Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Kirche - Demokratie - Öffentlichkeit
Zum Verhältnis von Protestantismus und moderner Demokratie
 
  Die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien veranstaltet im Wintersemester 2001/02 eine Ringvorlesung zum Verhältnis von Protestantismus und moderner Demokratie. Dabei geht es ebenso um die Aufarbeitung der Geschichte wie um Fragen der politischen Ethik.  
Synodaler Prozeß
Im April 2000 hat die Ev.-Theol. Fakultät der Universität Wien angeregt, im Bereich des österreichischen Protestantismus das Verhältnis von Kirche und Demokratie zu bearbeiten. Seitens der Evangelischen Kirchen in Österreich wurde die Anregung aufgegriffen und ein zweijähriger intensiver Synodaler Studienprozeß in Gemeinden, Bildungseinrichtungen und kirchlichen Gremien initiiert. An dessen Ende wird sich im Oktober 2002 das höchste kirchliche Gremium, die Generalsynode A.u.H.B., damit befassen und ein Wort dazu verabschieden.
Im Rahmen dieses Studien- und Diskussionsprozesses steht auch die Ringvorlesung der Evangelisch-Theologischen Fakultät in Verbindung mit der Evangelischen Akademie Wien zum Thema "Kirche - Demokratie - Öffentlichkeit", die im Wintersemester 2001/02 stattfindet und am 29. Oktober beginnt.
...
Ringvorlesung
30. Oktober 2001: Dr. h.c. Philip Potter:
Gerechtigkeit in einer globalisierten Welt
10.00 Uhr c.t., Großer Festsaal der Universität


6. November 2001: Prof. Dr. Eric Hultsch:
Wilhelm Dantine ¿ Ein österreichischer Protestant
19.00 Uhr c.t., Kleiner Festsaal der Universität


13. November 2001: em.o. Univ.-Prof. Dr. Erika Weinzierl:
Die Kirchen und die Demokratie in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg
19.00 Uhr c.t., Kleiner Festsaal der Universität


20. November 2001: Generalsekretär Dr. Ishmael Noko:
Human Rights in the Context of Globalization
19.00 Uhr c.t., Kleiner Festsaal der Universität


27. November 2001: o. Univ.-Prof. Dr. Ulrich Körtner:
Kirche, Demokratie und Zivilgesellschaft. Zur politischen Ethik im modernen Pluralismus
19.00 Uhr c.t., Kleiner Festsaal der Universität

Nähere Informationen:

Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien
Dekanat
Rooseveltplatz 10
1090 Wien
Tel. 01/4277-32002
->   Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Wien
...
Ehrenpromotion für Philip Potter und Ehrung für Wilhelm Dantine
Es trifft sich gut, daß mit Wilhelm Dantine (Professor für Systematische Theologie, 1963-1981) und Philip Potter (Generalsekretär des Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf, 1972-1984) seitens der Universität Wien zur gleichen Zeit zwei evangelische Theologen von internationalem Rang geehrt werden, die auch aufrechte Demokraten waren.

Am 29. Oktober um 16 Uhr wird für Wilhelm Dantine im Arkadenhof der Universität Wien eine Büste enthüllt. Die Ehrenpromotion Philip Potters findet am 30. Oktober um 10 Uhr im Großen Festsaal der Universität Wien statt.
Kirche und Demokratie in Österreich
Die politische Entwicklung in Österreich seit Bildung der ÖVP-FPÖ-Koalition und die durch sie ausgelösten innerkirchlichen Kontroversen sind nur der Anlaßfall, um eine längst überfällige Grundsatzdebatte über das Verhältnis von Kirche und Politik, Kirche und Demokratie zu führen. Die immer wieder bemühte Formel von der freien Kirche im freien Staat ist keine zureichende Antwort auf die Herausforderungen, vor denen Kirche und Politik heute in Österreich stehen.
Die neue Zivilgesellschaft
Die Dualität von Kirche und Staat ist durch die Pluralität einer Vielzahl von Institutionen und Interessenvertretungen abgelöst, zu denen z.B. die Parteien, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberverbände gehören. Darüber hinaus entsteht eine vielschichtige Zivilgesellschaft, die einen neuen und erweiterten Politikbegriff erforderlich macht.
"Zivilgesellschaft" - gelegentlich wird auch der Begriff der Bürgergesellschaft verwendet - ist die Übersetzung des englischen "civil society". In normativer Hinsicht meint der Begriff die freie, assoziative, öffentliche und politische Selbstorganisation und Selbstbestimmung der Mitglieder der Gesellschaft in Angelegenheiten, die alle betreffen.
Zivilgesellschaft und demokratischer Rechtsstaat
Die bisherige Diskussion über Begriff und Konzeptionen der Zivilgesellschaft zeigt allerdings, daß diese keine Alternative zu staatlichen oder rechtlichen Institutionen darstellt, sondern nur innerhalb einer politischen Verfassung und ihrer Institutionen ein sinnvolles Konzept sein kann.

Voraussetzung des politischen Pluralismus ist nicht ein Konsens aller Mitglieder des Gemeinwesens und seiner verschiedenen Organisationen und Institutionen über die inhaltlichen Ziele der Politik und moralische Werte, sondern die Anerkennung der politischen Ordnung und der Verfahrensregeln politischer Diskurse und Entscheidungsprozesse.
Grundwerte in der Demokratie
Umstritten ist freilich, inwiefern eine diskursethische Begründung des Politischen oder ein "Verfassungspatriotismus" (J. Habermas) für den Zusammenhalt der Gesellschaft ausreicht. Nach einer vielzitierten Formulierung E.-W. Böckenfördes lebt der "freiheitliche, säkularisierte" - und das heißt eben pluralistisch verfaßte - Staat "von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann".
Als freiheitlicher Staat kann er, wie Böckenförde ausführt, nur bestehen, "wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert", ohne diese Regulierungskräfte durch rechtliche Sanktionen erzwingen zu können.
Demokratie und Religion
Böckenförde deutet die Situation des modernen Staates freilich noch mittels des Säkularisierungsbegriffs und unterstellt eine Homogenität, die stillschweigend aus der mehrheitlichen Zugehörigkeit der Bürgerinnen und Bürger zum Christentum abgeleitet wird. Doch eben dies versteht sich in der multikulturellen und multireligiösen Situation heutiger Gesellschaften nicht mehr von selbst, wie z.B. die Diskussion in Deutschland um den Begriff einer Leitkultur oder die akute Furcht vor einem "clash of civilisations" (S. Huntington) zeigt.
Ob die pluralistische Demokratie oder auch das Konzept einer Zivilgesellschaft in jedem Fall auf irgendeine Form von Religion, d.h. eine Form der Zivilreligion angewiesen bleibt, ist aber umstritten.
Christentum im Pluralismus
Es fragt sich auch, welche Stellung das in sich plurale Christentum in dieser anderen Moderne und ihrer pluralistischen Gesellschaft einnimmt und einnehmen soll. Die Antworten hierauf fallen nicht nur zwischen den unterschiedlichen Konfessionen, sondern auch innerhalb derselben und ebenso innerhalb der verschiedenen theologischen Traditionen und Richtungen naturgemäß unterschiedlich aus.
Die öffentliche Rolle der Kirchen
In Österreich steht die Diskussion über die öffentliche Rolle der Kirchen in der Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Weiterentwicklung der Demokratie noch ganz am Beginn. Zu den spezifischen Aufgaben der österreichischen Kirchen gehört nach wie vor die selbstkritische Aufarbeitung der innerkirchlichen Geschehnisse in der Zeit der Ersten Republik, des Ständestaates und des Nationalsozialismus. Auch sie ist noch längst nicht abgeschlossen.
Die Ringvorlesung befaßt sich nicht nur mit den anstehenden Fragen einer politischen Ethik, sondern auch mit dem theologischen Verständnis von Kirche in einer pluralistischen Welt.
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.orf.at
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick