Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Was ist gute Theologie? (Teil 1)
Die Universitätsreform gibt Anlass zur Bestandsaufnahme
 
  Wieder einmal ist die Universität Objekt und Schauplatz von Reformen. Im Streit um das neue Universitätsgesetz, um Vollrechtsfähigkeit und Qualitätssteigerung drohen einfache Fragen aus dem Blickfeld zu geraten: Was eigentlich ist gute Wissenschaft? Auch in der Theologie wird derzeit eine Grundsatzdebatte geführt.  
Was ist gute Wissenschaft?
Effizienter sollen Österreichs Universitäten werden, international wettbewerbsfähig und besser als bisher auf die Bedürfnisse einer "Wissensgesellschaft" zugeschnitten (die offenbar mit einer Bildungsgesellschaft nicht zu verwechseln ist).

Der Leistungssteigerung soll die permanente Qualitätskontrolle durch Evaluation von Lehre und Forschung dienen, ebenso Leistungsverträge, die zwischen Universitäten und Staat geschlossen werden und nicht zuletzt die Vollrechtsfähigkeit, in die z.B. Österreichs Universitäten schon im nächsten Jahr entlassen werden.

In all den Diskussionen über Sinn und Unsinn des Reformeifers, über Fragebögen zur Evaluierung von Lehrveranstaltungen, über Schlüsselqualifikationen und Studiengebühren drohen einfache Fragen aus dem Blickfeld zu geraten, z.B. folgende: Was eigentlich ist gute Wissenschaft? Wer keine Vorstellung von dem hat, was gut ist, weiß auch nicht, in welche Richtung das Bestehende zu verbessern ist.
Erinnerung an Karl Barth
Auf die Theologie übertragen lautet die Frage: Was also ist gute Theologie? Karl Barth (1886-1968), einer der bedeutendsten evangelischen Theologen des 20. Jahrhunderts, hat diese Frage vor genau 40 Jahren in seiner Baseler Abschiedsvorlesung auf ebenso lapidare wie provokante Weise beantwortet: Gute Theologie sei ganz einfach evangelische Theologie.
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Buchhinweis:
Karl Barth, Einführung in die Evangelische Theologie, 4. Aufl. Zürich 1987
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Gute Theologie = evangelische Theologie?
Keineswegs wollte Barth kontroverstheologische Polemik betreiben, sondern im Gegenteil ein ökumenisches Kriterium guter Theologie benennen. So hat Barth zwischen evangelischer und protestantischer Theologie unterschieden.

Letztere, zumal in ihrer neu- oder kulturprotestantischen Variante, war häufig genug Gegenstand seiner theologischen Kritik und galt ihm gerade nicht als Inbegriff guter, sondern im Gegenteil schlechter Theologie.

"Nicht alle 'protestantische' ist evangelische Theologie. Und es gibt evangelische Theologie auch im römischen, auch im östlich-orthodoxen Raum, auch in den Bereichen der vielen späteren Variationen und auch wohl Entartungen des reformatorischen Neuansatzes", urteilte Barth.
Die Frage nach Gott
Vom Kriterium des Evangeliumsgemäßen wird auch der Gegenstand der Theologie bestimmt. In Abgrenzung vom Neuprotestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts insistierte Barth darauf, dass Theologie nicht etwa nur vom Menschen und seinem religiösen Bewusstsein, sondern von Gott handelt.

"Gott" ist freilich eine höchst mehrdeutige Vokabel. Daher ist Evangeliumsgemäßheit nach Barth das Kriterium dafür, dass dieses Wort in der richtigen Weise verwendet bzw. der wirkliche und einzig wahre Gott intendiert ist, nicht irgendwelche religiösen Phantasien oder beliebige Gottesbilder.
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Der ''Gott des Evangeliums''
Gegenstand guter Theologie ist nach Barth der "Gott des Evangeliums". Diese Wendung findet sich so nicht im Neuen Testament. Dort ist wohl von dem Evangelium Gottes die Rede, nicht aber vom Gott des Evangeliums. Dennoch spricht Barth vom Gott des Evangeliums, weil er so deutlich machen will, was für gute Theologie die einzige Quelle der Gotteserkenntnis ist. Alle Rede von Gott hat sich daran messen zu lassen, inwieweit sie der durch das Evangelium bezeugten Offenbarung Gottes in Jesus Christus entspricht.

Barth hat mit dieser Bestimmung den Kern eines evangelischen Verständnisses von guter Theologie getroffen. Gute Theologie ist evangeliumsgemäße Theologie deshalb, weil das Evangelium, wörtlich übersetzt, die gute Nachricht von der Menschenfreundlichkeit Gottes ist. Es ist die Güte Gottes, in der gute Theologie ihren Grund und ihr Maß hat.
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Kritik an der Wort-Gottes-Theologie
Dass Theologie von Gott handelt, mit dessen Existenz zu rechnen ist, ist eine Selbstbeschreibung der Theologie aus der Binnenperspektive christlichen Glaubens.

In Abkehr von der Wort-Gottes-Theologie des 20. Jahrhunderts ist heute die Forderung verbreitet, Theologie müsse sich von der Binnenperspektive christlicher Dogmatik und ihrer "Sondergruppensemantik" - so der evangelische Theologe Wilhelm Gräb (Berlin) - konsequent emanzipieren.
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Wiederkehr des Kulturprotestantismus
In radikaler Abkehr von den letzten Resten einer Theologie des Wortes Gottes beginnt sich ein neuer Kulturprotestantismus zu etablieren, der auf den Spuren der Schule Albrecht Ritschls (1822-1889) und von Ernst Troeltsch (1865-1923) wandelt. Teile der gegenwärtigen evangelischen Theologie versuchen an den Neuprotestantismus anzuknüpfen, der bis zum 1. Weltkrieg an den deutschsprachigen theologischen Fakultäten dominierte, bevor er von der Dialektischen Theologie zurückgedrängt wurde.

Wortführer dieser neuen Richtung waren Karl Barth, Rudolf Bultmann (1884-1976), Eduard Thurneysen (1888-1974), Fried-rich Gogarten (1887-1967), Georg Merz (1892-1959) und Emil Brunner (1889-1966).
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Christentum und Kultur
Seit einigen Jahren rückt in der deutschsprachigen evangelischen Theologie der Begriff der Kultur wieder in das Zentrum des Interesses. Manche Vertreter der jüngeren Theologengeneration versuchen die Theologie als eine Kulturtheorie, genauer gesagt als eine "religiöse Kulturhermeneutik" (Wilhelm Gräb) zu begründen. Gegenstand der Theologie wäre demnach das vielgestaltige Phänomen der Religion als Teil der Kultur.
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So begrüßenswert die Wiederaufnahme des Kulturthemas auch ist, so problematisch ist der damit verbundene theologiegeschichtliche Revisionismus, der sich entschieden gegen die Theologie Karl Barths und der Barth-Schule wendet. Religion, genauer gesagt die "gelebte Religion" wird zum altneuen Programmbegriff Systematischer und Praktischer Theologie erklärt.

Buchhinweis:
Wilhelm Gräb, Lebensentwürfe - Sinndeutungen. Eine Praktische Theologie gelebter Religion, 2. Aufl. Gütersloh 2000.
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Überwindung falscher Alternativen
Gegenüber dem neo-kulturprotestantischen Geschichtsrevisionismus ist allerdings Skepsis geboten. Allein schon die Namen Bultmann und Gogarten stehen dafür, dass zwischen den Leitbegriffen "Religion" und "Wort Gottes" bzw. zwischen einer Theologie der Offenbarung und dem Anliegen der älteren "liberalen Theologie" keine falschen theologischen Alternativen aufgestellt werden dürfen, die nur in neue - oder alte - Aporien führen.

Die durch Barth und Bultmann begründete Wort-Gottes-Theologie des 20. Jahrhunderts hat Einsichten zutage gefördert, welche Theologie und Kirche nur zu ihrem Schaden vergessen können.

Allerdings muss ihr Anliegen neu interpretiert und rekonstruiert werden, so dass es möglich wird, mit der Rede vom Wort Gottes einen Wahrheitsanspruch zu vertreten, der nicht in autoritäre Behauptungen umschlägt, sondern der Strittigkeit religiöser Erfahrung und ihrer unvermeidlichen Pluralität Rechnung trägt.
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Buchhinweis:
Ulrich H.J. Körtner, Theologie des Wortes Gottes. Probleme - Positionen - Perspektiven, Göttingen 2001
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