Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Wissen und Bildung 
 
Bioethik-Konvention: Die Zeit drängt!
Warum Österreich die Bioethik-Konvention unterzeichnen sollte
 
  Die Frage, ob Österreich der Bioethik-Konvention des Europarates beitreten sollte, steht am 9. Jänner auf der Tagesordnung der Bioethikkommission. Die Argumente für den Beitritt überwiegen die Gegenargumente bei weitem.  
Zankapfel Bioethik-Konvention
Eigentlich ist es verwunderlich, daß ausgerechnet ein völkerrechtliches Dokument zum Schutz der Menschenrechte auf dem Gebiet der Bioemdizin Gegenstand des politischen Streites ist. Tatsächlich stellt die Biomedizinkonvention des Europarates den ersten und bislang einzigen Versuch dar, ein verbindliches Regelwerk für Europa - nicht nur für die EU! - aufzustellen.
Daß die biomedizinische Entwicklung nicht mehr an den Landesgrenzen Halt macht und daß wir internationale MIndeststandards brauchen, die den Schutz der Menschenrechte von Patienten und die Interessen der Forschung sinnvoll ins Lot bringen, steht außer Streit. Umstritten sind aber einige Bestimmungen der Konvention, in denen Kritiker gerade eine Gefährdung der Menschenrechte sehen.
Embryonenschutz und fremdnützige Forschung
Vor allem zwei Punkte sorgen für Kontroversen: Zum einen die Bestimmung des Art. 18, welcher festlegt, daß für einen angemessenen Schutz von Embryonen zu sorgen ist, daß also z.B. keine Embryonen zu Forschungszwecken hergestellt werden dürfen, daß aber Forschung an "überzähligen" Embryonen, die bei der In-vitro-fertilisation anfallen, nicht generell verboten sein sollen.
Heikel ist ferner Art. 17 (2) der Konvention, welcher Regelungen für die fremdnützige Forschung an nichtzustimmungsfähigen Personen vorsieht. Derartige Forschungen sind in Österreich gesetzlich verboten. Daher wehren sich vor allem Behindertenverbände gegen die Ratifizierung der Konvention.
Annäherung der Standpunkte
Mit ihnen führt die Bioethikkommision des Bundeskanzlers intensive Gespräche. Der durch manche Medienberichte erzeugte Eindruck, hier werde heftig gestritten, ist aber völlig falsch. Davon, daß in der Sitzung der Bioethikkommission vom 9. Jänner ein offener Streit in die nächste Runde gehe, kann gar keine Rede sein. Vielmehr finden die Gespräche in einer äußerst vertrauensvollen und offenen Atmosphäre statt.
Unterschiedliche Sichtweisen sollen gar nicht bestritten werden. Die Gespräche der letzten Wochen und Tage haben aber in der Sache zahlreiche Übereinstimmungen zutage gefördert und deuten auf eine Annäherung der Standpunkte hin.
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Art. 17 (2) - Beseitigung ein Mißverständnisses
In der Öffentlichkeit herrscht offenbar nach wie vor das Mißverständnis, als werde derzeit über die konkrete Umsetzung des Art. 17 (2) in Österreich verhandelt. Das ist nicht der Fall und auch gar nicht notwendig.

Die Bioethik-Konvention ist lediglich ein Rahmenwerk, das in Österreich durch den Beitritt in Verfassungsrang treten könnte, ähnlich wie die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Ratifizierung hätte keine unmittelbaren rechtlichen Folgen. Sofern also fremdnützige Forschung in Österreich verboten bleibt, hat Art. 17 (2) gar keine praktischen Auswirkungen.

Die Frage eines möglichen Beitritts Österreichs zur Bioethik-Konvention kann also von der inhaltlichen Frage, ob fremdnützige Forschung in Österreich überhaupt je erlaubt werden soll, abgekoppelt werden. In genau diese Richtung votieren auch Befürworter einer Ratifizierung.
->   Bioethik-Konvention: Unterzeichnet Österreich?
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Argumente für den Beitritt: 1. Europaweiter Mindeststandard
Die Bioethik-Konvention führt europäische Mindeststandards herbei. Nur eine internationale rechtliche Regulierung kann verhindern, daß bedenkliche medizinische Methoden in Länder mit dem jeweils geringsten Schutzniveau ausgelagert werden. Konkret würde für Österreich die Gefahr kleiner, daß unser Land in jenen Bereichen, in denen das innerstaatliche Schutzniveau gering ausgeprägt ist - und solche gibt es! - zum Ausweichziel für internationale Forschungsvorhaben wird, die andernorts unzulässig sind.
2. Möglichkeiten der Weiterentwicklung
Der Beitritt Österreichs garantiert die Teilnahme an der Weiterentwicklung der Konvention. Diese erfolgt über Zusatzprotokolle. Derzeit befindet sich ein Zusatzprotokoll zur biomedizinischen Forschung in Arbeit, das auch für Österreich von großer Bedeutung ist.
3. Verbesserung des österreichischen Schutzniveaus
In einer ganzen Reihe von Punkten sieht die Bioethtik-Konvention einen strengeren Schutz der betroffenen Patienten und Probanden vor als die derzeit gültigen österreichischen Gesetze. Der Beitritt würde Österreich also durchaus zur Verbesserung des Rechtsschutzes nötigen. Umgekehrt zwingt die Konvention kein Land, ein über die Konvention hinausreichendes Schutzniveau abzusenken.
4. Verbesserung des Grundrechtsschutzes
Würde die Konvention, was unbedingt wünschenswert ist, im Verfassungsrang ratifiziert, hätte dies einen beträchtlichen Zuwachs an medizinspezifischen Grundrechten auf Verfassungsebene zur Folge. Das betrifft insbesondere den Embryonenschutz. Derzeit gibt es nach herrschender Rechtsprechung in Österreich keinen verfassungsrechtlichen Embryonenschutz.
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Embryonenschutz und biomedizinische Forschung
Das Fortpflanzungsmedizingesetz in seiner derzeitigen Fassung ist ein einfaches Gesetz. Die darin enthaltenden Verbote bieten keineswegs eine ausreichende Grundlage für den Embryonenschutz in der biomedizinischen Forschung.

Viele der jetzt heißt diskutierten Fragen von der Beforschung embryonaler Stammzellen bis zum therapeutischen Klonen werden durch dieses Gesetz nicht geregelt. Ein verantwortlicher Umgang mit den neuen biomedizinischen Entwicklungen setzt aber ethische und rechtliche Mindeststandards für den Embryonenschutz voraus.
->   Ulrich Körtner: Embryonenschutz und Biomedizin - eine Zwischenbilanz der bioethischen Debatte
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5. Mehr Transparenz und Rechtssicherheit im Medizinrecht
Ein Beitritt zur Bioethik-Konvention würde den österreichischen Gesetzgeber zwingen, in etlichen Bereichen des Medizinrechtes mehr Transparenz zu schaffen und präzisere Regelungen zu formulieren.
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Fremdnützige Forschung in der Grauzone
Gerade im Blick auf die fremdnützige Forschung ist dies unbedingt wünschenswert. Wer glaubt, daß aufgrund des gesetzlichen Verbotes tatsächlich keinerlei fremdnützige Forschung an nicht zustimmungsfähigen Personen oder an von ihnen stammendem biologischen Material stattfindet, kennt die Realitäten im Forschungsbetrieb nicht. Dieser bewegt sich in Wahrheit häufig in einer Grauzone. Man denke nur an die Entnahme von Blutproben bei bewußtlosen Patienten.

Der Widerstand gegen Art. 17 (2) der Bioethik-Konvention artikuliert ein berechtigtes Unbehagen, das man aber auch schon im Blick auf die tatsächlichen Realitäten im medizinischen Forschungsbetrieb haben muß. Das Problem der fremdnützigen Forschung bedarf in jedem Fall einer ehrlichen Diskussion, der man sich auch dann stellen muß, wenn man Vorbehalte gegen die Bioethik-Konvention äußert.
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Die Zeit drängt
Wie sehr die Zeit gerade in diesem Bereich drängt, zeigt die EU-Richtlinie zur medizinischen Forschung, die z.T. weit über die Bestimmungen des Art. 17 (2) der Bioethik-Konvention hinausreicht, von Österreich aber in jedem Fall als EU-Recht bindend umgesetzt werden muß - und zwar bis zum Jahr 2003!
Wer einseitig auf die Bioethik-Konvention starrt, die ein Dokument des Europarates ist, übersieht leicht die Dynamik der medizinrechtlichen Entwicklung innerhalb des EU-Rechts. Es könnte sich schon bald herausstellen, daß gerade die Bioethik-Konvention negative Entwicklungen auf dem Gebiet der medizinischen Forschung ein Stück weit eindämmen kann.
Die Zeit für eine Ratifizierung drängt aber auch deshalb, weil gesamteuropäisch die Forschung mit embryonalen Gewebe rasant vorangetrieben wird. Derzeit wird gerade die konkrete Ausfüllung des 6. Rahmenprogramms der EU zur Forschungsförderung beraten. Die Entscheidungen fallen schon in den nächsten Monaten.

Um für die weitere Entwicklung gerüstet zu sein, sind elementare Grundrechte und inhaltliche Maßstäbe des Embryonenschutzes auch für Österreich zu formulieren. Die Ratifizierung der Bioethik-Konvention ist dazu ein erster wichtiger Schritt.
->   Ulrich Körtner: Bioethik 2001 - ein Rückblick
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben .  Wissen und Bildung 
 

 
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