Host-Info
Ulrich Körtner
Institut für Systematische Theologie der Evangelisch-Theologischen Fakultät und Institut für Ethik und Recht in der Medizin, Universität Wien
 
ORF ON Science :  Ulrich Körtner :  Gesellschaft .  Medizin und Gesundheit .  Leben 
 
Ihr Kinderlein, kommet!
Wo liegen die Grenzen der "reproduktiven Autonomie"?
 
  Das späte Mutterglück zweier Frauen aus der Steiermark sorgt für öffentliche Aufregung. Neben ablehnenden Stellungnahmen finden sich auch Stimmen, die für eine rasche Novelle des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes votieren. Das Problem der "reproduktiven Autonomie" reicht freilich über die im Einzelfall vielleicht diskutable Eispende hinaus.  
Geburtlichkeit
Weihnachten, das Fest der Geburt Christi, ist stets ein willkommener Anlass, um über unsere eigene "Geburtlichkeit" (Hannah Arendt) nachzudenken. Dass der Mensch geboren wird, gehört ebenso zu seiner existentialen Bestimmung wie seine Endlichkeit und Sterblichkeit.

Geburt und Zeugung geraten freilich immer mehr in den Sog der modernen Technik. Selbst in unserer alltäglichen Lebenswelt eignen wir uns einen biotechnologischen Blick an. Aus Zeugung, Empfängnis und Schwangerschaft wird so die menschliche "Reproduktion", und Gynäkologie und Geburtshilfe mutieren zur "Reproduktionsmedizin".
Spätes Mutterglück
Passend zum bevorstehenden Weihnachtsfest erreicht uns die Meldung von zwei Frauen aus der Steiermark, die dank einer Eispende bzw. einer Embryonenspende jenseits der Menopause zu späten Mutterfreuden kamen. Eingeleitet wurden die Schwangerschaften im Ausland, weil derartige Prozeduren nach dem österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetz verboten sind.
Österreichische Reproduktionsmediziner wie der Vorsitzende der Bioethikkommission Univ. Prof. Johannes Huber und Univ. Prof. Dr. Franz Fischl, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Reproduktionsmedizin, raten älteren Frau zwar von extremen Formen des Kinderwunsches ab.

Gleichzeitig mehren sich aber die Stimmen, die eine grundlegende Reform des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes fordern. Dieses erlaubt zwar die Samenspende, nicht aber die Eispende und auch nicht die Spende eines bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) angefallenen "überzähligen Embryos" oder gar eines eigens zum Zweck der Spende erzeugten Embryos.
->   science.ORF.at: Mutterfreuden mit 60 - Gynäkologe Huber rät ab
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Was das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz erlaubt
Die derzeitigen gesetzlichen Bestimmungen, so die Kritik von Reproduktionsmedizinern, unterbinden nicht nur fragwürdige Fälle einer (zu) späten Mutterschaft, sondern benachteiligen auch jüngere Frauen, die z.B. nach einer Tumoroperation keine eigenen Eizellen mehr haben. Verbote seien ohnehin unwirksam, weil sich betroffene Frauen fremde Eizellen fast überall im Ausland besorgen könnten. Schließlich sei die Geburt der auf diesem Wege entstandenen Kinder in Österreich nicht strafbar.
->   Das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz
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Eine neue Zweiklassenmedizin?
Fehlt nur noch das Argument der Zweiklassenmedizin, wonach es sich die Reichen um 10.000 Euro im Ausland richten können, während der Kinderwunsch betroffener Frauen aus niedrigeren Einkommensschichten unerfüllt bleibt. Damit nähern wir uns freilich auch schon einem wichtigen Aspekt der neu angeheizten Diskussion:

Wenn die Eispende auch in Österreich legalisiert würde, sollte sie dann auch, wie jetzt schon die IVF, von der Allgemeinheit, d.h. von den Krankenkassen, finanziert werden? Geht es nur darum, Menschen in seltenen Notlagen zu helfen, oder um die Etablierung eines neuen Marktsegments der High-Tech-Medizin?
Breite Diskussion vonnöten
Wenn man nämlich schon über die Zulässigkeit der Eispende diskutiert, dann bitte richtig und umfassend. Weshalb sollte die Eispende auf wenige Indikationen begrenzt bleiben?

Schließlich ist nicht die Erlaubnis medizinischer Techniken, sondern ihr Verbot oder ihre gesetzlich Einschränkung begründungspflichtig. Und wenn man grundsätzlich die Eispende erlauben will, weshalb dann nicht auch die Embryonenspende?

Schließlich gibt es genügend "überzählige" Embryonen, die bei der IVF anfallen und nach den derzeitigen Bestimmungen des Fortpflanzungsmedizingesetzes nach einem Jahr zu vernichten sind. Die Freigabe der Embryonenspende könnte das Problem der "überzähligen" Embryonen lösen und damit den Kritikern der IVF und so genannten Lebensschützern den Wind aus den Segeln nehmen.
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"Adoption" von Embryonen?
Tatsächlich setzen sich Lebensschützer und manche Moraltheologen massiv für die Embryonenspende ein. Aus weltanschaulichen Gründen sprechen sie allerdings lieber von "Präimplantationsadoption", weil es sich bereits bei befruchteten Eizellen um "embryonale Menschen" handele. Schon rein rechtlich ist es allerdings fragwürdig, den Begriff der Adoption auf Zygoten (befruchtete Eizellen) bzw. Embryonen im Frühstadium anzuwenden. Man sollte die Dinge beim Namen nennen: Es handelt sich um eine Embryonenspende.
->   Ulrich Körtner: Überzählige Embryonen - was tun?
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Von der Embryonenspende zur Leihmutterschaft
Wenn aber Ei- und Embryonenspende grundsätzlich erlaubt werden sollten, weshalb dann nicht auch die Leihmutterschaft?

Weshalb soll die ethische Legitimität einer Embryonenspende, wie sie offenbar in einem der beiden nun publik gewordenen Fälle von Spätschwangerschaften erfolgt ist, von dem Umstand abhängig sein, ob die soziale Mutter der so entstandenen Kindes dieses auch selbst ausgetragen und geboren hat?

Dass die gesetzliche Mutter ihr Kind nicht selbst zur Welt gebracht hat, ist schließlich bei jeder Adoption der Normalfall.
"Präimplantationsadoption"
Mit dem Hinweis auf die besondere Schutzwürdigkeit traditioneller Ehe- und Familienvorstellungen wird man in einer pluralistischen Gesellschaft gesetzliche Einschränkungen der "reproduktiven Autonomie" auf die Dauer kaum begründen können.

Wer daher der "Präimplantationsadoption" das Wort redet und gleichzeitig die Ausweitung der reproduktionsmedizinischen Techniken und Indikationen zu bekämpfen versucht, sollte die Widersprüchlichkeit seiner Forderung überdenken.
"Reproduktive Autonomie"
Statt scheibchenweise über eine Liberalisierung des österreichischen Fortpflanzungsmedizingesetzes zu diskutieren, ist eine Grundsatzdebatte über das Prinzip der "reproduktiven Autonomie" zu führen.

Wie weit reicht das Recht auf Fortpflanzung? Welche Ziele beim Einsatz der modernen Reproduktionsmedizin und welche Mittel widersprechen der Menschenwürde der Geborenen und der Ungeborenen? Wie lässt sich der berechtigte Kinderwunsch gegen das mutmaßliche Kindeswohl abwägen? Und schließt das Recht auf das eigene Kind auch das Recht auf ein gesundes Kind ein?
Keine übereilte Gesetzesnovelle
Bevor diese und weiter Fragen nicht auf breiter Ebene diskutiert werden, besteht keine Veranlassung, das österreichische Fortpflanzungsmedizingesetz in einem umstrittenen Einzelpunkt übereilt zu reformieren. Angestrebt wird derzeit eine kleine Novelle, wonach die Aufbewahrungsfrist für überzähligen Embryonen von einem Jahr auf fünf Jahre verlängert werden soll.

Diese Gesetzesinitiative fand bereits in der vorletzten Legislaturperiode die Unterstützung aller im Nationalrat vertretenen Parteien und ist unbedingt zu begrüßen. In den anderen Fragen aber kann künstlich erzeugter öffentlicher Druck einer sorgfältigen Diskussion und damit letztlich auch den berechtigten Anliegen der Reproduktionsmedizin nur schaden.
->   Sämtliche Artikel von Ulrich Körtner in science.ORF.at
 
 
 
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