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Der Wert der Lebens-Mittel  
  Die gegenwärtige Krise in der Nahrungsmittelproduktion sei weniger objektiv als eine symbolische Irritation, meinte der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann am Donnerstag auf der Lebens-Mittel-Enquete des ORF.  
Denn das Risiko, durch BSE an Creutzfeld Jacob zu erkranken, sei statistisch unfassbar gering im Vergleich zu den Unfallopfern, die Österreichs Straßen jährlich forderten. Ein Unfall werde als Schicksal akzeptiert, doch in Bezug auf Krankheiten wolle der Mensch kein Risiko eingehen.
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ORF-Enquete
Auf der ORF-Enquete "Lebens-Mittel: Trends in der Produktion, im Handel und im Konsum" gehen Vertreter aus Landwirtschaft, Handel, Lebensmittelindustrie und Wissenschaft vielen offenen Fragen nach: etwa dem "Wert" der Nahrungsmittel, ihrer Qualität, Vielfalt und Herkunft; den Strategien zur Lebensmittelsicherheit in Österreich; der Rolle des Lebensmittelhandels wie auch der Zukunft des Genießens in einer Zeit von Fast Food.

Science.orf.at berichtet über die Ergebnisse der Enquete.
->   Die Eröffnung
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Mittel zum Leben

Konrad Paul Liessmann
Die Krise in Österreich sei eine aus der Position eines "Kontinents des Überflusses". Das objektive Problem, dass Menschen sich die Mittel zum Leben nicht leisten können, gebe es hier nicht.

Durch die industrielle Produktion von Lebensmitteln sei dieser Prozess, der ja auch immer eine kulturelle Komponente habe, entmythologisiert. Dabei stoße man nun an ethische und psychologische Grenzen. Denn es irritiere wohl doch, fleischspendende Lebewesen rein als industriell erzeugte Materie zu sehen.

Ob diese Irritation der Konsumenten zu einer grundsätzlichen Neuorientierung der Lebensmittelproduktion führen werde, sei dabei allerdings die entscheidende Frage.
Essen als ritueller Akt
Die dünne Sensibilität der gesellschaftlichen Elite gehe an der aktuellen gewerblichen Situation vorbei, meinte Franz Theo Gottwald von der Schweisfurth-Stiftung in München. Und die Absurditäten nehmen zu. Während eine Entenmastanlage in Sachsen-Anhalt 15 Tieren 1 Quadratmeter in der Zeit ihrer Aufzucht zugestehe und denselben Raum fünf Tieren für die Zeit der Mast, werde überlegt, in Afrika Schimpansenfleisch als Antwort auf die Lebensmittelkrise in Europa zu züchten.
Kultureller Wert der Lebensmittel

Franz Theo Gottwald
Gottwald bemisst den Wert der Lebensmittel in vier Dimensionen: dem Nährwert, dem Genusswert, dem Gesundheitswert und dem ökosozialen bzw. kulturellen Wert.

Dieser letztere spiele eine immer größere Rolle in Bezug auf die Produktionsgeschichte. Die Produktionsgeschichte beginne bei den Pflanzen für die Tierfütterung, bzw. den Böden, auf denen diese wachsen, und ende auf dem Teller nach einer Geschichte der Zubereitung.

Kriterien, denen Nahrungsmittel in der Zukunft gerecht werden müssen, seien Mitweltverträglichkeit und Lebensqualität.
Heimat auf den Tisch

Christine Seidl
Während 1995 durchschnittlich noch 19 Prozent des Einkommens für Lebensmittel ausgegeben wurden, seien dies heute nur noch rund 16 Prozent, stellt die öberösterreichische Bäuerin Christine Seidl einen Trend fest: Hauptsache billig!

Österreichische Lebensmittel hätten aufgrund der hohen Produktionsstandards und Kontrollen einen hohen Wert. Doch sei eine bessere Deklaration der Herkunft insbesondere der Convenience-Nahrungsmittel (etwa Tiefkühlkost) gefordert. Aufklärungsbedarf bestehe über die Herkunft der Produkte. Von Seiten der Bauern sei Ehrlichekit und mehr Transparenz gefragt.

Ziel sei es zwar, den Konsumenten eine hohe Qualität zu bieten, doch müsse dies mit einer Zumutbarkeit des Einkommens der Bauern vereinbar sein. Familienbetrieben, so forderte sie, sei eine Chance zu geben.

Seidl möchte "so oft wie möglich Heimat auf den Tisch" sehen. Denn kürzere Transportwege garantierten für mehr Frische. Und der Preis dürfe nicht das Hauptkriterium sein.
Beamte als Versuchskaninchen

Alfons Piatti
Wie hoch der Preisverfall - und damit der Werteverfall - der Lebensmittel sei, demonstrierte der Obmann der ARGE-Bio-Landbau Wien, Alfons Piatti am Beispiel eines römischen Legionärs: Dessen Tagesration an Weizen sei heute gerade mal zwei Schilling wert.

Ob der Biolandbau Auswirkungen auf das Produkt und dessen gesundheitliche Auswirkungen hätten, sei in so genannten Fresswahlversuchen an Tieren getestet worden: instinkthaft hätten diese die Bio-Lebensmittel erkannt und bevorzugt. Tiere, die mit Bio-Lebensmitteln gefüttert worden seien, wiesen eine höhere Fortpflanzungsrate auf und wurden auch älter.
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Bei einer Blindverkostung von Beamten des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft hätten auch 80 Prozent einen Unterschied zwischen konventionellen und Bio-Produkten schmecken können. "Auch Beamte sind nicht so weit weg von ihren Instinkten" schloss der Vertreter der Bio-Bauern.
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In Bezug auf die Sicherheit gehe der Konsument kein Restrisiko bei Bio-Lebensmitteln ein, denn "was nicht rein kommt, kann auch nicht drin sein".

Darüber hinaus könne der Konsument von Bio-Lebensmitteln sein Gewissen beruhigen: Er kaufe immaterielle und ideale Werte mit ein: saubere Luft, reines Wasser und Natur- und Umweltschutz. Ein nicht ungewichtiges Verkaufsargument, meinte Piatti.
Wert der Lebensmittel und Wert des Berufsstands

Walfried Wutscher
Der Präsident der Landwirtschaftskammer Kärnten, Walfried Wutscher, sah im Wert der Lebensmittel einen engen Konnex zum Wert des Berufsstands.

Es gebe ein psychologisches und ein wirtschaftliches Moment der Verunsicherung der Bäuerinnen und Bauern. Warum man sich nicht gleich für den Biolandbau entscheide angesichts von Phänomenen wie Maul- und Klauenseuche, kontert er damit, dass in diesem Fall die Rechnung der Landwirte - wenn sie denn als Betriebswirte auch denken sollten - nicht aufginge.

Der Wert der Qualität müsse auch vom Konsumenten honoriert werden. Bio - das sei klar - könne es nicht um denselben Preis geben wie Produkte aus konventioneller Landwirtschaft.
Agrarpolitik schuld an niedrigen Preisen
Demgegenüber wendete der Landwirtschaftssprecher der Grünen, Wolfgang Pirklhuber, ein, die Preise seien nicht wegen der Haltung der Konsumenten niedrig, sondern wegen der Agrarpolitik, die auch für den Beginn der Krise der Landwirtschaft verantwortlich zu machen sei. Die Frage sei, wie weit Österreich Ernährungssouveränität wolle und wie eine regionale Versorgung umzusetzen sei.
Hoher Preis für billige Lebensmittel
Dass ein hoher Preis für billige Lebensmittel gezahlt werden müsse, konzedierte auch Konrad Paul Liessmann. Es sei immer die Rede vom freien Markt, doch eine Kostenwahrheit gebe es nicht. Wer über eine höhere Kaufkraft verfüge, könne sich eine bessere Gesundheit und Lebensqualität damit erkaufen.

Theo Gottwald führte demgegenüber an, dass bei einer Umstellung auf ökologische Produktionsweisen ein vierköpfiger Haushalt in der Stadt DM 80,- (560,- ATS) im Monat mehr aufwenden müsste als derzeit für konventionelle Produkte. Das könnten sich in Deutschland lediglich 14 Prozent der Bürger nicht leisten. Und hier könnten Subventionierungen ähnlich dem Wohngeld Abhilfe schaffen.

Doch eine solche Entscheidung, so war man sich einig, könne nicht dem Markt allein überlassen werden.

(Michaela Adelberger, science-Redaktion)
 
 
 
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01.01.2010