Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 
Ökumene im Umbruch
Aktuelle Beiträge zu Stand und Aufgaben ökumenischer Theologie
 
  Die Ökumene befindet sich seit längerem in einer Phase des Umbruchs. Manche sprechen sogar von einer Krise. Aktuelle Analysen und Forschungsbeiträge präsentiert eine neue Publikation des Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien.  
Wiener Jahrbuch für Theologie

Wiener Jahrbuch für Theologie, Bd. 4, 2002, 534 S., Euro 22,-
"Kirche/Ökumene" lautet das Schwerpunktthema des aktuellen Bandes des alle zwei Jahre von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien herausgegebenen "Wiener Jahrbuchs für Theologie".

Das Jahrbuch erscheint in diesem Jahr bereits zum vierten Mal und ist über das Dekanat der Fakultät zu beziehen.

Neben 19 Fachbeiträgen zum Schwerpunktthema findet man sieben weitere Vorträge und Originalbeiträge, sowie Statistiken zu Forschung und Lehre für den Zeitraum an der Fakultät.
->   Homepage der Evangelisch-Theologischen Fakultät Wien
Aktuelle Tendenzen ökumenischer Theologie
Das Jahrbuch gibt einen informativen Einblick in Themen und Tendenzen gegenwärtiger ökumenischer Theologie. Der Bogen spannt sich von einer kritischen Bestandsaufnahme der so genannten Konsensökumene, deren Ziel die Überwindung bestehender Differenzen in den christliche Lehren der Kirchen ist, bis zum christlich-jüdischen Dialog und zum Dialog der Religionen.

Hervorzuheben ist die Interdisziplinarität des Bandes. Neben bibelwissenschaftlichen, kirchengeschichtlichen und systematisch-theologischen Beiträgen finden sich praktisch-theologische und religionswissenschaftliche Untersuchungen.

Die Bandbereite der Themen reicht von historischen Arbeiten zur Entwicklung der Synagoge in römisch-byzantinischer Zeit und Untersuchungen zum neutestamentlichen Kirchenverständnis bis zur Analyse moderner Christentumstheorien, vom römisch-katholischen Gespräch bis zu Ansätzen einer Ökumene in den nichtchristlichen Religionen, die am Beispiel des Buddhismus untersucht werden. Fragen eines ökumenischen Kirchenrechts werden ebenso diskutiert wie Begriff und Konzeptionen ökumenischen Lernens.
Wohin steuert die Ökumene?
Gut 50 Jahre nach Gründung des Weltrates der Kirchen und 40 Jahre nach Einberufung des 2. Vatikanischen Konzil befindet sich die ökumenische Bewegung in der Krise. Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert des ökumenischen Aufbruchs. Doch wohin der Weg im neuen Jahrhundert führen soll, ist derzeit unklar.

Der 1948 in Amsterdam gegründete Weltrat der Kirchen (mit Sitz in Genf) ist von einer neuen Aufbruchsstimmung weit entfernt ist und auch die römisch-katholische Kirche erscheint "im Sprung gehemmt", so der Wiener Weihbischof und Ökumeniker Helmut Krätzl.
...
Das Jahr 1989 und die Folgen
Manche Vorgänge deuten darauf hin, als würden seit dem 1989 eingetretenen Ende der nach dem 2. Weltkrieg entstandenen Nachkriegsordnung die Zentrifugalkräfte zwischen den Kirchen an Stärke gewinnen. Dass die orthodoxen Kirchen zum Weltrat der Kirchen auf Distanz gehen, ist ein alarmierendes Signal. Unverkennbar hängen die Konflikte innerhalb der Ökumene mit politischen Entwicklungen zusammen, welche schmerzvoll bewusst machen, dass die Teilung Europas in Ost und West noch lange nicht überwunden ist.
...
Identitätsängste der Kirchen
Aber auch die westlichen Kirchen tun sich mit der Überwindung konfessioneller Spaltungen nach wie vor schwer. Gerade das Drängen auf sichtbare Einheit und theologischen Konsens erzeugt ein neues Klima des Misstrauens und konfessionelle Identitätsängste.

Ganz offensichtlich melden sich solche Identitätsängste vor allem auf evangelischer, vereinzelt aber auch auf katholischer Seite in der Diskussion über die "Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre" des Lutherischen Weltbundes und der römisch-katholischen Kirche aus dem Jahr 1999.
...
"Dominus Iesus"
Durch die Erklärung der römischen Glaubenskongregation "Dominus Iesus" und die in ihr enthaltenen Urteile über die reformatorischen Kirchen ist die verbleibende Distanz erneut spürbar geworden. Es war eine große Enttäuschung, dass in diesem Dokument, dessen eigentliches Thema der interreligiöse Dialog und eine Theologie der Religionen war, altbekannte Aussagen wiederholt wurden, wonach die Kirchen der Reformation keine Kirchen im Vollsinn des Wortes, sondern lediglich kirchliche Gemeinschaften seien. Auch in Österreich hat diese römische Verlautbarung für einige Irritationen gesorgt, zum Glück aber das traditionell gute ökumenische Klima nicht nachhaltig beschädigt.
...
Erstarken der konfessionellen Weltbünde
Es sind nicht nur die römisch-katholische Kirche und die orthodoxen Kirchen, die ihr konfessionelles Selbstverständnis hervorheben. Auch die großen protestantischen Weltbünde, der Lutherische Weltbund (LBW) und der Reformierte Weltbund (World Alliance of Reformed Churches) haben in den letzten Jahren gegenüber dem interkonfessionellen Weltrat der Kirchen (WCC) neu an Gewicht gewonnen.
->   Weltrat der Kirchen
->   Lutherischer Weltbund
->   Reformierter Weltbund
...
Wie pluralismusfähig sind die Kirchen?
Die Neubesinnung auf konfessionelle Identitäten ist eine Reaktion auf die Herausforderung, vor die sich die Kirchen durch den modernen Pluralismus gestellt sehen. Zwischen den Polen des Fundamentalismus und eines multireligiösen Individualismus ist die Pluralismusfähigkeit der Kirchen auszuloten. Darüber wird kontrovers diskutiert. Einerseits geht es um die Stellung der Kirchen in einer weltanschaulich und religiös pluralistischen Gesellschaft. Andererseits stellt sich die Frage, welches Maß an Pluralismus die Kirchen nach innen verkraften.

Ökumenische Theologie als interdisziplinäres wissenschaftliches Unternehmen arbeitet an einer Christentumstheorie, welche die konfessionelle Pluralität und das Verhältnis von Identität und Differenz im Christentum beschreibt. Fruchtbar ist hierfür - wie in dem vorliegenden Band gezeigt wird - die Beschäftigung mit gegenwärtigen Pluralismustheorien, mit der funktionalen Systemtheorie und radikalkonstruktivistischen Sozialtheorien.
...
Divergierende Leitbilder
Unklar sind derzeit allerdings die Ziele der ökumenischen Bewegung. Üblicherweise wird die "sichtbare Einheit der Kirchen" als Ziel genannt. Worin diese Einheit aber genau besteht, welche Bedingen für die wechselseitige Anerkennung der Kirchen und eine Kirchengemeinschaft, z.B. für die gemeinsame Feier des Abendmahls, erfüllt sein müssen und wie weit die organisatorischen Konsequenzen reichen sollen, ist umstritten.

Nach wie vor vertreten die verschiedenen Konfessionen ein durchaus unterschiedliches Verständnis von Ökumene, was von ihrem jeweiligen Kirchenverständnis abhängt.
"Einheit in versöhnter Verschiedenheit"
Eine in der Ökumene häufig zitierte Formel spricht von der "Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Sie besagt, dass unterschiedliche kirchliche Traditionen nebeneinander fortbestehen können, sofern sie ihre kirchentrennende Bedeutung verlieren.

Auf der Basis dieses Modells besteht die Kirchengemeinschaft der Leuenberger Konkordie, welche inzwischen die meisten protestantischen Kirchen Europas vereinigt. Wieweit dieses Modell aber auch eine tragfähige Basis für die evangelisch-katholische Ökumene und für die Ökumene mit den Orthodoxen Kirchen bietet, wird unterschiedlich beurteilt.
->   Leuenberger Kirchengemeinschaft
Die "Charta Oecumenica"
Bei allen Spannungen und Irritationen der vergangenen Jahren ist doch den Kirchen klar, dass es zur Ökumene keine Alternative gibt und dass der im 20. Jahrhundert eingeleitete Prozess der Annäherung unumkehrbar ist. Sichtbaren Ausdruck findet diese Einsicht in der Charta Oecumenica, die im April 2001 von der Konferenz Europäischer Kirchen und dem Rat der Europäischen Bischofskonferenzen in Straßburg unterzeichnet wurde.

In ihr verpflichten sich die Kirchen Europas zu einer engeren Zusammenarbeit sowie zur Mitarbeit am europäischen Integrationsprozess und formulieren die dafür maßgeblichen theologischen Grundlagen.
->   Die Charta Oecumenica im Wortlaut
...
Ökumenisches Sozialwort
Hoffnungsvoll stimmt auch das Projekt eines gemeinsamen Sozialwortes, der im Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) mitarbeitenden Kirchen. Dem ÖRKÖ gehören 14 Kirchen an. Weitere Gemeinden und christliche Organisationen haben Beobachterstatus. Mit ihrem Sozialwortprojekt wollen die Kirchen Österreichs gemeinsam an der Sicherung und Fortentwicklung des Sozialstaates in Österreich mitwirken und konfessionsübergreifend die Grundlagen einer zeitgerechten christlichen Sozialethik aufzeigen. Im Jahr 2002 wurde der Sozialbericht der Kirchen veröffentlicht. Ihm soll das eigentliche Sozialwort im Jahr 2003 folgen.
->   Projekt Sozialwort - Initiative der christlichen Kirchen in Österreich
...
->   Der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich
Ökumene als "protestantisches Abenteuer"
Zur wissenschaftlichen Analyse der gegenwärtigen ökumenischen Lage gehört auch die kritische Bestandsaufnahme protestantischer Sichtweisen. Mehrere Beiträge des Wiener Jahrbuchs für Theologie befassen sich mit dem evangelischen Verständnis von Ökumene und ökumenischer Theologie.

Ein Aufsatz ist Wilhelm Dantine gewidmet, einem der bedeutendsten Theologen der Evangelisch-Theologischen Fakultät im vergangenen Jahrhundert:

Dantine hat einmal die Lage des österreichischen Protestantismus als "protestantisches Abenteuer in einer nichtprotestantischen Welt" beschrieben. Zu diesem Abenteuer gehört, wie die Beiträge des Jahrbuchs verdeutlichen, unaufgebbar das Engagement für die Ökumene, aber auch ihre kritische wissenschaftlich-theologische Begleitung.
->   Alle Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
 
 
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft 
 

 
 Übersicht: Alle ORF-Angebote auf einen Blick