie. Ihr Ziel ist es, mit Hilfe embryonaler Stammzellen neues Nervengewebe zu züchten, um damit Erkrankungen wie Multiple Sklerose oder Parkinson zu behandeln. Ihre Hoffnungen stützen sich auf erfolgreiche Versuche an Mäusen. Bis zur Entwicklung einer am Menschen anwendbaren Therapie ist es freilich noch ein weiter und ungewisser Weg.
Die Haltung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Der internationale Wettlauf auf dem Feld der Stammzellforschung hat inzwischen sogar die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) zu einer spektakulären Kurskorrektur veranlaßt. Lange Zeit hatte die DFG die ethisch unbedenkliche Forschung mit adulten Stammzellen favorisiert und die Forschung an embryonalen Stammzellen abgelehnt. Am 3. Mai veröffentlichte die DFG jedoch eine neue Stellungnahme zur Forschung mit menschlichen Stammzellen, in der die Forschung auch an Stammzellen von überzähligen Embryonen, die bei der In-Vitro-Fertilisation anfallen, grundsätzlich befürwortet wird.
...
Die aktuellen Empfehlungen der DFG
In ihrer Stellungnahme vom 3. Mai nimmt die DFG folgende Position ein:

1. Abgelehnt werden sowohl das reproduktive als auch das therapeutische Klonen.

2. Abgelehnt werden Keimbahninterventionen sowie das Herstellen von Chimären oder Hybriden.

3. Die Forschung auf dem Gebiet der embryonalen Stammzellen zum Zwecke neuer Heilverfahren habe inzwischen einen Stand erreicht, "der sowohl potentielle Patienten als auch Wissenschaftler in Deutschland in Zukunft nicht mehr von diesen Entwicklungen ausschließen sollte. Hinter dieser Feststellung liegt auch die Vermutung, daß sich möglicherweise das wahre Potential adulter Stammzellen am Ende nur durch einen Vergleich mit Zellen am anderen Ende des entwicklungsbiologischen Potentialspektrums, also mit pluripotenten Stammzellen, wird zeigen lassen."

4. Verboten bleiben soll die Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken, nicht aber die Verwendung von Embryonen, die zum Zweck der Fortplanzung erzeugt wurden, aber aus irgend einem Grund nicht implantiert werden. Die DFG spricht sich dafür aus, den bislang legalen Import solcher Stammzellen nicht zu verbieten und künftigt die Züchtung solcher Stammzellinien auch in Deutschland zu erlauben, um die kommerzielle Unabhängigkeit der deutschen Forschung zu gewährleisten.
->   Empfehlungen der DFG zur Forschung mit menschlichen Stammzellen vom 3. Mai 2001
...
Stammzellforscher unter Druck
In den letzten Tagen sind die deutschen Stammmzellforscher freilich unter starken medialen und politischen Druck geraten. Namentlich Oliver Brüstle werden kommerzielle Eigeninteressen unterstellt, nachdem bekannt wurde, daß er bereits im Dezember 1998 einen Patentantrag beim Europäischen Patentamt in München eingereicht hat, mit dem er sich die kommerziellen Rechte an seinen geplanten Forschungen mit menschlichen embryonalen Stammzellen sichern will.
In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Juni 2001 von Christian Schwägerl wird Brüstle außerdem vorgeworfen, an der Abfassung der neuen DFG-Richtlinie maßgeblich beteiligt gewesen zu sein und sie zu seinen Gunsten beeinflußt zu haben. So sei es ihm zuzuschreiben, daß die Chancen der Forschung an adulten Stammzellen schlechter bewertet würden als noch in der DFG-Empfehlung von 1999.
Wissenschaftliche Konkurrenz
Die DFG hat inzwischen jedoch für Brüstle eine Ehrenerklärung abgegeben. Seither steht die FAZ selbst in der Schußlinie, beruft sie sich doch auf Forscher, denen man ebenso wie Brüstle kommerzielle Interessen nachsagen könnte (vgl. DIE ZEIT Nr. 27, 28.6.2001, S.24).

Die ökonomischen Aspekte der Stammzellforschung dürfen in der bioethischen Debatte keinesfalls unterschlagen werden. Sie bedürfen, wie die Diskussion um die europäische Biopatentrichtlinie zeigt, einer sorgfältigen Abwägung, sprechen aber nicht schon als solche gegen den biomedizinischen Fortschritt. Diffamierungen sind jedenfalls in einer ethischen Debatte kein akzeptables Mittel.

Forscher wie der Embryologe Hans-Werner Denker von der Universität Essen machen indes daraus keinen Hehl, daß sie die Forschung an embryonalen Stammzellen aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen, weil derzeit nicht auszuschließen sei, daß es sich um totipotente Zellen handeln könnte, die sich wie der Embryo, von dem sie stammen, zu einem vollständigen Menschen entwickeln könnten.
Neuer Zündstoff
Derweil hat Professor Stefan Rose-John von der Universität Kiel eine neue Runde im Streit um die Stammzellforschung mit seiner Ankündigung eingeläutet, auch er wolle mit embryonalen Stammzellen arbeiten und dazu Zellinien aus Australien importieren (vgl. FAZ vom 28.6.2001), hat aber aufgrund des öffentlichen Drucks sein Vorhaben zunächst zurückgestellt. Die zuständige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein verweist auf das Grundrecht der Freiheit von Forschung und Lehre und hat angekündigt, daß sich ihr Kabinett nach der Sommerpause mit der neuen Entwicklung befassen werde.

Es ist damit zu rechnen, daß auch andere deutsche Forscher an der Vorbereitung vergleichbarer Projekte arbeiten. Daß nach Deutschland längst embryonale Stammzellen eingeführt worden seien, behauptet jedenfalls der SPIEGEL in seiner neuesten Ausgabe.
Zur Diskussion in Österreich
Während in Deutschland die Debatte zur Embryonenforschung an Intensität zunimmt, kommt sie in Österreich nur schleppend in Gang. Das hat verschiedene Ursachen, die keineswegs nur, wie manche Beobachter meinen, in der österreichischen Mentalität und mangelnder Konfliktbereitschaft zu suchen sind.
Zum einen fehlt es in Österreich an vergleichbaren Printmedien. In keiner österreichischen Tageszeitung und keinem Wochenmagazin können derart ausführliche Beiträge wie im Feuilleton der FAZ oder in der ZEIT veröffentlicht werden. Platzmangel führt außerdem manchmal zu Vergröberungen und Verkürzungen der Argumente.
Zum anderen fehlt in Österreich bislang der konkrete Handlungsdruck. Zwar treten auch in Österreich Befürworter auf, die sich für die Forschung an embryonalen Stammzellen einsetzen. Konkrete Forschungsanträge liegen offensichtlich jedoch nicht vor. Zumindest ist darüber offiziell nichts bekannt.

Anscheinend spielt Österreich auf diesem Feld der Forschung derzeit keine führende Rolle. Noch hat jedenfalls kein Forscher ein entsprechendes Projekt mit humanen embryonalen Stammzellen angekündigt. Die bisherige österreichische Diskussionen über Embryonenforschung war darum nicht mehr als eine nützliche Seminarübung.

Von daher erklärt sich auch die Zurückhaltung, mit der sich die österreichische Politik bislang dem Thema gewidmet hat. Möglicherweise führen aber das Tempo der Entwicklung in Deutschland und der internationale Konkurrenzdruck auch hierzulande schon bald zum Ende der Gemütlichkeit.
Leben in vitro
Es ist hoch an der Zeit, sich mit den Grundsatzfragen zu befassen, welche durch die Erzeugung von menschlichem Leben im Reagenzglas aufgeworfen werden. Die Grundfrage lautet zunächst: Ist es überhaupt zulässig, menschliches Leben in vitro zu erzeugen?

Wird diese Frage im Prinzip positiv beantwortet, muß näherhin gefragt werden: Zu welchem Zweck wird menschliches Leben in vitro erzeugt? Und was soll mit ihm geschehen, wenn es diesem Zweck nicht zugeführt werden kann?
In-Vitro-Fertilisation zu Fortpflanzungszwecken
Ethisch und politisch herrscht international breite Übereinstimmung, daß menschliches Leben im Reagenzglas nur zu Fortpflanzungszwecken erzeugt werden darf. Die Erzeugung von Embryonen zu Forschungszwecken wird z.B. durch Artikel 18 der Europäischen Menschenrechtskonvention zur Biomedizin (Bioethikkonvention) ausdrücklich untersagt.
Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz regelt, daß niemals mehr Embryonen erzeugt werden sollen, als für einen konkreten Versuch der medizinisch unterstützten Fortpflanzung erforderlich sind. De facto fallen aber Embryonen an, die aus bestimmten Gründen nicht implantiert werden. Was soll mit ihnen geschehen?
Vermeidung "überzähliger" Embryonen
Ein Vorschlag lautet, die von den Reproduktionsmedizinern angwendeten Techniken sollten dem Wortlaut des Gesetzes besser angepaßt werden, so daß das Problem "überzähliger" Embryonen gar nicht erst entsteht.

Manche Kritiker der bisherigen Praxis setzen ihre Hoffnung auf die Möglichkeit, demnächst nicht nur Samen-, sondern auch Eizellen getrennt einfrieren und lagern zu können, so daß sich künftig eine Herstellung von Embryonen auf Vorrat erübrigen würde.

Wie aussichtsreich diese Lösung ist, müßte von Reproduktionsmedizinern beantwortet werden, wobei auch die Vor- und Nachteile der verschiedenen Methoden für die betroffenen Frauen zu bedenken sind.

Ethisch wäre es jedenfalls nicht akzeptabel, wenn eine Methode, die das Problem überzähliger Embryonen vermeidbar machte, nur deshalb nicht zum Einsatz käme, weil man auf legale Weise an Embryonen als Rohstoff der Biomedizin kommen möchte.
Aufbewahrung und "Verwerfung" von Embryonen
Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz enthält die Bestimmung, daß überzählige Embryonen für ein Jahr aufzubewahren sind. Können sie bis dahin nicht ihrer ursprünglichen Bestimmung, nämlich der Fortpflanzung, zugeführt werden, sind sie zu vernichten. Dagegen erheben sich ethische Bedenken, weil es sich um die Tötung menschlichen Lebens handelt.

Schon deshalb spricht einiges dafür, die Aufbewahrungsfrist für Embryonen zu verlängern, so daß sie im Fall der Erkrankung der Mutter zu einem späteren Zeitpunkt doch noch implantiert werden können. Eine entsprechende Gesetzesinitiative liegt bereits vor.
Die in der gegenwärtigen Diskussion vorgebrachten Einwände gegen die Vernichtung "überzähliger" Embryonen sind allerdings teilweise recht durchsichtig. Die These, es sei moralisch besser, überzählige Embryonen anderweitig zu nutzen, statt sie einfach zu vernichten, ist ethisch fragwürdig, solange nicht der ontologische und moralische Status von Embryonen als solcher diskutiert wird.

Schließlich lassen sich auch Humanexperimente an Sterbenden nicht damit rechtfertigen, daß es doch allemal besser wäre, an ihnen noch ein wenig zu forschen, statt sie einfach "nutzlos" sterben zu lassen.
"Adoption" von Embryonen?
Neuerdings wird auch die Möglichkeit der Adoption von Embryonen in die Diskussion gebracht. Vordergründig betrachtet scheint dies die beste Lösung des Problems zu sein. Doch bei genauerem Hinsehen erweist sich der Vorschlag als problematisch.

Zunächst einmal wäre zu klären, inwieweit das Adoptionsrecht tatsächlich auf Embryonen anwendbar ist. Embryonen lassen sich nicht einfach mit geborenen Menschen gleichsetzen. Das zeigt die ganze Debatte über den Status von Embryonen, bei denen zudem noch die Mehrlingsbildung nicht ausgeschlossen ist.
Ferner hätte die Anwendung des Adoptionsrechts auf überzählige Embryonen erhebliche familienrechtliche Konsequenzen. Es würden die bisherigen Restriktionen des österreichischen Embryonenschutzgesetzes massiv in Frage gestellt. Ob die Gesellschaft und der Gesetzgeber gut beraten wären, dies in Kauf zu nehmen, sollte sorgfältig diskutiert werden.
Leihmutterschaft und Eispende
Die ins Spiel gebrachte Möglichkeit der Adoption von Embryonen weicht die Grenze zur Leihmutterschaft auf, die im österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz ebenso verboten ist wie die Eispende.
Würde die Adoption überzähliger Embryonen erlaubt, wäre kaum zu begründen, weshalb die Eispende weiterhin verboten bleiben sollte. Im Ergebnis würde der Gesetzgeber den bisherigen Schutz von Ehe und Familie stark aushöhlen. Dieser Aspekt ist in der öffentlichen Debatte bislang kaum bedacht worden.
Unbedingtes Lebensrecht von Embryonen?
Die ganze Diskussion krankt auch daran, daß de facto nicht von einem unbedingten Lebensrecht von Embryonen ausgegangen werden kann. Das Recht auf Leben (Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention) ist nach österreichischer Auslegung auf Embryonen nicht ohne weiteres anwendbar. Der Embryonenschutz ist letztlich nur durch einfache Gesetzgebung wie das Fortpflanzungsmedizingesetz geregelt.
Daß Embryonen in vitro kein unbedingtes Lebensrecht haben, wird schon daraus ersichtlich, daß die biologischen Mütter gesetzlich nicht zur Austragung sämtlicher von ihnen stammenden Embryonen gezwungen werden können.

Insofern hinkt nun aber auch der Vergleich mit dem Adoptionsrecht. Geborene Kinder stehen unter dem umfassenden Schutz des Staates. D.h. sie müssen entweder von ihren Eltern aufgezogen werden oder aber von der Mutter zur Adoption freigegeben werden. Keinesfalls dürfen sie getötet werden.
Kein Befürworter der Adoptionslösung für Embryonen wird aber wohl so weit gehen wollen, eine Pflicht aufzustellen, überzählige Embryonen zur Adoption freizugeben. Was aber soll mit überzählen Embryonen geschehen, wenn die biologischen Eltern eine Adoption ablehnen? In diesem Fall stellt sich eben doch wieder die Frage, ob man diese Embryonen "verwerfen" oder aber zu Forschungszwecken nutzen soll.
Verbrauchende Embryonenforschung und Forschungsethik
Eine seriöse Diskussion über Embryonen in vitro wird um die Frage der verbrauchenden Embryonenforschung nicht herumkommen. Sie läßt sich jedoch nicht pauschal beantworten, sondern bedarf einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall.

Vor allem muß eine neue Forschungethik erarbeitet werden, die über die Kriterien einer ethischen Güterabwägung Rechenschaft gibt und der Anforderung genügt, daß die intendierten Forschungsziele nicht in die Begründung der ethischen Prinzipien eingehen. Dies ist gegenwärtig ein großes Desiderat der ethischen Theoriebildung.
Ohne der Ansicht zu sein, daß ethisch vertretbare Forschungsziele jedes erdenkliche Mittel rechtfertigen, plädiere ich für eine differenzierte Diskussion. M.E. besteht unter gewissen Voraussetzungen eine Analogie zwischen einem abgetriebenen Fötus, dessen Gewebe in der Forschung schon derzeit verwendet werden darf, und einem "überzähligen" und zur Verwerfung bestimmten Embryo.
Sofern ein Embryo also nicht zu Forschungs-, sondern zu Fortpflanzungswecken erzeugt worden ist, erscheint eine Güterabwägung zwischen seiner Vernichtung und seiner Verwertung dann als ethisch zulässig, wenn die verfolgten Forschungszwecke ihrerseits ethisch vertretbar sind. Bei der Gewinnung von Stammzellen zu therapeutischen Zwecken bzw. zu Zwecken der Grundlagenforschung, die für neue Therapien unabdingbare Voraussetzung ist, scheint dies zuzutreffen.

Kritiker sollten bedenken, daß zu einer Ethik des Lebens auch eine Ethik des Heilens gehört.
Abwägen von Alternativen
Das Gesagte ist keineswegs als Plädoyer für eine übereilte und generelle Freigabe der verbrauchenden Embryonenforschung zu verstehen. Die Forschungsanstrengungen wie auch die bioethische Diskussion sollten keinesfalls auf die ethisch umstrittene Verwendung embryonaler Stammzellen eingeengt werden. Vielmehr sollten zunächst alle Möglichkeiten von ethisch unbedenklicheren Alternativen, d.h. die Forschung mit fetalen und mit adulten Stammzellen vorangetrieben werden.

Zu klären ist auch die derzeit strittige Frage, ob es sich bei embyronalen Stammzellen tatsächlich nur um pluripotente oder aber doch noch um totipotente Zellen handelt, die sich wie der Embryo, dem sie entnommen wurden, noch immer zu einem vollständigen Menschen entwickeln könnten.

Hierfür gibt es einige Indizien aus der Forschung an Embryonen von Weißbüscheläffchen, denen der Embryologe Hans-Werner Denker in neuen Experimenten auf den Grund gehen möchte. Die Argumentation der DFG aber stützt sich stark darauf, daß Totipotenz für embryonale Stammzellen auszuschließen sei.

Im Sinne der Beweislastumkehr ist darum nicht das Verbot, sondern die Zulassung der Forschung an embryonalem Gewebe in besonderer Weise begründungsbedürftig. Diesen Beweis sind die Befürworter solcher Forschung zumindest in Österreich bislang schuldig geblieben.
Geregelte Verfahren
Keinesfalls wäre die generelle Freigabe der Forschung mit embryonalen Stammzellen ethisch vertretbar. Vielmehr müßte ein geregeltes Verfahren gefunden werden zur Begutachtung und Einzelbewilligung von Forschungsvorhaben durch eine eigens einzurichtende nationale Ethikkommission. Außerdem wäre ein entsprechendes Monitoring vorzusehen.
Offene Diskussion
Die bioethische Diskussion ist in Österreich allerdings noch längst nicht so weit gediehen, daß schon entsprechende Entscheidungen qualifiziert getroffen werden könnten. Sie steht vielmehr noch ganz am Anfang.
->   Ulrich Körtner: Stammzellenforschung - Plädoyer für eine seriöse Debatte
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick