Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Leben 
 
Moratorium in der Stammzellforschung - Österreich ist am Zug
Warum Österreich ein Embryonenschutzgesetz braucht
 
  Anfang der Woche wurde das 6. Rahmenprogramm der EU zur Forschungsförderung beschlossen. Für Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen wurde ein einjähriges Moratorium vereinbart, welches die österreichische Regierung als politischen Erfolg verbucht. Doch was kommt danach?  
->   EU-Forschungsprogramm: Ausschreibung ab November
Ein Sieg Österreichs?
Hoch erfreut über das EU-Moratorium zeigt sich Wissenschaftsministerin Gehrer. Sie hatte sich von Anfang an gegen jede Förderung der Forschung an embryonalen Stammzellen ausgesprochen und hielt an dieser Position ungeachtet eines anderslautenden Mehrheitsvotums der österreichischen Bioethikkommission fest.

In ihrer ablehnenden Haltung sah sie sich im Sommer auch durch Berichte über vermeintlich sensationelle Durchbrüche auf dem Gebiet der adulten Stammzellen bestätigt. Wie aber stellt sich die aktuelle biopolitische Lage tatsächlich dar?
->   Moratorium für die EU-Stammzellförderung
Ernüchterung in der Stammzellforschung
Zunächst zur Forschungslage: Die Behauptung, aufgrund der erwähnten Forschungsarbeiten erübrige sich eigentlich jede weitere Forschung an embryonalen Stammzellen, entbehrt jeder wissenschaftliche Grundlage.

Abgesehen davon, dass sich die Senstationsmeldungen des Sommers auf Experimente an Mäusezellen bezogen, die noch keine Rückschlüsse auf den Menschen gestatten, zeigen seither publizierte Arbeiten, dass man überhaupt aus Experimenten mit adulten Stammzellen oftmals voreilige Schlüsse gezogen hat. Auch konnten manche Experimente bislang nicht wiederholt werden und sind entsprechend mit Vorsicht zu genießen.
Tagung in Wien zur Stammzellforschung
Selbst solche Forscher, welche ihre medizinischen Hoffnungen vor allem auf die adulten Stammzellen setzten, halten Experimente mit embryonalen Stammzellen für unverzichtbar. Von einer naturwissenschaftlichen Bestätigung des österreichischen Nein kann wirklich keine Rede sein.

Tatsächlich wird die Forschung auch künftig zweigleisig weiterfahren und sowohl mit adulten wie mit embryonalen Stammzellen arbeiten, zumal es offenbar neue, in ihrer Qualität erheblich bessere embryonale Stamzell-Linien gibt.

Um so mehr ist es zu begrüßen, dass am 25. Oktober 2002 in Wien eine von Östereich initiierte Internationale Tagung stattfinden wird, auf der umfassend über den tatsächlichen Stand der Stammzellforschung informiert werden soll. Dieses Symposium wird hoffentlich zu einer realistischeren Einschätzung der Chancen und Grenzen der unterschiedlichen Ansätze der Stammzellforschung beitragen.
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Ausnahmen vom EU-Moratorium
Sodann zum Inhalt des Moratorium: Wenn man den Presseberichten Glauben schenken darf, gibt es von dem bis Ende 2003 geltenden Moratorium Ausnahmen. Nach vorliegenden Meldungen soll zwar die Forschung an neuen embryonalen Stammzell-Linien vorerst von der Förderung durch die EU ausgeschlossen sein, nicht aber Forschungsarbeiten mit embryonalen Stammzellen, die bereits in Kulturen isoliert wurden. Was sich genau hinter diesen Ausnahmen verbirgt, wird hoffentlich rasch zu klären sein.
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Politische Gründe für das Moratorium
Interessant ist aber die für das Moratorium gegebene Begründung: Einerseits heißt es, dass man für die Förderung und Kontrolle der Forschung mit embryonalen Stammzellen detaillierte Durchführungsbestimmungen braucht, deren Ausarbeitung noch einige Zeit benötigt. Zum anderen wird darauf verwiesen, dass es in manchen EU-Mitgliedstaaten noch keine entsprechende nationale Gesetze gibt.
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Fehlende Gesetze
Zu diesen Ländern gehört auch Österreich. Hierzulande ist zwar die Herstellung von embryonalen Stammzellen verboten, nicht aber der Import und die Forschung an derartigen Stammzellinien. Die ganze Materie des Embryonenschutzes und der Forschung an embryonalen Material ist weitgehend ungeregelt.
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Schlusslicht Österreich
Für Österreich kann das EU-Moratorium also nur bedeuten, dass es seine gesetzgeberischen Hausaufgaben macht. Konkret bedarf es einer Initiative für eine Embryonenschutzgesetz, dass auch die Frage der Stammzellforschung, aber auch Fragen wie das so genannte therapeutische Klonen oder die Präimplantationsdiagnostik regelt.

Für das Parlament und eine neue Regierung besteht nach den Nationalratswahlen dringender Handlungsbedarf. Auf diesem Feld ist Österreich hinter Deutschland und der Schweiz - sieht man einmal von Liechtenstein ab - unter den deutschsprachigen Ländern nicht etwa ein Vorreiter, sondern eindeutig das Schlusslicht.
Stammzellforschung im Widerspruch mit österreichischen Grundwerten?
Die derzeitige Wissenschaftsministerin sieht dies möglicherweise anders. Nach Pressemeldungen fordert sie ein verändertes Abstimmungsverfahren in der EU: "Wenn nämlich etwa ein Forschungs-Schwerpunkt den Grundwerten eines Staates widerspricht, dann muss es möglich sein, zu einem Teilpunkt Nein zu sagen, aber dem ganzen Programm zustimmen zu können", wird die Ministerin in science.ORF.at zitiert.

Man liest und staunt. Sollte tatsächlich gemeint sein, dass die Forschung an embryonalen Stammzellen grundsätzlich den Grundwerten der Republik Österreich widerspricht?

Das wäre eine weitreichende Behauptung, die wohl einer eingehenden verfassungsrechtlichen Prüfung bedürfte. Wenn dem wirklich so wäre, müsste eine umgehende Initiative zur Verankerung eines entsprechenden gesetzlichen Forschungsverbotes in Österreich ergriffen werden.
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Der Diskussionsstand in der Bioethikkommission
Auf die Bioethikkommission des Bundeskanzler kann man sich dafür allerdings nicht berufen, auch wenn diese in der Frage der Stammzellforschung keine einheitliche Meinung vertritt. Während die Kommissionsmehrheit die Forschungsförderung für Arbeiten mit embryonalen Stammzellen unter bestimmten Voraussetzungen für ethisch zulässig hält (Position A), lehnt eine Minderheit jegliche Forschungsförderung ab (Position B).
->   Stellungnahme der Bioethikkommission zur Stammzellforschung
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Gesetzliche Forschungsverbote?
Die Bestreitung der Förderungswürdigkeit einer Forschung und die Verhängung von Forschungsverboten sind jedoch zweierlei. Man beachte, dass die Position B der Bioethikkommission ausdrücklich nicht die Forderung nach einem gesetzliches Forschungsverbot für Arbeiten mit embryonalen Stammzellen enthält.

Sie argumentiert auch nicht mit der angeblichen Unvereinbarkeit derartiger Forschung mit den Grundwerten des österreichischen Staates. Überhaupt wäre der Begriff der Grundwerte im Rahmen der österreichischen Rechtsordnung sorgfältig zu klären.
Die Zeit läuft
Das Moratorium der EU ist kein Sieg der österreichischen Position, sondern ein politischer Kompromiss, an dessen Ende nicht die endgültige Verhinderung - wofür sich offenbar Spanien stark macht -, sondern sehr wahrscheinlich die kontrollierte Förderung von Forschungen an embryonalen Stammzellen stehen wird.

Für den österreichischen Gesetzgeber besteht daher Handlungsbedarf. Noch einmal wird man sich in Brüssel nicht damit herausreden können, für notwendige Entscheidungsprozesse nicht genügend Zeit gehabt zu haben.
->   Alle Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
->   Mehr zum Thema Stammzell-Forschung in science.ORF.at
 
 
 
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