Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Medizin und Gesundheit 
 
Präimplantationsdiagnostik - Hilfe für Betroffene oder neue Eugenik? (Teil 1)
Mithilfe der PID kann das Risiko von Erbkrankheiten gemindert werden. Das Verfahren ist aber ethisch umstritten.
 
  Die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei welcher in vitro fertilisierte Embryonen auf mögliche Chromosomen- oder Gendefekt untersucht werden, bevor man sie in die Gebärmutter implantiert, ist in vielen europäischen Ländern bereits zugelassen, in Östereich aber nach wie vor verboten. Was sind die ethischen Argumente der Befürworter und der Kritiker? Im ersten Teil geht es um die ethischen Bedenken.  
Pränatale Diagnostik
Vorgeburtliche Untersuchungen (pränatale Diagnostik) sind heute gängige medizinische Praxis. Es gibt unterschiedliche Methoden, um Föten bereits während der Schwangerschaft auf mögliche Erkrankungen und Schädigungen zu untersuchen. Die Feststellung eines Defektes führt häufig zu der Frage, ob die Schwangerschaft fortgesetzt werden soll oder nicht. Schwerwiegend ist dieser Konflikt im Fall von Erbkrankheiten, die bereits in einer Familie bekannt sind. Hier stellt sich die Grundsatzfrage, ob betroffene Paare überhaupt eine Schwan-gerschaft eingehen oder freiwillig auf Kinder verzichten sollen.
Was ist PID?
Als Alternative zu einer Spätabtreibung wie auch zur freiwilligen Kinderlosigkeit bei sogenannten Risikogruppen wird heute die Präimplantationsdiagnostik - im Englischen genauer "preimplantation genetic diagnosis (PGD)" genannt - erwogen. Hierbei werden Embryonen im Reagenzglas erzeugt und vor der Implantation in die Gebärmutter auf mögliche Erbkrankheiten (Chromosomen- oder Gendefekte) untersucht. Diese Methode ist in den meisten europäischen Ländern bereits erlaubt, in Österreich jedoch nach wie vor verboten.
PID - Pro und contra
Befürworter der Präimplantationsdiagnostik sehen in ihr eine ethisch vertretbare Alternative zum embryopathisch begründeten Schwangerschaftsabbruch. Untersuchungen zeigen, daß die Präimplantationsdiagnostik häufig von Personen gewünscht wird, die zu einer Risiko-gruppe gehören, aus religiösen Gründen eine Schwangerschaftsabbruch ablehnen und somit nur die Alternative der Kinderlosigkeit sehen.
Kritiker lehnen die Präimplantationsdiagnostik als Methode der eugenischen Selektion ab, die zudem Türen öffnet, nicht nur nach schweren Erbkrankheiten, sondern auch nach genetischen Dispositionen zu forschen und den "Menschen nach Maß" zu züchten.
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Genetische Untersuchungen von Eizellen
Von der Untersuchung befruchteter Embryonen ist die getrennte genetische Untersuchung der Keimzellen vor der Befruchtung zu unterscheiden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist diese Untersuchungsmethode ethisch durchaus vertretbar, da hierbei keine Embryonen selektiert werden. Allerdings lassen sich auf diese Weise nur Eizellen untersuchen (Polkörper-Analyse), nicht aber Spermazellen, weil diese hierbei zerstört würden.

Die prädiktive Untersuchung von Eizellen ist ethisch dann vertretbar, wenn es darum geht, die Übertragung einer Erbkrankheit zu verhindern, nicht jedoch, wenn sie dazu dienen sollte, andere Eigenschaften und Dispositionen zu selektieren, d.h. der Idee der Menschenzüchtung Vorschub leisten sollte.
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Argumente gegen die PID
Was die Präimplantationsdiagnostik betrifft, so spricht gegen ihre Zulassung, daß sie zur Durchbrechung des in Österreich oder auch in Deutschland gesetzlich verankerten Embryonenschutzes führt, und zwar schon allein deshalb, weil zum Zweck der Genanalyse totipotente Zellen verbraucht werden müssen, die alle geeignet sind, zu einem vollständigen Individuum heranzu-wachsen.
In diesem Fall wird also ein Embryo zu einem nicht seiner eigenen Erhaltung dienenden Zweck untersucht, was erst ab dem 8-Zellen-Stadium zulässig wäre, von dem an die zu untersuchenden Zellen nicht mehr totipotent sind. Außerdem dient die Genanalyse bei der PID in keinem Fall therapeutischen Zwecken, sondern ausschließlich dem Zweck der Selektion.
Hier wird nicht nur, wie in anderen Fällen von prädiktiver Genanalyse eine Diagnose gestellt, ohne daß eine Therapiemöglichkeit bestünde. Sondern im Fall der PID geschieht dies mit der erklärten Absicht, den Embryo bei Vorliegen eines Chromosomen- oder eines Gendefektes zu vernichten.Damit müssen sich nicht automatisch eugenische Ziele des Staates verbinden, jedoch sind solche nicht auszuschließen.
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PID und Bioethik-Konvention
Wir werfen an dieser Stelle einen Blick auf die Menschen-rechtskonvention des Europarates zur Biomedizin (MRB). Zwar untersagt Art. 14 der MRB die Geschlechtswahl bei der In-Vitro-Fertilisation. Jedoch ist zu fragen, ob der Art. 12 genügend Schutz gegen den eugenischen Mißbrauch der PID bietet, welcher diese Untersuchungsmethode gar nicht ausdrücklich benennt, sondern recht pauschal von "Untersuchungen, die genetisch bedingte Krankheiten vorhersagen können", spricht, und vage erklärt, diese "dürfen nur für Gesundheitszwecke oder für gesundheitsbezogene wissenschaftliche Forschung und unter der Voraussetzung einer angemessenen genetischen Beratung vorgenommen werden."
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Mensch nach Maß?
Auch wenn die PID nicht im Rahmen öffentlicher Screening-Programme eingesetzt werden sollte, ist doch zu befürchten, daß ihre Anwendung der Vorstellung eines "Menschen nach Maß" in der Gesellschaft Vorschub leistet und zu tiefgreifenden Veränderungen in der Einstellung gegenüber Krankheit und Leiden wie konkret gegenüber Behinderten und ihren Angehörigen führt. Daher muß die Frage aufgeworfen werden, ob PID lediglich eine vorverlegte Pränataldiagnostik ist oder ob sie nicht eine andere Handlungsqualität aufweist, insofern sie nämlich ausschließlich die Selektion menschlichen Lebens zum Ziel hat.
"Eugenik von unten"
In diesem Zusammenhang gilt es, die heute gängige Praxis der vorgeburtlichen Diagnostik (pränatale Diagnostik) und die durch sie in der Gesellschaft bewirkten Veränderungen in der Einstellung gegenüber Behinderungen und behinderten Menschen sorgfältig zu untersuchen und kritisch zu überdenken. Zu kritisieren sind jedenfalls alle Tendenzen einer "Eugenik von unten".
Eugenischer Motive bei der PID ließen sich nur dann ausschließen, wenn es irgendwann die Möglichkeit gentherapeutischer Eingriffe an Keimbahnzellen gäbe. Nun sind derartige Eingriffe bislang in Österreich strikt untersagt, wobei das Verbot vor allem mit dem unkalkulierbaren Risiko solcher Veränderungen für das Individuum wie für seine Nachkommen be-gründet wird.
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Gesetzliches Verbot der Keimbahntehrapie
In Österreich besteht jedenfalls nach § 9 Abs. 2 des Fortpflanzungsmedizingesetzes (FMedG) sowie nach § 64 des Gentechnikgesetzes (GTG) ein klares Verbot der sogenannten Keimbahntherapie, das aus grundsätzlichen Erwägungen keinesfalls zur Disposition gestellt werden sollte. Denn abgesehen von den unabsehbaren Risiken wäre die Grenze zwischen Therapie und Menschenzüchtung kaum mehr zu ziehen.
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Neue Runde in der Diskussion um Keimbahntherapie
Gegenüber dem knappen und klaren Wortlaut der österreichischen gesetzlichen Bestimmungen fällt die gewundene Formulierung auf, mit welcher Art. 13 der MRB Eingriffe in die menschliche Keimbahn untersagt. Dort heißt es: "Ein Eingriff, der auf die Veränderung des menschlichen Genoms gerichtet ist, darf nur zu präventiven, diagnostischen oder therapeuti-schen Zwecken und nur dann vorgenommen werden, wenn er nicht darauf abzielt, eine Ver-änderung des Genoms von Nachkommen herbeizuführen."
Eine präimplantative Gentherapie an Embryonen scheint durch diese Formulierung nicht grundsätzlich ausgeschlossen zu sein. Denn man könnte ja argumentieren, daß die Behebung eines Gendefektes bei ganz bestimmten monogenetischen Krankheiten ausschließlich zu therapeutischem Zwecke geschehe, weshalb die Veränderung des Genoms von Nachkommen nicht intendiert, sondern eine in Kauf genommene Nebenfolge sei.
Es liegt jedenfalls auf der Hand, daß die Einführung der PID eine neue Runde in der Diskussion über die Chancen und Risiken, die moralische Verwerflichkeit oder partielle Zulässigkeit der Keimbahntherapie eröffnen wird.
Ethische Probleme der In-vitro-Fertilisation
Die PID verschärft außerdem die ohnehin schon bestehenden ethischen Probleme der In-vitro-Fertilisation. Diese bestehen vor allem darin, daß bei der extrakorporalen Befruchtung vorsorglich mehrere Embryonen befruchtet werden, so daß sich die Frage stellt, was mit den übrigbleibenden Embryonen geschehen soll.
Das österreichische FMEdG schreibt zwar vor, daß nicht mehr Embryonen gezeugt werden dürfen, als für den Versuch einer medizinisch assistierten Schwangerschaft unbedingt erfolrderlich sind. In der Praxis aber fallen sehr wohl "überzählige" Embryonen an, bei denen umstritten ist, was mit ihnen geschehen soll.
->   Ulrich Körtner, Überzählige Embryonen - was tun?
Die Haltung der Kirchen zur In-Vitro-Fertilisation
Das römisch-katholische Lehramt lehnt deren Anwendung generell ab. Evangelische Ethik sieht zwar auch das Problem der überzähligen Embryonen, hält aber die Methode der In-Vitro-Fertlilisation (IVF) dann für zulässig, wenn das Elternpaar verheiratet ist und sein Kinderwunsch auf natürlichem Wege nicht in Erfüllung geht (Evangelische Kirchen in Deutschland1985).
Veränderte Indikation für die IVF?
Wird die IVF in Verbindung mit der PID bei Personen angewandt, die als Überträger einer Erbkrankheit in Frage kommen, so wird die medizinische Indikation der IVF grundlegend verändert. Zweck ihrer Anwendung ist nun nicht die Behandlung von Unfruchtbarkeit, sondern der Ausschluß eines bestimmten Schwangerschaftsrisikos vor dem Schwangerschaftsbeginn. D.h. aber, daß damit nicht nur die PID, sondern auch die IVF dem Zweck der eugenischen Selektion dienstbar gemacht wird. Dagegen erheben sich schwere ethische Bedenken.
Nebenfolge der PID: zusätzliche "überzählige" Embryonen
Ethisch bedenklich ist auch, daß für die PID mehr Embryonen benötigt werden als bei der normalen IVF. Braucht man für die extrakorporale Befruchtung in der Regel drei befruchtete Eizellen, so sind es bei der PID mindestens neun bis zehn. Somit verschärft sich durch den Einsatz der PID das Problem "überzähliger" Embryonen.
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ORF-Symposium "Embryonenschutz"
Am 11. und 12. Oktober 2001 findet das ORF-Symposion "Embryonenschutz - Hemmschuh für die Biomedizin ?" im Radiokulturhaus in Wien statt. Veranstalter des Symposions sind die Wissenschaftsredaktion des ORF-Hörfunks und das Institut für Ethik und Recht in der Medizin der Universität Wien, Kooperationspartner die Österreichische Ärztekammer und das Zentrum für Medizinrecht.

Im Rahmen dieses Symposiums werden auch renommierte Befürworter und Kritiker der Primplantationsdiagnostik zu Wort kommen.
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->   Teil 2: Argumente für die Zulassung der PID.
 
 
 
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