Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Was ist gute Theologie? (Teil 2)
Die Universitätsreform gibt Anlass zur Bestandsaufnahme
 
  Gegenstand und Aufgabe der Theologie sind Thema eine aktuellen Debatte. So versucht die evangelische Theologie, ihr Verhältnis zur Religionswissenschaft, zur Ethik und zu den Kulturwissenschaften neu zu bestimmen. Die Diskussion ist nicht nur universitätspolitisch von Bedeutung. Sie hat auch praktische Konsequenzen für das Theologiestudium.  
->   Ulrich Körtner: Was ist gute Theologie? (Teil 1)
Die Theologie und ihre Nachbarwissenschaften
Allerdings bleibt eine auf den binnenchristlichen Diskurs über Offenbarung und Wort Gottes fixierte Theologie steril, wenn sie sich nicht zu wissenschaftlichen Außenperspektiven auf Christentum und Religion in Beziehung setzen kann.

Darin besteht heute eine wichtige fundamentaltheologische Aufgabe, weil Theologie im Verband der übrigen Wissenschaften Rechenschaft über ihren Ort in der Universitas litterarum geben muss.

Das aber ist heute eine universitäts- und bildungspolitische Notwendigkeit, wird doch das Existenzrecht der Theologie an den Universitäten keineswegs mehr fraglos akzeptiert.

Zudem muss sich die Theologie gegenüber der Religionswissenschaft einerseits und den Kulturwissenschaften andererseits legitimieren, scheinen doch die klassischen Themen der Theologie immer mehr aus dieser selbst in die genannten Nachbarwissenschaften auszuwandern.
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Evangelische Theologie in Wien - die neuen Studienpläne
Der neue Studienplan der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien trägt diesen Erfordernissen Rechnung. Grundkenntnisse der Religionswissenschaft sowie Kenntnisse über mindestens eine lebende Fremdreligion gehören inzwischen zum Pflichtprogramm des Theologiestudiums. An der Evangelisch-Theologischen Fakultät wurde daher eigens eine neue Professur für Religionswissenschaft eingerichtet. Außerdem wurde einer der beiden systematisch-theologischen Lehrstühle mit dem Schwerpunkt "Theologie der Religionen" versehen.
->   Studienpläne Evangelische Theologie (Homepage Evang.-Theologische Fakultät Wien)
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Ethische Theologie?
Die Theologie betreibt freilich ihre eigene Auflösung, wenn sie sich nur noch über einen umfassenden Begriff der Ethik - verstanden als eine die Dimension des Ästhetischen einschließende Theorie der Lebensführung - oder religions- bzw. kulturwissenschaftlich zu legitimieren versucht.
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Trügerischer Ethikboom
Der gegenwärtige Ethikboom ist auch insofern trügerisch, als er leicht über die aporetische Grundsituation einer "Ethik des Allgemein-Menschlichen" (Gräb) in der pluralistischen Gesellschaft von heute hinwegtäuscht. Die Rolle der Ethik im öffentlichen Diskurs ist ja durchaus unklar und problematisch.
->   Ulrich Körtner, Wissenschaft und Öffentlichkeit
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Evidenz des Ethischen?
Für das bisweilen naive Vertrauen auf die Selbstevidenz des Guten bedarf es nicht unbedingt der Religion. Dem Vorwurf, theologische Ethik verhalte sich gegenüber einer allgemeingültigen Ethik aufgrund unausgewiesener Geltungsansprüche destruktiv (Bernhard H.F. Taureck), versucht die kulturprotestantische Position durch die Absage an jede Form einer religiösen Gebotsethik zu entgehen.

Der philosophische Gegeneinwand, eine von allen Anstößigkeiten gereinigte theologische Ethik sei letztlich redundant und somit überflüssig, ist freilich nicht so leicht zu entkräften.
Wissenschaft vom Christentum
Von außen betrachtet ist Theologie die praxisorientierte und normative Wissenschaft vom Christentum. Praxisorientiert ist sie, insofern es sich um die akademische Berufsvorbildung für Tätigkeiten innerhalb oder im Auftrag der Kirche handelt (Pfarrerinnen und Pfarrer, Religionslehrerinnen und Religionslehrer).

Normativ ist sie, insofern sie um ihrer Praxisorientierung willen die Frage nach der Geltung christlicher Glaubensinhalte und der mit ihnen übereinstimmenden Begründung christlicher Glaubens- und Lebensvollzüge bearbeiten muss.
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Konfessionelle und ökumenische Theologie
Insofern die Kirche, d.h. die christliche Religionsgemeinschaft nur in Gestalt verschiedener Kirchen bzw. Konfessionen existiert, der Praxisbezug also stets zu einer konkreten konfessionellen Ausgestaltung des Christentums besteht, ist die Koexistenz konfessionell unterschiedener theologischer Fakultäten gerechtfertigt.

Die Vielgestaltigkeit wie die innere Einheit des Christentums und seiner Theologie sollte freilich auch in einer verstärkten Kooperation der theologischen Fakultäten zum Ausdruck kommen. Theoretische Grundlage hierfür sind heutige Ansätze einer ökumenischen Theologie.
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Binnenperspektive und Außenperspektive der Theologie
Als wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Christentum verfolgt die Theologie über weite Strecken religionswissenschaftliche Fragestellungen. Im Unterschied zur Religionswissenschaft hat die Theologie das Christentum allerdings nicht bloß zum Gegenstand (Beobachterperspektive), sondern ist ein Moment desselben (Binnenperspektive).

Selbstreflexivität und argumentative Rechenschaft gehören wesentlich zur christlichen Religion, ist doch der christliche Glaube seit seinen Anfängen "denkender Glaube" (Carl-Heinz Ratschow).

In der Theologie als Wissenschaft verschränken sich in ihr auf spannungsvolle Weise die Binnenperspektive der Selbstbeschreibung christlichen Glaubens und die Außenperspektive wissenschaftlicher Fremdbeschreibung. Aus der Strittigkeit des Glaubensgrundes aber folgt die Strittigkeit der Wissenschaftlichkeit der Theologie.
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Verlust der Transzendenz
Die gesellschaftliche und interdisziplinäre Relevanz der Theologie besteht darin, die Gottesfrage bzw. die Frage nach der Dimension der Transzendenz zu stellen und zu bearbeiten. Der vielfach beschriebene Transzendenzverlust führt in der wissenschaftlich-technischen Zivilisation zu einer platten Diesseitigkeit, die "das Leben als letzte Gelegenheit" betrachtet und rücksichtslos auszubeuten versucht.

Buchhinweise:
Marianne Gronemeyer, Das Leben als letzte Gelegenheit. Sicherheitsbedürfnisse und Zeitknappheit, 2. Aufl. Darmstadt 1996
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Von Gott reden
Christliche Theologie fragt nach der Transzendenz, wie sie sich durch ihre christlichen Vermittlungen von sich selbst aus zeigt. Über die bloß historische oder deskriptiv religionswissenschaftliche Perspektive hinausgehend, fragt Theologie nach den unabgegoltenen Sinnpotentialen des Christentums.

Gute Theologie muss es daher wagen, von Gott zu reden, nicht nur über irgendwelche "Gottesgedanken" als Restbestände einer Religionskultur, deren Verfallszeit möglicherweise kürzer ist als uns manche religionssoziologische Wertestudien glauben machen wollen.
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Buchhinweis:
Hermann Denz/Christian Friesl/Regina Polak/Reinhard Zuba/Paul M. Zulehner, Die Konfliktgesellschaft. Wertewandel in Österreich 1990-2000, Wien 2001
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Intellektuelle Redlichkeit
Von Gott sollte allerdings nicht mehr gesagt werden, als sich angesichts seiner Strittigkeit und der sich immer wieder einstellenden Anfechtung des Glaubens intellektuell redlich vertreten lässt.

Die eigene religiöse und dogmatische Tradition ist daher der beständigen Prüfung und Kritik zu unterziehen. Nur dann ist alles Reden von Gott wenn nicht schon wahr, so doch wahrhaftig.
Wahrheitsanspruch
Die angefochtene Gewissheit des Glaubens, in welcher der Geltungsanspruch theologischer Aussagen gründet, unterscheidet sich von der Selbstsicherheit apodiktischer Urteile.

Gute Theologie erkennt man daran, dass sie ihren Wahrheitsanspruch in einer sich selbst limitierenden Weise vertritt. Sie überspielt nicht die Erfahrung der Strittigkeit Gottes und untersteht sich, die aus ihr resultierenden Aporien in einer Theorie metaphysischer Letztbegründungen aufzuheben.
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
 
 
 
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